Gespräche über Athener Reformliste in Brüssel

SYRIZA will Steuererhöhungen für Besserverdiener / Auch Privatisierungen wieder im Gespräch / Varoufakis: Immer wenn es ernst wird, gibt es Gerüchte über meinen Rücktritt

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Update 18.15 Uhr: Die Bundesregierung setzt sich nach Einschätzung des Grünen-Außenpolitikers Manuel Sarrazin zu wenig für das vereinbarte deutsch-griechische Jugendwerk ein. »Gerade jetzt wäre es so wichtig, ein Signal der deutsch-griechischen Freundschaft zu senden«, sagte Sarrazin der »Berliner Zeitung« vom Samstag. »Es ist äußerst bedauerlich, dass es bei der Bundesregierung anscheinend bei bloßen Ankündigungen bleibt und de facto weder finanziell noch programmatisch mehr als bisher für die gemeinsame Aufarbeitung der deutsch-griechischen Geschichte getan wird.« Sarrazin hatte eine schriftliche Anfrage zu dem Thema an das Bundesfamilienministerium gerichtet. In der Antwort, die AFP vorliegt, heißt es, die Errichtung eines deutsch-griechischen Jugendwerks sei entsprechend der Koalitionsvereinbarung in dieser Legislaturperiode geplant. Auf Arbeitsebene hätten sich beide Seiten schon vergangenes Jahr auf einen Entwurf für ein Abkommen geeinigt; demnach soll das Jugendwerk 2016 eingerichtet werden. Als Finanzierungsbedarf wurden je drei Millionen Euro ab 2016 angesetzt. Das geplante Jugendwerk war zuletzt wieder stärker in den Fokus gerückt. Die Bundesregierung sieht das Vorhaben als wichtigen Teil der Aussöhnung mit Griechenland.

Update 18 Uhr: Laut der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« ist für kommenden Mittwoch eine Telefonkonferenz der Euro Working Group angesetzt - in dieser Runde sitzen unter anderem Staatssekretäre und sie bereitet die Treffen der Euro-Finanzminister vor. Laut dem Blatt könne ein solches Treffen nach Ostern stattfinden, wenn bis kommenden Mittwoch eine Reformliste vorliegt, welche von den Gläubigern als hinreichend akzeptiert wird. »Die griechische Regierung müsste in der Zwischenzeit einige vereinbarte Reformen im Parlament beschließen«, schreibt die Zeitung.

Update 15.30 Uhr: Die von der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland vorgelegte Reformliste hat primär eine Stabilisierung der Staatsfinanzen des Landes zum Ziel. Es sei »nicht das alleinige Bestreben, dass die Liste akzeptiert wird«, sagte der für internationale Wirtschaftsangelegenheiten zuständige Vizeaußenminister Euklides Tsakalotos am Samstag. Vielmehr strebe Athen stabile Staatsfinanzen an, »um das negative Klima zu ändern, den Liquiditätsdruck zu senken und das Wachstum zu fördern«. Griechenland hofft derzeit auf die Freigabe der letzten Milliardentranche aus dem zweiten Kreditprogramm der internationalen Gläubiger. Diese verlangen im Gegenzug eine Liste mit Maßnahmen. Am Samstag sollten in Brüssel Vertreter der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank, des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Internationalen Währungsfonds über die Vorschläge beraten.

Athen will mit den Maßnahmen nach eigenen Angaben rund drei Milliarden Euro einnehmen und ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent im laufenden Jahr erreichen. Laut Medienberichten sind etwa Steuererhöhungen für Besserverdiener und Maßnahmen gegen Steuerflucht geplant. Zudem sollen demnach die Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte erhöht und Maßnahmen zur Eindämmung der Bürokratie in der öffentlichen Verwaltung ergriffen werden. Ohne Details zu nennen, zeigte sich Tsakalotos zuversichtlich, dass die Liste akzeptiert werde. Die Nachrichtenagentur dpa berichtet indes unter Berufung auf Verhandlungskreise, die Gespräche gestalteten sich schwierig. Die Geldgeber von Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) seien nicht zufrieden und hätten mehr Details verlangt, hieß es. Am Samstag liefen in Brüssel die Verhandlungen auf Expertenebene, die das ganze Wochenende dauern sollen.

Berichten zufolge sollen auch Privatisierungen vorgenommen werden. Die SYRIZA-geführte Regierung hatte Verkäufe öffentlichen Eigentums zuvor gestoppt und sich gegen den Ausverkauf des Landes ausgesprochen. Athen soll nun auch die Privatisierung des Hafens von Piräus wieder in den Blick genommen haben, hieß es. Es sei denkbar, die Mehrheit an dem Hafen binnen Wochen zu verkaufen, wird der stellvertretende Ministerpräsident Giannis Dragasakis von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zitiert. Dragasakis ist derzeit auf Besuch in der Volksrepublik. Die chinesische Cosco Group hatte sich für den Hafen interessiert. Dragasakis sagte laut Xinhua nun, Cosco und andere Mitbewerber seien eingeladen, ein wettbewerbsfähiges Angebot vorzulegen.

Update 12.55 Uhr: Die Griechen heben immer mehr Geld von ihren Konten ab - aus Angst vor den Folgen der Finanznot des Staates und wohl auch wegen der immer wieder angefachten Spekulationen über einen Grexit. Die Einlagen sanken nach Angaben von Geldinstituten auf den niedrigsten Stand seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise. Dies berichtete am Samstag die Zeitung »Kathimerini«. Auch andere griechische Medien berichteten, das »Verbluten« gehe weiter. Im März hätten die Griechen bislang weitere drei Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben, heißt es. Im Dezember 2014 seien es vier Milliarden Euro, im Januar 12,2 und im Februar 7,6 Milliarden Euro gewesen. Seit Dezember 2009 sanken die privaten Geldeinlagen nach Angaben des Blattes um knapp 100 Milliarden Euro.

Update 12.10 Uhr: Griechenland kann die Staatspleite und den Euro-Austritt nach Überzeugung von Ökonom Carsten Brzeski derzeit nur dank der Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) verhindern. »Die EZB hält den Schlüssel für den Grexit in der Hand«, sagte der ING-Diba-Chefvolkswirt der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. Zwar habe die EZB zuletzt die Zügel angezogen, indem sie griechische Geschäftsbanken anwies, keine weiteren Staatspapiere ihres Landes mehr zu kaufen. Gleichzeitig halte sie die Banken des Landes am Leben, indem sie den Rahmen für Ela-Notkredite ständig erhöhe. Die Banken in Griechenland leiden darunter, dass Kunden ihre Konten leeren und sind auf die Notkredite angewiesen. Ohne diese Unterstützung würde den Banken vermutlich schnell das Geld ausgehen. Brzeski betont: »Die EZB kann Ela nicht stoppen. Sonst würde sie den Grexit heraufbeschwören. Und das ist nicht ihr Mandat.« Diese Entscheidung dürfe nur die Politik treffen, sagte Brzeski.

Update 9.25 Uhr: Wie man ein bisschen Stimmung gegen die SYRIZA-geführte Regierung machen kann? So zum Beispiel: »Griechenlands Reformblockade reißt neues Milliardenloch«, meldet die Polit-Illustrierte »Spiegel« vorab - und zitiert Kreise der Institutionen, die für die Gläubiger Griechenlands die Umsetzung des Kreditprogramms überwachen sollen. Die Vertreter von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds würden damit rechnen, »dass Griechenland in diesem Jahr entgegen ursprünglicher Planung keinen Primärüberschuss in seinem Haushalt erwirtschaften wird«, so der »Spiegel«. Und weiter: »Der Reformstopp in Griechenland seit der Amtsübernahme von Ministerpräsident Alexis Tsipras verschärft die Finanzsituation des Landes. Experten rechneten mit einer zusätzlichen Finanzierungslücke von 10 bis 20 Milliarden Euro.« Die neue Regierung ist seit zwei Monaten im Amt, ihr wird von europäischer Seite jeglicher Spielraum verwehrt, zudem drehte sich zunächst alles um die Verlängerung des Kreditprogramms, aus dem weiterhin keine Tranche ausbezahlt wurde, weshalb Athen immer neue Quellen suchen muss, um kurzfristig Finanzlöcher zu stopfen. Maßnahmen, die zur Erhöhung der Einnahmen führen könnten, stehen zudem unter Vorbehalt der Zustimmung der Gläubiger-Vertreter. Die Meldung wurde auch von Nachrichtenagenturen übernommen. Die Deutsche Presse-Agentur titelt: »Athens Reformstopp reißt neues Milliardenloch.« Und so steht es dann bald auch überall im Internet. Der »Focus« schreibt auf seiner Website: »Tsipras reißt 20-Milliarden-Loch in griechischen Haushalt«.

Gespräche über Reformliste der SYRIZA-Regierung gehen in Brüssel weiter

Berlin. Die Gespräche zwischen Griechenland und den Kreditgebern über die Reformliste zur Lösung der Schuldenkrise werden auch am Wochenende weitergehen. Das verlautete am Freitagabend aus der EU-Kommission. Eine Kommissionssprecherin sagte, die angekündigte Liste der Athener Regierung sei bislang noch nicht in Brüssel eingetroffen.

Bei den Gesprächen auf Expertenebene sollen sich dem Vernehmen nach beide Seiten in den kommenden Tagen auf eine umfangreiche Liste einigen. Die Kontrolleure der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) müssen prüfen, ob die Maßnahmen, die sich die SYRIZA-geführte Regierung vornimmt, genug Geld einbringen können. Nur dann werden weitere Kreditraten in Milliardenhöhe ausgezahlt.

Einem Regierungspapier zufolge sollen die Maßnahmen Einnahmen von drei Milliarden Euro bringen, ohne dass Einschnitte bei Löhnen und Renten vorgenommen werden müssten. Auf der Liste stünden nach Angaben von SYRIZA 18 Maßnahmen, die Athen etwa 3,5 Milliarden Euro brächten. Andere Regierungsquellen sprachen von drei Milliarden Euro. Kürzungen von Gehältern und Renten stünden nicht auf der Liste.

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Der Sprecher der Parlamentsfraktion der regierenden Linkspartei SYRIZA, Nikos Filis sagte, Athen plane Maßnahmen in Bereichen, die von vorigen Regierungen unangetastet blieben, darunter die Vergabe der TV- und Radio-Frequenzen. Die Rechte waren 1989 vorläufig zugeteilt worden. Ihre Besitzer brauchten keine Nutzungsgebühren zu bezahlen, weil eine endgültige Regelung vorgesehen war. Dazu ist es jedoch seither nicht gekommen. Jährlich seien dem Staat dadurch Einnahmen in Höhe von rund 100 Millionen Euro entgangen, sagte Filis.

Die Sender gehören den größten Bauunternehmen des Landes. Auch bereits steuerbegünstigte Reeder mischen bei ihnen mit. Künftig sollen alle Gebühren bezahlen. Eine weitere Maßnahme ist die elektronische Verbindung der Registrierkassen aller Geschäfte, Restaurants und Bars mit dem Finanzamt. Damit soll eine Hinterziehung der Mehrwertsteuer bekämpft werden, wie Filis sagte. Auch Privatisierungen soll es geben.

Derweil hat die Ratingagentur Fitch die ohnehin auf sogenanntem Ramschniveau befindliche Bonitätsnote Griechenlands noch einmal um zwei Stufen gesenkt. Die Einstufung wurde von »B« auf »CCC« herabgesetzt, wie das Unternehmen am Freitag mitteilte. Zur Begründung hieß es, das Land stehe mit Blick auf seine Staatsfinanzen unter »extremem Druck«. Die Debatte zwischen der linksgeführten Regierung in Athen und den internationalen Kreditgebern des Landes über weitere Kreditauszahlungen stelle zudem ein »erhöhtes Risiko« dar.

Unterdessen hat die griechische Regierung am Freitag Gerüchte über einen bevorstehenden Rücktritt von Finanzminister Yanis Varoufakis bestritten. »Diese Gerüchte entbehren jeglicher Grundlage«, hieß es aus dem Büro des Regierungssprechers in Athen. Varoufakis selbst äußerte sich im Kurznachrichtendienst Twitter: »Immer, wenn es bei den Verhandlungen heiß wird, tauchen neue Gerüchte über Rücktritt, mein Ende usw. auf. Ziemlich amüsant.« Agenturen/nd

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