Der Tod einer Zeugin und das Signal: Mund halten!

Neue Aufregung bei NSU-Ermittlungen in Baden-Württemberg - Staatsanwalt geht nicht von »Fremdeinwirkung« aus

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die 20-Jährige starb an Lungenembolie, keine Anzeichen für Fremdeinwirkung. Die Staatsanwaltschaft will die Akte schließen - wie schon zu oft, wenn es um Zeugenschaft in Sachen NSU geht.

Melisa M. war am Samstagabend gegen 18.25 Uhr in ihrer Wohnung in Kraichtal im nördlichen Landkreis Karlsruhe von ihrem Lebensgefährten »krampfend aufgefunden worden«. Der Notarzt versuchte sein Möglichstes, doch konnte das Leben der jungen Frau nicht gerettet werden.

So steht es in einer am Sonntag von Karlsruher Polizei und Staatsanwaltschaft herausgegebenen Meldung. Tags darauf verkündete man das Obduktionsergebnis: »Anzeichen für eine wie auch immer geartete Fremdeinwirkung haben sich bei der Obduktion nicht ergeben.« Melisa M. sei an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. Am vergangenen Dienstag, einen Tag nach ihrem 20. Geburtstag, hatte die junge Frau auf dem Vereinsgelände des Moto-Cross-Vereins in Odenheim einen leichten Motorradunfall. Sie zog sich eine Prellung am Knie zu.

Die Ärzte hätten eine Thrombosevorsorge gemacht. »Dennoch dürfte sich aus dem unfallbedingten Hämatom im Knie ein Thrombus gelöst und letztlich die Embolie verursacht haben«, sagt die Staatsanwaltschaft.

Denkbar ist das. So, wie es denkbar ist, dass Thomas R. - Deckname »Corelli« - ein Jahr zuvor durch eine unbemerkte Diabetes-Erkrankung umgekommen ist. Schon beim Auffinden des 39-Jährigen in seiner Wohnung im Landkreis Paderborn (NRW) hatte der Notarzt »keine Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge gehabt hätten«. Ein Labor kam anschließend zu dem Ergebnis, es könne bei »Corelli« von einer Hyperglykämie, die zu einem tödlichen diabetischen Koma geführt habe, ausgegangen werden. Der bewusste Konjunktiv wird von der Staatsanwaltschaft übersehen.

Denkbar ist auch, dass sich Florian H. am 16. September 2013 in seinem Peugeot mit Benzin übergossen und dann verbrannt hat. Er stammt aus Eppingen bei Heilbronn, war 21 Jahre alt. Für die Staatsanwaltschaft in Stuttgart stand der Suizid fest. Weitere Ermittlungen unterblieben daher. Das SPD-geführte Innenministerium mauerte jahrelang, die Staatsanwaltschaft verhinderte Nachforschungen der Polizei, die recherchierte äußerst nachlässig. Erst nachdem der endlich in Gang gekommene NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtages den Fall »Florian H.« hinterfragte, wurden Ermittlungen aufgenommen. Was hat das mit Melisa M. und Thomas R. zu tun?

Melisa M. war kurz bevor Florian H. starb, dessen Freundin. Sie hatte offenbar selbst Berührungen zur rechten Szene und war im März Zeugin vor dem Stuttgarter Untersuchungsausschuss. Sie berichtete nur in geheimer Sitzung. Ihre Angst hatte so gar nichts mit Moto-Cross-Fahren zu tun. Befragt wurde sie, weil H., der damals gerade in Heilbronn eine Ausbildung machte, sich bereits im August 2011 brüstete, zu wissen, wer vier Jahre zuvor die Polizistin Michele Kiesewetter umgebracht und ihren Kollegen Martin Arnold schwer verletzt hat. Erst im November 2011 flog die Terror-Truppe des Nationalsozialistischen Untergrundes in Thüringen auf. Erst da fand man die in Heilbronn entwendeten Polizeiwaffen im Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, den beiden NSU-Terroristen und mutmaßlichen zehnfachen Mördern und Bankräubern. Erst da entdeckte man im Brandschutt des von ihrer Gefährtin Beate Zschäpe angezündeten Zwickauer NSU-Quartiers die beiden Heilbronner Tatwaffen.

Sicher ist, dass das Trio mehrmals in Baden-Württemberg war und Kontakte pflegte. Unterstützer-Neonazis aus Thüringen und Sachsen verlegten ihren Wohnsitz ins »Spätzleland«.

Im Januar 2012 wurde der angebliche Mitwisser Florian H. vom Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart vernommen. Dabei berichtete der Zeuge, der Neonazi-Waffendepots verwaltet hat, dass es bei Heilbronn eine »Neoschutzstaffel« gebe. Sie sei ähnlich »radikal« wie der NSU. Man glaubte H., der aus der Szene aussteigen wollte und stets mit einer Pistole als »Lebensversicherung« herumlief, nicht. Doch es gibt inzwischen verschiedene Belege dafür, samt Mitgliedsnamen. Im September 2013 lud das LKA H. erneut zum Gespräch. Am bewussten Tage verbrannte der junge Mann bei lebendigem Leib.

Und wie passt der tote V-Mann »Corelli« ins Bild? Er war vom baden-württembergischen Geheimdienst angeworben und an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergereicht worden. R., der dem Kern des NSU sehr nahe war, hat Anteil am Aufbau des baden-württembergischen Ku Klux Klan (KKK), Abteilung European White Knights. Er war so intensiv beteiligt, dass er einen bereits tätigen, konkurrierenden V-Mann ausbooten konnte. Der Geheimdienst übernahm sogar die Kosten für eine USA-Reise, damit der Spitzel ein KKK-Treffen besuchen konnte. Thomas R. hatte den Rang eines »Kleagles«, also eines Anwerbers, er rekrutierte Nachwuchs für den rassistischen Geheimbund.

Bei Nachforschungen zum KKK-Ableger in Baden-Württemberg kam zutage, dass auch Polizisten Mitglied der Kapuzenbande waren. Ursprünglich war von 29 die Rede, die Zahl reduzierte sich wundersam auf drei. Darunter war immerhin ein Vorgesetzter der ermordeten Michele Kiesewetter.

Wie immer die drei Neonazis auch zu Tode kamen, ein Signal an andere ist so oder so klar: Wer redet, lebt nicht lange. Das wird die Aufklärung der Verbrechen des NSU sowie die der »Unachtsamkeit« von Sicherheitsbehörden nicht einfacher machen.

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