Die japanische Armee entwickelte im 2. Weltkrieg in der besetzten Mandschurei biologische Waffen. In grausamen Menschenversuchen quälten Militärärzte Tausende von Kriegsgefangenen zu Tode, später setzten sie die Bakterienwaffen im großen Maßstab in China ein.
Es gibt Überlebende, die werden seit über 60 Jahren von eitrigen Wunden an den Beinen gepeinigt. Einer von ihnen ist Dai Zhaokai, Bauer in der chinesischen Provinz Zhejiang. Er erinnert sich bis heute an jenen Tag im Jahre 1942, als die japanische Armee sein Heimatdorf überfiel. Er floh mit seiner Familie in die nahen Berge, zwei Monate mussten sie dort in Höhlen ausharren, bevor sie sich wieder nach Hause trauten. Dort erwartete sie der sichere Tod, unsichtbar, im Dorfbrunnen, in den Hütten, auf den Feldern. Viele Dorfbewohner wurden nach ihrer Rückkehr von hohem Fieber geschüttelt, ganze Familien komplett ausgerottet. Andere bekamen rote Pusteln an den Beinen, die immer größer wurden und eitrige Wunden hinterließen, die nie verheilen sollten.
Seit 64 Jahren wird Dai Zhaokai so gequält. Seit 64 Jahren hasst er die Japaner, aus tiefstem Herzen, 64 Jahre Folter, sagt er. Anderen Dörfern und Städten in der Provinz erging es ähnlich, die Gegend rund um die Kleinstadt Jinhua ist in ganz China bekannt als die »Region der verfaulten Beine«. Später, vor einem sowjetischen Kriegsverbrechertribunal, sagten japanische Offiziere aus, dass in Zhejiang massenhaft biologische Waffen eingesetzt wurden, darunter die Erreger von Typhus, Paratyphus, Milzbrand und Rotz. Kurz zuvor hatten US-Bomber Tokio angegriffen und Japan mitten ins Herz getroffen. Dafür nutzten sie Landebahnen in der Provinz Zhejiang. In einem beispiellosen Rachefeldzug zogen nun japanische Truppen durch die Region und hinterließen eine Schneise der Zerstörung.
Ähnlich erging es auch anderen Gebieten, so starben nach 1940 in Folge eines Angriffes mit pestverseuchten Flöhen auf die Stadt Quzhou über 5000 Einwohner. Vor zehn Jahren begannen die Biowaffen-Opfer in China, sich in einer Bewegung von unten zu organisieren. In jahrelanger Kleinarbeit - unterstützt von japanischen Friedensaktivisten - trugen sie Beweismaterial zusammen und strengten eine Klage gegen Tokio an. Eine Entschuldigung von der japanischen Regierung fordern sie, und für jedes Opfer eine Entschädigung von zehn Millionen Yen (ca. 68 000 Euro). Einen Teilerfolg konnten sie 2002 erzielen, als ein Bezirksgericht in Tokio erstmals anerkannte, dass es die B-Waffen-Angriffe tatsächlich gab. Entschädigung und Entschuldigung lehnte es jedoch ab. Der Fall liegt jetzt beim Obersten Gerichtshof in Tokio, eine Entscheidung wird in Kürze erwartet.
Das Zentrum der japanischen Biowaffen-Forschung lag in Ping Fan, einem kleinen Örtchen im Nordosten Chinas. Dort betrieb die berüchtigte Einheit 731 ein riesiges Laborgelände, in dem alle nur erdenklichen Krankheitserreger daraufhin untersucht wurden, ob sie sich als Waffe eignen könnten. Ihre Entwicklungen testeten die Wissenschaftler auch an Gefangenen, die zu Tausenden nach Ping Fan verschleppt wurden, um als menschliche Versuchskaninchen zu dienen - und zu sterben.
Neben der Biowaffenforschung wurden die Todeslabors für die medizinische Grundlagenforschung genutzt. Beteiligt waren nicht nur einige sadistische, ehrgeizige Militärärzte, sondern auch Teile der damaligen japanischen Forschungselite. Nicht selten wurden die Ergebnisse der Forschung in Ping Fan sogar in Fachzeitschriften publiziert. Die Versuchsobjekte wurden darin zynisch als »Mandschurische Affen« bezeichnet, ein leicht durchschaubarer Code für chinesische Gefangene, da bei allen Versuchen, die wirklich an Affen durchgeführt worden waren, jeweils der exakte wissenschaftliche Name für die jeweilige Art verzeichnet war.
Auf dem Gelände des ehemaligen Todeslabors von Ping Fan steht heute ein Museum. Der Direktor, Wang Peng, nennt die Taten der Einheit 731 einen »Höhepunkt menschlicher Grausamkeit«. Er zieht den Vergleich zu Auschwitz, Verbrennungsöfen, Bahntransport, Untermenschendoktrin, wissenschaftlichem Töten. Anders als in Auschwitz und Berlin steht in Ping Fan und Tokio die geschichtliche Aufarbeitung jedoch noch ganz am Anfang. Bis heute verschließt das offizielle Japan die Augen vor diesem dunklen Kapitel der eigenen Geschichte. Wir wissen es nicht, lautet die stereotype Antwort aus dem Tokioter Außenministerium, wir haben nicht genügend Dokumente, die die Menschenversuche oder den Biowaffen-Einsatz belegen würden.
Die Vogel-Strauß-Politik der Regierung ist nur möglich, weil den mörderischen Wissenschaftlern der Einheit 731 nicht der Prozess durch die Alliierten gemacht worden ist. Das US-Verteidigungsministerium entschied direkt nach Kriegsende, dass die technischen Informationen und Forschungsergebnisse aus Ping Fan so wertvoll seien, dass sie auf keinen Fall öffentlich werden und der Sowjetunion in die Hände fallen dürften. Den Spitzen der Einheit, die das Glück hatten, in US-amerikanische Gefangenschaft zu geraten, wurde Straffreiheit gewährt - im Tausch für ihre Biowaffen-Expertise.