Kein Urlaub ohne Datenabgriff
Aktionsbündnis wendet sich gegen unkontrollierte Weitergabe von Flug- und Verkehrsdaten
Über den Wolken schien die Freiheit einst grenzenlos. Doch das war im letzten Jahrhundert, heute interessieren sich Datensammler für alles an Bord. Rund 60 Einzeldaten zu jedem Passagier werden von den Fluggesellschaften mit jeder Buchung erfasst. Zu den als Passenger Name Record, PNR, bezeichneten Reisedaten gehören Ernährungsgewohnheiten, Sitznachbarn, bei Onlinebuchung die Internetadresse und bei Zwischenaufenthalten auch Zimmergenossen oder -genossinnen. Zusätzlich können Mitarbeiter am Check-in Einschätzungen und Beobachtungen in einem speziellen Feld festhalten. Darin wird schon mal die mitgeführte Literatur oder der politische Aufkleber auf dem Reisegepäck vermerkt.
Für den Kampf gegen den Terror sind diese Daten unerlässlich, behaupten viele Regierungen. Schon seit den 9/11-Anschlägen sichern sich US-Behörden direkten Zugriff auf die Buchungssysteme der Fluggesellschaften. Das verlangt inzwischen auch Großbritannien. Russland und Japan wollen zukünftig Landegenehmigungen erst erteilen, nachdem sie die PNR-Daten erhalten haben. Selbst für einen Überflug über US-Territorium ist die Offenlegung der Daten verpflichtend. Dabei sei völlig unklar, inwieweit die USA die gesammelten Daten, die sie bis zu 99 Jahren aufbewahren wollen, weiterverwerten, bemängeln Kritiker.
Nach mehrjährigen Verhandlungen will die Europäische Union in den nächsten Monaten die Weitergabe von Fluggastdaten in der EU einführen. »Das ist letztendlich eine Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten«, dabei habe der EU-Gerichtshof gerade erst die Vorratsdatenspeicherung für Kommunikationsdaten einkassiert, kritisiert Christian Engelking. Der Kölner Informatiker ist Mitinitiator des Aktionsbündnisses Verfolgungsprofile.de. Darin haben sich mehrere lokal orientierte Aktionsgruppen zusammengeschlossen, um »kampagnenorientiert die Schlagkraft zu bündeln«, berichtet Engelking. Dazu zählen unter anderem das Leipziger Bündnis Privatsphäre, die Gruppe WasTun, NoSpy aus Stuttgart oder die Kölner StopWatchingUS-Aktivisten, zu denen Engelking gehört. »Wir befürchten, dass die erhobenen Daten auch noch für ganz andere Zwecke verwendet werden«, warnt der Kölner gegenüber »nd«. Denn die Fluggastdaten »sollen analysiert, auf Anomalien untersucht und auch den Geheimdiensten zur Verfügung gestellt werden«.
Das Bündnis veranstaltete unter dem Motto »Scannt mein Gepäck, aber nicht mein Leben« vor einigen Tagen einen Aktionstag auf verschiedenen deutschen Flughäfen. »Wir wollen das Bewusstsein der Bevölkerung dafür schärfen, dass Profilbildung uns im Alltag immer stärker umgibt, ohne dass wir das mitbekommen«, beschreibt Engelking das Ziel der Initiative. Denn aus Reisedaten lassen sich Bewegungsprofile erstellen, die kombiniert mit Kommunikationsdaten ein umfassendes Persönlichkeitsprofil ergeben und eine Verhaltenskontrolle ermöglichen.
»Die meisten Menschen wissen nicht, was sie dagegen tun können. Daher wollen wir Bürger animieren, ihren Einfluss auf Abgeordnete geltend zu machen«, sagt der Kölner Mitinitiator zum Hintergrund der Aktion. Begleitet von einer Postkartenaktion an EU-Abgeordnete plant das Bündnis für den 11. April einen weiteren Aktionstag auf deutschen Flughäfen. Eine ähnliche Postkartenaktion hatte der Verein Digitale Gesellschaft bereits 2012 durchgeführt und das Resultat auf der Webseite pnr.digitalegesellschaft.de veröffentlicht. Dort ist aufgeführt, welche Abgeordneten für beziehungsweise gegen die EU-Richtlinie stimmen wollen. Es gebe auch schon Stimmen, die Passagierdaten von Bahn- und Schiffsreisenden erfassen und auswerten wollten, berichtet Engelking. Ab Mai will Verfolgungsprofile.de daher die Aktionen ausweiten und zunächst die Datensammelwut im Kfz-Bereich thematisieren. Denn vernetzte Autos und die Mautpläne der Bundesregierung führen zu großen Mengen personenbezogener Daten. Mit besonderen Aktionstagen wolle man Autofahrer ansprechen, so Engelking.
Doch auch ohne die Daten von Autofahrern, Bahnreisenden und Schiffsreisenden steht fest: Finanztransfers, Videokamera, Kommunikationsverhalten und Bewegungsdaten - George Orwell würde angesichts der heutigen Überwachungsmöglichkeiten erblassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.