Suizid oder Amokterror

Von der Blackbox hinter der Stirn

  • Schmidbauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Selbstmord-Attentate auf das World Trade Center haben die zivilisierte Welt erschüttert. Es erinnert an Motive antiker Mythen, dass gerade der Versuch, solchen Gefahren zu begegnen, in eine neue Tragödie geführt hat. Die schusssichere Tür, die nur von innen freigegeben werden kann, ermöglichte es einem Copiloten, in tödlicher Ruhe auf eine Felswand zu rasen. Der hilflose Pilot konnte nichts tun.

Wer in den aufgeregten Tagen nach dem ersten Verdacht die Kommentare studierte, entdeckte Muster in den Reaktionen: absolutes Unverständnis, Larmoyanz über die Rätsel der Seele, Anklage gegen die Grausamkeit eines Täters, der - statt sich alleine umzubringen - hundertfünfzig Unschuldige mit in den Tod nimmt. Auf der Pegida-Website überboten sich Kommentatoren in der Überzeugung, der Täter sei entweder verrückt oder ein islamistischer Konvertit, gefolgt von höhnischer Zustimmung: das mache doch keinen Unterschied, sei ohnehin ein und dasselbe.

Aber schon in der Auseinandersetzung mit dem 11. September wurde den nachdenklicheren Betrachtern klar, dass solche Exzesse der Destruktion auf beunruhigende Weise modern sind und im Grund wenig mit archaischen religiösen Mustern (»heiliger Krieg«) zu tun haben.

Da ist einmal die Verwandtschaft zwischen dem Selbstmordterror und dem (Schul)Amoklauf junger Menschen. Beides zerstörerische Aktionen, die mit der modernen Rolle des Prothesengottes zusammenhängen, wie Freud den von seinen Geräten immer abhängigeren Menschen nannte. Ein Amoktäter ohne Sprengstoff, ohne automatische Schusswaffe kann Schaden anrichten, doch ist dieser kleiner im destruktiven Ergebnis und erfordert mehr persönlichen Mut in der Ausführung als etwa Anders Breiviks Mordorgie in Norwegen.

Wer sich still in einer Ecke entleibt, findet wenig Aufmerksamkeit. Die Macht der narzisstischen Bedürftigkeit ist vielleicht die unheimlichste Qualität in Taten wie der des Copiloten der Germanwings-Maschine. Ich hatte einige Male in meiner psychoanalytischen Arbeit die Gelegenheit, Piloten näher kennen zu lernen. Sie alle beschrieben eine für ihre Arbeit charakteristische Mischung aus Triumphgefühl und Angst, in den letzten Jahren gemischt mit Empörung über wachsenden beruflichen Stress.

Die Fluggesellschaften betonen zwar nach außen immer noch die große Bedeutung ihrer Kapitäne und sorgen für schmucke Uniformen, dahinter aber wird die fürsorgliche Pflege der Arbeitsfähigkeit in einem sehr fordernden Beruf mehr und mehr zum Kostenfaktor, den man abbauen will. In kaum einem zweiten Beruf, ausgenommen vielleicht in dem des Chirurgen, werden seelische Probleme und Gefahren für die Arbeitsfähigkeit - wie der Konsum von Psychopharmaka oder Alkohol - so energisch verleugnet wie unter Piloten. Fliegen ist für den Menschen ein Traum. Wer ihn sich beruflich erfüllen kann, festigt in fast allen Fällen eine professionelle Haltung gegenüber den narzisstischen Verführungen durch ein Hochgefühl, dessen Kehrseite zwangsläufig die Depression ist. Gegenwärtig beschäftigt uns eine extrem seltene Ausnahme. Aber in dieser Auseinandersetzung dürfen wir das Augenmaß nicht verlieren und nicht aufhören anzuerkennen, dass es fast immer gelingt, den Kindertraum vom Fliegen in eine stabile berufliche Rolle umzuwandeln. Denn einfach ist diese Transformation nicht.

Was ist das für ein Mensch, der eben noch mit seinem Partner im Cockpit plaudert und ihn dann bei erster Gelegenheit tötet? Ein Pilot, mit dem ich sprach, konnte die Tat nicht fassen. Er erinnerte sich daran, dass seine Kollegen immer die Passagierliste lesen - unbegreiflich, es seien doch Babys an Bord gewesen und Schulkinder!

Man kann davon ausgehen, dass ein solcher Täter die Fantasie über seinen Untergang als Geheimplan in sich trägt und in der Beschäftigung mit diesen Gedanken auch etwas wie inneren Frieden findet. Die Fachleute sprechen von einer charakteristischen Einengung des Denkens. Dazu gehört auch ein hohes Maß an Aggression, das sich gegen die eigene Person richtet und ausblendet, was die Tat bei Dritten bewirkt. Auch ein kaum kritisierter Täter wie der Torwart Enke hat die seelischen Verletzungen seiner Familie und des zum Vollstrecker gemachten Lokführers ignoriert.

Ein Pilot fühlt sich auf einer emotionalen Ebene eins mit seinem Flugzeug und hat vielleicht öfter erlebt, wie ihn sein Beruf aufwertet. Umso schlimmer ist für narzisstisch sehr bedürftige Menschen die Fantasie, ein Versager zu sein, ein zentrales Zeichen der gerade noch kompensierten Depression. Persönliche oder gesundheitliche Krisen, Liebeskummer, die Angst vor Fluguntauglichkeit können dann die verhängnisvolle Fantasie der kalten Rache am eigenen Ich und an seinen Prothesen inszenieren. So banal es klingt, so grausam die Folgen sind: der 27-jährige Copilot des Flugzeuges hat vermutlich in den letzten fünf Minuten seines Lebens nur an sich gedacht.

Lassen sich solche Entwicklungen voraussehen? Nach allgemeiner Erfahrung bei einem entschlossenen Täter nicht. Hilfreicher als ein Wächter in der Kabine oder der Psychotest neben der medizinischen Untersuchung wäre mehr Rücksichtnahme der Fluggesellschaften auf den seelischen Stress der Piloten und ein differenziertes Behandlungsprogramm. Solange sie fürchten müssen, dass ein offener Umgang mit den eigenen psychischen Problemen sie die Flugtauglichkeit kostet, werden die Flieger eisern schweigen.

Wolfgang Schmidbauer veröffentlichte 2009 im Gütersloher Verlag eine »Psychologie des Terrors«.

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