Smartphone als Assistent
Projekt der Uni Dresden erforscht die Potenziale einer App für das Krankheitsmanagement von Patienten mit bipolarer Störung
Abends nimmt Mia ihr Smartphone zur Hand, es ist ein Ritual. Doch sie will keine Nachricht schreiben oder Freunde anrufen, sie will festhalten, wie sie geschlafen hat, welche Medikamente sie genommen hat und wie sie sich fühlt. «Und wenn ich es vergesse, werde ich daran erinnert», erzählt die 57-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht nennen will. Auf ihrem Telefon blinkt dann ein Regler, der sich verschieben lässt. «Links heißt depressiv, rechts völlig aufgedreht.» Im Moment ist Mia ruhig, meist schiebt sie den Regler in die Mitte. Aber es gab auch andere Zeiten. Mia ist manisch-depressiv.
Seit einigen Wochen nimmt sie an einem Pilotprojekt der Dresdner Universitätsklinik teil. Dafür halten Ärzte per Smartphone und eigens entwickelter App Kontakt zu psychisch Kranken. Die Patienten müssen sich nicht nur jeden Abend selbst einschätzen. Auch Bewegungsmuster per GPS, Aktivitäten, Telefonate und SMS werden erfasst. In einer manischen Phase sei der Erkrankte praktisch permanent unterwegs, verschicke auch mal 500 SMS am Tag, erklärt Michael Bauer, Direktor der Dresdner Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Smartphone könne helfen, so eine manische Phase früh zu erkennen - und den Kontakt zu den Patienten nicht abreißen zu lassen.
Für jeden Patienten wird ein persönliches Smartphone-Profil ermittelt. «Dann definieren wir eine Schwelle», erklärt Projektleiter Emanuel Severus. Wenn die nach oben oder unten abweiche, bekomme der Arzt eine Nachricht und schließe sich mit dem Patienten kurz - per Anruf, Mail oder SMS. «Wir wollen den Patienten personalisierte Angebote unterbreiten», so Severus. Da sei die moderne Technik sinnvoll. «Es wäre sträflich, das links liegen zu lassen.» Noch gibt es die App nur für die Studie, bei Erfolg soll sie regulär auf den Markt kommen. Mia kennt die ganze Gefühlspalette. Phasenweise, so beschreibt es die 57-Jährige, ist sie «außer sich». Dann will sie alles auf einmal erledigen, verspürt grenzenlosen Tatendrang, schläft wenig, isst kaum. Nach einigen Wochen hat sie nur noch wenig Kraft, fühlt sich antriebslos, müde, verzweifelt, depressiv. Extreme Stimmungsschwankungen sind typisch bei einer bipolaren Störung. Das abendliche Einschätzen am Smartphone hilft der Frau, mit ihrer Krankheit umzugehen: «Es ist gut, sich bewusst mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen.»
Bei der 57-Jährigen selbst wurde die bipolare Störung erst spät erkannt. «Dabei habe ich schon häufig bemerkt, dass ich extreme Phasen durchlaufe», so Mia. Das erste Mal hat es sie mit 18 Jahren aus der Bahn geworfen. Seither habe sie immer wieder Psychotherapeuten und Hausärzte aufgesucht, die sie vor allem wegen Depressionen behandelt hätten. «Im vergangenen Oktober war es dann so schlimm, dass ich nicht weiterleben wollte». Sie wurde in die Uniklinik eingewiesen, dort bekam sie die Diagnose. Jetzt kann sie besser mit der Krankheit umgehen.«
Projektleiter Severus kennt das Problem. Nicht selten würde Ärzten eine bipolare Störung als reine Depression »durch die Lappen« gehen. »Man muss schon aktiv nachfragen.« Die wenigsten Patienten berichten von sich aus von dem vermeintlichen Hochgefühl. »Weil sie das ja als angenehm erleben.« Nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen vergehen von der ersten depressiven Episode bis zu richtigen Diagnose mitunter zehn Jahre. Rund 800 000 Menschen sind nach ihren Angaben betroffen. Das Dresdner Projekt ist Teil eines bundesweiten Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen, 25 Universitäten machen mit. Das Netz wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 35 Millionen Euro gefördert, zwei Millionen Euro fließen in das Großprojekt der Uniklinik in Dresden. In fünf Studienzentren wird zu bipolaren Störungen geforscht - neben Dresden in Hamburg, Berlin, Bochum und Frankfurt/Main.
Die Studie beginnt in zwei Monaten mit rund 120 Teilnehmern. Noch sucht die Uniklinik Probanden. Die Hälfte der Teilnehmer bekommt ein Smartphone, die andere nicht - dann wird verglichen. Das Ziel: »Anzeichen früh zu erkennen und effektiv zu behandeln«, sagt Severus. dpa/nd
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