Moralisches Monster
Im Kino: »A Girl walks Home alone at Night« von Ana Lily Amirpour
Der Film sollte aussehen, »als hätten Sergio Leone und David Lynch ein gemeinsames Baby und dafür Nosferatu als Babysitter bestellt«, sagte die iranische Regisseurin Ana Lily Amirpour über ihre doppelbödige und sinnliche Horror-Romanze »A Girl walks Home alone at Night«. Das Ergebnis zerschellt an diesen nicht gerade bescheidenen Erwartungen aber keineswegs.
Man könnte mit Jim Jarmusch sogar noch einen dritten Kultregisseur in die Gruppe der Paten aufnehmen - wenn Leone zu Western-Appeal und Lynch zur subtilen Boshaftigkeit inspirierte, so geht die Anregung zu den wunderschönen, stilsicheren Schwarz-Weiß-Bildern einer sich kaum bewegenden Kamera sicher auch auf das Konto Jarmuschs. In der Lust am Genremix, an Popzitaten und im gewagten und absolut gelungenen Einsatz der Musik erkennt man auch starke Einflüsse Quentin Tarantinos.
Die fiktive iranische Ölstadt Bad City ist die heutige Entsprechung zum gottverlassenen Westernkaff nach dem Goldrausch, sie ist die Resterampe der Gesellschaft: Ausgelaugte Malocher, lebensmüde Junkies, profitgeile Dealer und erniedrigte Prostituierte schleppen sich tagsüber in die Raffinerien und durch die staubigen Straßen dieser feindlichen, öden Geisterstadt.
Des Nachts geht hier der Tod um. Auf einem Skateboard und in einen Tschador gehüllt, streift ein namenloses Mädchen (Sheila Vand) durch die Nächte - ein gruseliges Phantom, ein zierlicher Racheengel, ein Vampir neuen Typs. Denn diese Blutsaugerin legt bei der Opfersuche offenbar moralische Kriterien an. Während sie Frauen misshandelnden Kriminellen ihre Reißzähne in den Hals schlägt, ohne mit der Wimper zu zucken, werden die Schwachen der Gesellschaft verschont. Und auch wenn diese Nachtgestalt zunächst niemand wahrzunehmen scheint, beobachtet sie umso schärfer das ungerechte Treiben in der Stadt. Die Leichen, die entgegen dem Originalmythos nicht zu Vampiren werden, entsorgt sie in einem trockenen Flussbett. Zwischen dem ziellosen, aber gutherzigen Arash (Arash Marandi) und dem schönen Monster entsteht eine zarte und wortkarge Freundschaft.
»Ich wollte einen iranischen Film machen. Da ich offensichtlich nicht in Iran drehen konnte, lag die Lösung in der Erfindung des gesamten Films«, erklärt die Regisseurin die Entscheidung, ein eigenwilliges und eigenständiges Universum für ihre an Ikonen wie James Dean oder Sophia Loren erinnernden Protagonisten zu schaffen, in dem die normalen Regeln des Alltags außer Kraft gesetzt sind.
Amirpour hat - mit iranischen Darstellern und in Farsi - einen iranischen Film geschaffen. Dass er nicht in Iran gedreht werden konnte, sondern in den USA entstand, demonstriert einmal mehr die selbstzerstörerischen Auswirkungen des furchtbar strengen Zensurregimes in dem vorderasiatischen Land - hätten sich die Mullahs doch bei einem Mindestmaß an Toleranz nun in den weltweiten Lobeshymnen für »A Girl walks Home ...« sonnen können. Immerhin verzichten die Sittenwächter des offiziellen Iran bislang auf öffentliche Geißelungen des Films, obwohl ihnen das dort präsentierte, extrem pessimistische Gesellschaftsbild gehörig gegen den ideologischen Strich gehen dürfte. Und auch Amirpour verkniff sich gottlob allzu platte Politisierungen und Islamressentiments, zu denen die Grundkonstellation (weiblicher Vampir als Racheengel für die unterdrückte muslimische Frau) offensichtlich hätte einladen können.
Die Regisseurin hat in ihrem ersten langen Spielfilm gekonnt ein mythisches Gefühl von Zeitlosigkeit, eines schrulligen Grusels und eines surrealen Zwischenzustands geschaffen. Viel mehr aber auch nicht, könnte man monieren. Und tatsächlich treten die Handlung und anklingende Gesellschaftskritik völlig in den Hintergrund - was man je nach Geschmack begrüßen oder bedauern kann. Der Film ist vielleicht hie und da etwas zu langsam und auch eine konstruierte Vampirismus-Katzen-Parallele erscheint gewollt und hingebogen. Nur: Das trübt den Genuss dieses kleinen und gemeinen Films keineswegs.
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