Das Mandat als Nebenjob
SPD-Abgeordneter Peer Steinbrück konzentriert sich wieder aufs Außerparlamentarische
Ein Witz soll das Eis brechen. »Meine wichtigste Funktion ist zurzeit, dass ich Aufsichtsratsmitglied bei Borussia Dortmund bin«, sagt Peer Steinbrück im gut gefüllten Veranstaltungssaal des luxuriösen Berliner Maritim Pro Arte Hotels. Im Raum bricht wohlwollendes Gelächter aus. Der SPD-Politiker ist als Gastredner vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) eingeladen worden, dessen Mitglieder von der neoliberalen Agenda 2010 der rot-grünen Koalition profitiert haben. Die damals beschlossenen Deregulierungen führten dazu, dass Leih- und Zeitarbeit sowie damit verbundene prekäre Beschäftigung zugenommen haben. »Ich war ein großer Befürworter der Agenda 2010«, verkündet Steinbrück. Dann lächelt er schelmisch und scherzt über mögliche hellseherische Fähigkeiten des iGZ. Der Verband hatte sich nämlich kurz vor dem Wechsel zu Rot-Grün 1998 gegründet.
Im Bundestagswahlkampf 2013 hatte Steinbrück noch andere Töne angeschlagen. Damals musste er als Kanzlerkandidat seine gesamte Partei, in der viele Mitglieder und Funktionäre noch immer mit der Agenda-Politik hadern, hinter sich bringen. Steinbrück versprach eine Politik der Umverteilung und der sozialen Verbesserungen. Das tat er wohl gegen seine eigene Überzeugung. Inzwischen ist er wieder ein Einzelkämpfer, der in einem Interview der SPD vorgeworfen hat, im Bundestagswahlkampf fälschlicherweise den Eindruck vermittelt zu haben, das Land stehe am Abgrund und bestehe aus »einer Ansammlung von Opfern«. Dabei sei Deutschland doch in einem ganz guten Zustand, meint Steinbrück. Auch bei seinem Auftritt vor den Zeitarbeitsunternehmern erwähnt er die zunehmende Armut in der Bundesrepublik einfach nicht.
Das Gemecker über die eigene Partei fällt Steinbrück auch deswegen leicht, weil er als einfacher Bundestagsabgeordneter keine wichtige politische Funktion mehr ausübt. Wie in der Zeit vor seiner Kanzlerkandidatur ist Steinbrück erneut vor allem außerparlamentarisch aktiv. Er hält Vorträge, publiziert und nimmt Beraterjobs an. Für Aufsehen sorgte Steinbrücks Engagement für die »Agentur für die Modernisierung der Ukraine«. Diese wurde vom ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch, den die USA noch vor einem Jahr in Österreich wegen Korruptionsvorwürfen verhaften ließen, initiiert. Nach öffentlicher Kritik hat Steinbrück allerdings vor Kurzem erklärt, er wolle diesen Beraterjob überdenken.
Auf seiner Website listet der SPD-Mann sechs entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat auf. Hinzu kommen sein Engagement bei Borussia Dortmund und einige Funktionen in Stiftungen. Dabei war Steinbrück einst als Kanzlerkandidat wegen seiner hohen Vortragshonorare und wegen eines bezahlten Auftritts bei einer Kanzlei, die einst unter anderem das Bankenrettungsgesetz für Steinbrücks Finanzministerium entworfen hatte, in die Kritik geraten. An den Vortragshonoraren des Hinterbänklers Steinbrück ist das öffentliche Interesse hingegen weniger groß.
Die Einladung durch den iGZ zeigt, dass Steinbrück bei einigen Interessenverbänden noch immer ein gefragter Mann ist. Sein Gesicht erscheint auf einem großen Bildschirm, damit auch die hinten im Saal sitzenden Zuschauer Steinbrücks Mienenspiel beobachten können. Der SPD-Mann macht eine bedeutungsvolle Pause. Nachdem er über vermeintliche Erfolge der deutschen Wirtschaft geredet hat, kommt er nun zu den Zukunftsherausforderungen. »Es droht wegen des demografischen Wandels ein Fachkräftemangel«, warnt Steinbrück. Doch die Lösungen liegen für ihn auf der Hand. Es sollten mehr Frauen in Jobs gebracht und gleichberechtigt bezahlt werden. Zudem sei eine geordnete Zuwanderung notwendig, die nicht »in die Sozialsysteme« laufen sollte. Nur die für die Wirtschaft nützlichen Migranten sollen also langfristig in Deutschland willkommen sein. Bei Unternehmensvertretern hört man so etwas gerne. Nach der Rede gibt es wohl auch deswegen viel Applaus.
Doch nicht alle Teilnehmer sind begeistert von Steinbrücks Auftritt. Der Grund dafür ist, dass der Sozialdemokrat zwar bekennt, ein »entspanntes Verhältnis zur Zeitarbeit« zu haben, sich aber auch weitgehend im Sinne der derzeitigen schwarz-roten Politik für begrenzte politische Interventionen ausspricht, um »gleiche Wettbewerbsbedingungen« zu schaffen. Einem jungen Mann ist das zu viel. Er steht auf und fragt den Redner: »Warum werden wir von der Politik nicht als normale Arbeitgeber wahrgenommen? Warum wird immer auf uns rumgehackt?« Steinbrück verzieht das Gesicht und weist die Vorwürfe zurück. Er habe ein differenziertes, »eher positives Bild« von der Zeitarbeitsbranche gezeichnet. Wenig später sitzt der Politiker im Flugzeug nach Köln. Er habe noch viele Termine, erklärt eine Vertreterin des iGZ zum Abschied.
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