Gut Range will Weile haben
Der Generalbundesanwalt und die Aufklärung des BND-NSA-Skandals
Politik und Populismus haben nicht nur den Anfangsbuchstaben gemein. Das V wie Vernunft kommt erst am Schuss des Alphabetes. So mag die Auflösung aller Geheimdienste aus Sicht eines Teils der Opposition zwar begründet sein, durchsetzbar ist das auf absehbare Zeit nicht.
Nach allem, was bisher über den Skandal im Skandal bekannt ist, lieferte die US-amerikanische NSA dem BND für die Überwachung des Datenverkehrs Suchmerkmale - sogenannte Selektoren - wie Telefonnummern oder IP-Adressen. Deren Anwendung verstieß gegen deutsche und europäische Interessen, vom Recht ganz zu schweigen. 40 000 Selektoren sortierte der BND nach eigenen Angaben über die Jahre aus. Mehrere Tausend fielen aber erst bei intensiver Suche auf. So ist es denkbar, dass der BND zur Bespitzelung von aus- wie inländischen Politikern und Firmen beigetragen hat. Möglicherweise hat der Geheimdienst auch die Gelegenheit genutzt und sich selbst mit Informationen bereichert, die ihm laut Gesetz nicht zustehen.
Denkbar, möglich ... so beschreibt man keine Gewissheiten. Die soll - so vorhanden - Generalbundesanwalt Harald Range finden. Der berichtet am heutigen Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestages über »Konsequenzen und Schlussfolgerungen aus den aktuellen Enthüllungen um die Kooperation des BND mit der NSA«.
Was wird, was kann er sagen? Erstens, dass er politisch unabhängig agiert und zweitens, dass er über laufende Untersuchungen nichts sagen kann. Er wird um Geduld bitten und Akribie versprechen. Zur Zeit prüfe er, ob es überhaupt Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht einer Straftat gibt. Die in seinen Zuständigleitbereich fällt. Das klingt juristisch, das klingt unverbindlich. Beides stimmt.
Der Verdacht des Landesverrats hängt in der Luft. Er ist nicht von Pappe. Mit einem solchen Verdacht wurde einst die »Spiegel«-Redaktion gestürmt. Der Generalbundesanwalt könnte gut 50 Jahre später eleganter operieren, wenn er ein Dutzend seiner Ermittler, aufgefüllt durch Beamte des Bundeskriminalamtes in die entsprechenden BND-Liegenschaften schicken würde, um Akten zu beschlagnahmen, Daten zu kopieren und Geheimdienstagenten verschiedener Ebene zu befragen.
Das genau macht Range aber nicht. So wie er nicht ermittelte, als es um das abgehörte Kanzlerhandy oder die Internetbespitzelungen eines Erlanger Studenten ging. Auf eine Nachfrage, wie es denn um die Ermittlungen gegen den BND-Mitarbeiter steht, der für die CIA zugange war, bat Ranges Sprecherin das »nd« zu Wochenbeginn um Verständnis, dass man »mit Blick auf eine mögliche Gefährdung des Untersuchungszwecks in laufenden Ermittlungsverfahren zu Einzelheiten keine Stellung nimmt«. Der Mann sitzt bereits seit vergangenem Sommer in Untersuchungshaft. Daran, dass er Doppelspion war, gibt es keinen Zweifel. Doch vermutlich will Range kein weiteres politisches Beben in den transatlantischen Beziehungen erzeugen.
Vielleicht wartet Harald Range nur ab, was am heutigen Mittwoch im Parlamentarischen Kontrollgremium passiert. Dort werden der Innen- und frühere Kanzleramtsminister Thomas de Maizière sowie der heute für die Geheimdienstkontrolle zuständige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) Auskunft geben. Im Geheimen.
Bringen sie die Liste der NSA-Suchbegriffe mit? Kaum! Die Opposition im Kontrollgremium und der NSA-Untersuchungsausschuss wollen sie aber einsehen. Es handelt sich um Dokumente aus dem BND-Bestand und die sind quasi vorlagepflichtig. Geht nicht, denn damit würde man in die exekutive Eigenverantwortung nicht nur die der deutschen, sondern auch in die der US-Regierung eingreifen. Was ganz nicht im Auftrag des Untersuchungsausschusses steht, sagen Vertreter der Regierung.
Ausgerechnet das angezählte Kanzleramt konsultiert in dieser Frage erst einmal die US-Partner. Um sich ein »No« abzuholen. Bekommen wir die Listen nicht, klagen wir die Herausgabe ein, sagen LINKE und Grüne. Macht sich als rasche Schlagzeile gut, ist aber komplizierter. Und birgt eine enorme Gefahr: Stellen sich die Richter in Karlsruhe - wie erwartet werden kann - nicht auf die Seite der Kläger, ist ein Präzedenzurteil gegeben, mit dem auch künftig parlamentarische Aufklärung ganz legal gebremst werden kann.
So lange der Streit tobt, kann man aber eines ganz gewiss tun - das verlogene moralische Getue von wegen »unter Freunden tut man das nicht«, reduzieren. Es geht in der Politik auch unter Partnern nicht um Freundschaft, es geht um Interessen. Der BND ist durch ein bewusst diffus gehaltenes Gesetz verpflichtet, die von der Bundesregierung benannten Interessen zu befördern. Und Kooperation ist hilfreich, weil US-Gesetze nicht in Deutschland gelten. Und weil Frankreich, das in besonderer Weise von der NSA-BND-Spionage betroffen sein soll, nicht unterm Schutz des deutschen Grundgesetzes steht.
Fragt sich eigentlich mal jemand, wieso die französische Regierung keine empörte Depesche nach Berlin schickt. Aus Freundschaft - oder weil das P von Politik sich als Anfangsbuchstabe auch im Wort Pragmatismus findet?
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