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Die einfache Mehrheit muss reichen

Eine Alleinregierung steht weder für Tories noch Labour in Aussicht

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Freitag droht Britannien eine Lage wie Deutschland 2005: Trotz Mehrheitswahlrecht könnte es weder für David Camerons Konservative noch für Labour unter Ed Miliband zur Mehrheit reichen. Die Tories, die mit den Liberaldemokraten die erste Koalitionsregierung seit dem Krieg führten, und die oppositionellen Sozialdemokraten lagen laut letzten Umfragen vor dem Urnengang fast gleichauf: Im Schnitt sehen sie die Konservativen bei 34 Prozent, Labour bei 33. Mit prognostizierten 260 bis 280 Sitzen sind sie weit von der Mehrheit der insgesamt 650 zu vergebenden Sitze entfernt. Etwa 323 Mandate brauchen sie zum Regieren, da die irischen Nationalisten von Sinn Féin die ihnen zustehenden Sitze nicht annehmen werden. Gesucht wird bei dieser Unterhauswahl also nicht nur der nächste Premier, sondern auch wieder ein Koalitionspartner.

Anders als in Deutschland ist eine Große Koalition das unwahrscheinlichste Ergebnis. Zu tief sind die Gräben zwischen konservativer Austeritätspolitik und Labours geplanter Finanzierung von Infrastrukturprojekten zur Ankurbelung der Wirtschaft, zwischen Sozialkürzungen und langsamerer Defizitreduzierung durch Labours Finanzfachmann Ed Balls. In der Europapolitik unterstützt Miliband den Verbleib Londons in der EU, während Tories wie Außenminister Philip Hammond nicht nur auf einem Referendum beharren, sondern bereits offen für den Austritt plädieren.

Auch bei der nationalen Einheit klaffen Unterschiede zwischen links und rechts. Cameron und die konservative Presse beschimpfen Nicola Sturgeon, die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), als gefährliche Separatistin und malen ein Bündnis zwischen Miliband und der SNP als Bedrohung aus. Die SNP dürfte in Schottland - nur dort tritt sie an - mehr als 40 der 59 Wahlkreise gewinnen und damit insgesamt drittstärkste Kraft werden.

Miliband betont, für die arbeitenden Menschen und gegen die Millionäre regieren zu wollen: Das schließt auch ausländische Steuerflüchtige wie den Pressezaren Rupert Murdoch ein. Den beim Volk beliebten Nationalen Gesundheitsdienst will er vor schleichender Privatisierung schützen und hochpäppeln. Liberalenchef Nick Clegg meint, die stärkste Fraktion solle auch dem nächsten Kabinett vorstehen - natürlich in Verbindung mit den Seinigen - und hofft, dass die ihm wesensverwandten Tories das Rennen machen. Seine eigene Partei liegt in den Umfragen bei 8 Prozent. Nigel Farage von der EU-feindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP) fordert die Wähler auf, mit dem Herzen abzustimmen - die meisten ziehen im Wahllokal einen Bleistift vor. Mit seinem Populismus liegt er in Umfragen zwar bei 14 Prozent, UKIP wird aber wohl nicht über eine Handvoll Sitze hinaus kommen. Als fast Einzige wagt Grünen-Chefin Natalie Bennett einen Blick über die Inseln und Europa hinaus und erinnerte an das gefährdete Weltklima. Ihre Partei wird bei 5 Prozent gehandelt. Sonst war der Wahlkampf beherrscht von Negativität, Taktik und allenthalben viel Geschrei.

Auch Miliband muss zumindest in Schottland taktieren. Um seine letzten schottischen Getreuen noch zu retten und gleichzeitig englische Patrioten nicht zu verärgern, verspricht er, weder eine Koalition noch sonstige Bündnisse mit der SNP einzugehen. Aber dazu könnte es sehr wohl kommen, wenn er die Mehrheit seiner 41 schottischen Wahlkreise verliert. Denn nach der gescheiterten Volksabstimmung am 18. September bläst der politische Wind nördlich des Tweed nicht den geschlagenen Nationalisten, sondern Labour ins Gesicht. »Quislinge« beschimpft sie ein SNP-Kandidat in Edinburgh in Erinnerung an den norwegischen Hitler-Gehilfen. Labours Stützen versagen: Kohle, Stahl, Schiffsbau mit starker Gewerkschaftsbewegung und engagierten linken Stadträten, die katholische Kirche, die auf der Seite der traditionell diskriminierten Minderheit stand, sind von der Bildfläche verschwunden oder stark geschwächt. Labours Schottenchef Jim Murphy kann froh sein, wenn er den eigenen Wahlkreis behält.

Aber auch die SNP steht unter Druck. Wegen des noch stärkeren Hasses vieler Schotten auf die Konservativen könnte es die Nationalistenfraktion nicht wagen, eine Tory-Regierungserklärung zu akzeptieren oder eine von Labour niederzustimmen. Auch wenn die SNP die britischen Atom-U-Boote im Stützpunkt Faslane nördlich von Glasgow ablehnt, würde sich Miliband dank konservativer Hilfe in diesem Punkt durchsetzen. Kurz: Miliband könnte auch als zweiter Sieger regieren, wenn die Mandatszahlen dies hergeben.

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