Dreiländereck in neuer Kriegssorge
Nach Gefechten in Mazedonien fürchten die Nachbarn die Destabilisierung der Region
Auch am Sonntag standen über der von Mazedoniens Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelten Stadt Kumanovo schwarze Rauchwolken. Unablässig knatterten die Helikopterrotoren. Aus dem am Vortag heftig umkämpften albanischen Stadtteil Diva war immer wieder das Rattern von Maschinengewehrsalven zu hören. Die genaue Zahl der Todesopfer ist noch unbekannt. Mindestens acht Polizisten und 14 Bewaffnete sollen bei den rätselhaften, am Samstagmorgen begonnenen Kämpfen gegen eine laut Regierungsangaben »Terroristengruppe« getötet worden sein.
Die Kämpfer seien mit Maschinengewehren und Granaten ausgestattet und stammten aus Mazedonien und »aus einem der Nachbarstaaten«, so Innenministerin Gordana Jankuloska. Zu der Zahl der getöteten Gegner und zu möglichen Todesopfern unter den Anwohnern wollte sie sich zunächst nicht äußern: »Die Operationen auf dem Terrain halten leider noch immer an, solange bis der letzte Terrorist neutralisiert worden ist.«
Am Samstagmorgen hatten Schusswechsel die rund 100 000 Bewohner der Stadt im Dreiländereck zu Serbien und Kosovo aus dem Schlaf gerissen. Viele fühlten sich an die Kämpfe von 2001 erinnert, als das ethnisch geteilte Land bei Scharmützeln zwischen albanischen Aufständischen und Regierungstruppen wochenlang am Rande eines Bürgerkriegs taumelte.
Besorgt warnen die Nachbarstaaten Albanien, Kosovo und Serbien nun vor einer erneuten Destabilisierung der Region. Vor allem in Serbien geistert wieder die Schreckensvision eines Großalbaniens unter Einschluss aller albanischen Siedlungsgebiete durch die Presse. »Beginn des Kriegs für ein Großalbanien!«, titelte am Sonntag aufgeregt das Boulevardblatt »Alo!«. »Großalbanien klopft an die Tür«, vermeldete düster der »Blic«.
Doch wer hinter der mysteriösen Terrorgruppe steht, ist trotz des angeblichen Bekennerschreibens einer bisher unbekannten »Garde der Republik Illyrien« weiter rätselhaft. Die Regierung des nationalpopulistischen Premiers Nikola Gruevski gibt zu verstehen, dass es sich bei den Kämpfern um frühere Mitglieder von Kosovos einstiger Untergrundarmee UCK handele. Regierungskritiker und die Opposition wittern in den rätselhaften Kämpfen hingegen ein mit Hilfe krimineller Söldner inszeniertes, aus dem Ruder gelaufenes Manöver der Regierung, um vom eigenen Problemsumpf abzulenken. »Niemand kennt die Leute, die angeblich die Polizei angegriffen haben«, konstatiert der Publizist Emin Azemi aus Kumanovo. »Wer auch immer sie sein mögen, es handelt sich um ein dilettantisches Abenteuer, das dem Regime von Gruevski dient.«
Seit Monaten wird der Vielvölkerstaat durch einen Abhörskandal erschüttert, der den lange unangefochtenen Gruevski zunehmend bedroht. Ob Wahlfälschung, Bespitzelung und Ausschaltung von politischen Gegnern - die Opposition veröffentlichte erschütternde Aufzeichnungen. Nach der jüngsten Enthüllung über die Vertuschung eines von Polizisten begangenen Mordes hatten sich Proteste gegen die Regierung erstmals auch auf Städte in der Provinz ausgedehnt.
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