NSA spionierte in größerem Umfang als bekannt
Linkenpolitiker Hahn: Bundesregierung endlich die Karten auf den Tisch legen / Bericht: Offenbar mehr Selektoren aktiv geschaltet und tatsächlich zur Ausforschung benutzt
Berlin. Der US-Geheimdienst NSA hat einem »Spiegel«-Bericht zufolge in größerem Umfang gegen bundesdeutsche Interessen spioniert als bislang bekannt. Mehr als die Hälfte der rund 40.000 Suchbegriffe, die der Bundesnachrichtendienst (BND) aussortiert habe, seien aktiv geschaltet gewesen, berichtete das Magazin am Freitag. Die Linke reagierte empört und forderte, die Bundesregierung müsse endlich für Klarheit sorgen.
Der Vorsitzende des für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, der Linkenpolitiker André Hahn, verlangte die sofortige Übermittlung der so genannten Selektorenlisten an das Parlament. »Der Spionageskandal um BND und NSA wird Woche für Woche größer, doch Bundesregierung und BND unterlaufen weiter die parlamentarische Aufklärung und verstecken sich hinter der US-Administration«, sagte Hahn. »Wenn die NSA mit Hilfe des BND mit über 20.000 Selektoren gegen deutsche und europäische Interessen spioniert hat und damit deutsches Recht zehntausendfach gebrochen wurde, muss die Bundesregierung endlich die Karten auf den Tisch legen, falls ihr ihr Amtseid noch irgendwas bedeutet.«
Insgesamt wurden dem Bericht zufolge rund 25.000 Selektoren zur Ausforschung auch von Behörden, Unternehmen und anderen Zielen in Europa verwendet. Die sogenannten Selektoren - also Suchkategorien - waren vom US-Geheimdienst NSA an den BND übermittelt worden. Auf deren Grundlage gewonnene Erkenntnisse wurden vom BND dann wiederum an die NSA weitergeleitet. Darunter waren offenbar auch Daten über deutsche Bürger und Unternehmen.
»Die Bundeskanzlerin muss entscheiden, wem sie sich verpflichtet fühlt: der US-Administration, die in ihrem Spionagewahn nicht einmal vorm Handy der Kanzlerin halt macht, oder dem Grundgesetz und dem Deutschen Bundestag, der sie ins Amt gewählt hat«, so Hahn. Er nannte es zudem »nicht hinnehmbar, dass aus den Reihen der Union und vom Verfassungsschutz unverschämte Unterstellungen gegen Abgeordnete laut werden. Diese Haltet-den-Dieb-Methode hat noch nie gefruchtet und ist angesichts der Schwere der im Raum stehenden Rechtsbrüche in der Geheimdienstzusammenarbeit zwischen BND und NSA in keiner Weise angemessen.« Zuvor hatten sich Politiker der Union kritisch dazu geäußert, dass vertrauliche Dokumente offenbar aus dem Bundestag den Weg in die Öffentlichkeit finden.
In einem Testat an das Bundeskanzleramt hatte der BND dem »Spiegel«-Bericht zufolge Ende April nur über 12.000 Selektoren informiert, die im August 2013 im »aktiven Profil« der NSA entdeckt worden seien. Dass bei einer weiteren Suche zusätzlich 13.000 Selektoren in der 4,6 Millionen Suchbegriffe umfassenden NSA-Spionageliste gefunden worden seien, sei dem Papier nicht zu entnehmen.
In der turnusmäßigen Regierungspressekonferenz wollte sich Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz am Freitag nicht zu den erst wenige Minuten zuvor veröffentlichten Informationen des »Spiegel« äußern. Über die Liste der Selektoren wird seit Tagen heftig diskutiert, Opposition und SPD fordern ihre Veröffentlichung. Die Bundesregierung verhandelt darüber derzeit mit der US-Regierung.
Der »Spiegel« berichtete am Freitag vorab aus seiner neuen Ausgabe außerdem, dass der BND das Bundeskanzleramt schon Anfang 2008 eindringlich vor amerikanischer »Wirtschaftsspionage« und »damit einhergehenden möglichen Schäden für die europäische Wirtschaft« gewarnt habe. Die Mahnung sei im Kanzleramt jedoch als übertrieben bewertet worden, berichtete das Magazin unter Berufung auf interne Regierungsdokumente.
Ende 2007 hatte demnach der oberste Geheimdienstkoordinator der USA in Berlin dafür geworben, die Zusammenarbeit an einem Datenknotenpunkt in Frankfurt am Main zu vertiefen. In einem Vermerk an den damaligen Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) hieß es dem Bericht zufolge, die US-Seite bestehe darauf, »alle (ungefilterten) Informationen zu erhalten«. Dies bedeute auch Gefahren für europäische Konzerne, warnte der BND das Kanzleramt demnach schriftlich.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen äußerte angesichts der anhaltenden Veröffentlichungen in der NSA-Affäre die Sorge vor Folgen für die Zusammenarbeit mit den USA. »Wenn seit Monaten immer wieder geheime Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen habe ich die Sorge, dass die Amerikaner zögerlicher werden mit der Zulieferung von Informationen«, sagte Maaßen dem SWR. »Das kann zu Erkenntnis- und Sicherheitsdefiziten in Deutschland führen.« Agenturen/nd
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