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Einfallstor für Korruption

Hersteller finanzieren Medikamentenbeobachtungen - was dabei herauskommt, ist unklar

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Pharmafirmen überreden Ärzte oft dazu, für ihre Arzneien Anwendungsbeobachtungen zu machen. Die Ergebnisse seien intransparent, sagt Transparency International. Zudem kassierten Ärzte fleißig ab.

Bevor ein Arzneimittel auf den Markt kommt, muss es getestet werden. Auch danach ist es sinnvoll, zu beobachten, wie Patienten das Mittel vertragen und ob die erwünschte Wirkung eintritt. Ärzte führen dazu Anwendungsbeobachtungen durch - finanziert von Pharmafirmen. Am Ende profitieren hauptsächlich die Konzerne und die teilnehmenden Mediziner. Zu diesem Ergebnis kommt Transparency International nach Auswertung tausender Informationen. Diese hatte die Anti-Korruptionsorganisation im Jahr 2011 beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angefordert. An diese drei Institutionen müssen Ärzte melden, wenn sie eine Anwendungsbeobachtung beginnen und beenden und wie viel Honorar sie dafür von wem bekommen.

Die Daten sollten dort ausgewertet sowie im Falle der Bundesbehörde BfArM im Internet für die Öffentlichkeit einsehbar gemacht werden. Das ist aber reines Wunschdenken, wie Transparency zeigt: So musste die Organisation unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz bei verschiedenen Gerichten klagen, um überhaupt Auskunft über die bei der KBV und dem BfArM gespeicherten Daten zu bekommen. Die GKV hatte die Auskünfte freiwillig erteilt. Selbst nach dem Urteil vom Juli 2014 weigerte sich das BfArM ein halbes Jahr lang, die Daten herauszugeben.

Eine Tatsache, die Rechtsanwalt Christoph Partsch ungläubig mit dem Kopf schütteln lässt: Dass sich eine Bundesbehörde weigere, ihre gesetzlich festgelegte Informationspflicht zu erfüllen und sich zu allem Überfluss einem rechtskräftigen Urteil nicht beugen wolle, sei ein »einzigartiger Vorgang«. Als endlich alle Daten vorlagen, stellten Partsch, der auch Vizevorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit ist, und die Transparency-Experten Dieter Hüsgen, Angela Spelsberg und Ulrich Keil fest, dass die drei Stellen offenbar völlig verschiedene Ablagesysteme nutzten, keinerlei Kommunikation untereinander stattfand und zudem Informationen unvollständig waren oder ganz fehlten.

Am Erschreckendsten war aber, so Spelsberg, die bei Transparency die Untersuchung koordiniert, dass sich weder das für Arzneimittelsicherheit zuständige BfArM, noch die GKV oder die KBV für den Verlauf oder die Ergebnisse der Anwendungsbeobachtungen interessiert hätten. Beim BfArM wurden die Meldungen demnach lediglich mit einer Posteingangsnummer versehen und chronologisch abgeheftet, sagte Hüsgen, der die Transparency-Arbeitsgruppe Informationsfreiheit leitet. Damit sei der Nutzen für die Allgemeinheit gleich Null, fasste Epidemiologe Keil zusammen. Er kritisierte die Anwendungsbeobachtungen als »unethisch« und »keinerlei wissenschaftlichen Kriterien genügend«.

Zudem seien sie ein gewaltiges Einfallstor für Korruption, so die einhellige Meinung der drei Transparency-Experten. Die meisten Verträge enthielten strenge Geheimhaltungsklauseln. Ergebnisse und eventuell im Beobachtungszeitraum auftretende Nebenwirkungen müssten von den Ärzten an die entsprechende Pharmafirma weitergeleitet werden - nicht wie in der ärztlichen Berufsordnung vorgesehen an staatliche Stellen wie das BfArM. Im untersuchten Zeitraum 2008 bis 2011 hätten die Konzerne über 265 Millionen Euro für Anwendungsbeobachtungen ausgegeben, so Spelsberg. Geschätzt dreimal so viel verdienten die Firmen vermutlich daran. Schließlich würden ihre Medikamente im Markt gehalten und im Zweifelsfall verschreibe der Arzt teurere Arzneien. Über eine Million Patienten und fast 127 000 Ärzte nahmen in den drei Jahren an solchen Studien teil - durchschnittlich belief sich das Honorar für einen Mediziner auf 19 000 Euro. Transparency wies aber darauf hin, dass Mehrfachnennungen nicht auszuschließen seien, weil die Namen der Ärzte aus Datenschutzgründen nicht herausgegeben wurden.

Die Organisation forderte am Montag in Berlin, dass das Arzneimittelgesetz geändert wird. Studien müssten registriert, nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt und ihre Ergebnisse sowie alle Nebenwirkungsmeldungen transparent gemacht werden.

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