Konfliktherd Sammelunterkunft
Nigerianerin erhebt schwere Vorwürfe gegen Sicherheitsleute in Berliner Asylbewerberheim
Die Vorwürfe wiegen schwer. »Alle vier Sicherheitsleute haben meinen Freund geschlagen«, sagt Ajayi Biola Bose. Die Nigerianerin war nach eigener Aussage am 14. April dieses Jahres auf dem Rückweg ins Flüchtlingsheim in der Haarlemer Straße in Neukölln, als sie von der am Eingang postierten Security abgewiesen wird. Weil sie ihr Portemonnaie verloren hat, kann die zweifache Mutter nicht die nötige Identitätskarte vorweisen. Ihren »Berlinpass« habe die Security nicht akzeptiert, sagt Bose. Auch nach dem sie erklärt, dass sie dringend zu ihrem zweimonatigen Kind ins Heim muss, darf sie nicht passieren. Nachdem der Freund der Frau, der das Kleinkind im Heim betreute, dazu kommt, eskaliert die Situation: Sicherheitsleute und Heimbewohner geraten aneinander. Nach Aussage der Bewohner werden sie geschlagen, geohrfeigt, stranguliert und geschubst. Erst nach Eintreffen der Polizei beruhigt sich die Lage. Ajayi Biola Bose und ihr Freund sowie zwei Mitarbeiter des Wachschutzes müssen ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Die Frau sagt, durch die Auseinandersetzung sei ihre Kaiserschnitt-Narbe aufgebrochen.
»Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Sollten sie sich bewahrheiten, muss das personelle Konsequenzen haben«, sagt der flüchtlingspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Fabio Reinhardt. Gerade in so sensiblen Bereichen wie der Flüchtlingsunterbringung sei es sehr wichtig, qualifiziertes Personal zu haben. Schon im Dezember 2014 habe das Parlament die Einrichtung einer Ombudsstelle beschlossen, um eine zentrale und neutrale Anlaufstelle für die Beschwerden von Flüchtlingen zu haben. »Diese wurde bis heute noch nicht umgesetzt«, kritisiert Reinhardt.
Der für das Heim zuständige und seit Monaten wegen diverser Vorwürfe in der Kritik stehende private Betreiber, die Professionelle Wohn- und Betreuungsgesellschaft (PeWoBe), will sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht zu der Auseinandersetzung äußern. Es gebe keinen Vermerk, heißt es. Man müsse erst die Wachbücher einsehen. In einem Brief, der »nd« vorliegt, teilte das Unternehmen den betroffenen Heimbewohnern jedoch bereits am 15. April mit, dass sie Hausverbot haben. Bei zwei Wachschutzmitarbeitern seien »Würge- und Bisswunden« festgestellt worden. »Tätliche Angriffe« stellen eine »Störung des Zusammenlebens« dar und verstießen gegen die Hausordnung, hieß es. Die Polizei ermittelt im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Aufgrund der laufenden Ermittlungen will sie jedoch keine Informationen zum Ablauf geben.
Der Vorfall wirft unterdessen ein Schlaglicht auf die hohe Konfliktdichte in den Sammelunterkünften für Flüchtlinge, von denen viele traumatisiert aus Kriegsgebieten nach Berlin gelangen. Zwar gibt es keine Statistik, wie oft die Polizei stadtweit zu Heimen alarmiert wird, erklärt ein Polizeisprecher. Doch allein für die Haarlemer Straße wurden 2014 vier Polizeieinsätze wegen Streitigkeiten registriert, in diesem Jahr waren es bisher zwei. Im Zusammenhang mit der ebenfalls von der PeWobe betriebenen Flüchtlingsunterkunft in der Maxie-Wander-Straße/Ecke Carola-Neher-Straße in Hellersdorf hat die Polizei 2014 sogar zehn Einsätze wegen Streitigkeiten registriert. 16 gewalttätige Konflikte zwischen Heimbewohnern wurden aufgezeichnet, viermal gab es Konflikte zwischen Bewohnern und Mitarbeitern des Wachschutzes. 2015 einmal.
Allein diese Aufzählungen widersprechen dem Bild des Senats, der nach den Vorwürfen zu Flüchtlingsmisshandlungen im nordrhein-westfälischen Asylbewerberheim in Burbach immer wieder erklärt, in Berlin seien ähnliche Fälle nicht bekannt. Im Gegensatz zur in Burbach eingesetzten Sicherheitsfirma hatte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) einst gesagt, die Berliner Security-Firmen in den Heimen seien alle zertifiziert und die Mitarbeiter müssten Führungszeugnisse vorlegen. »Mit Wachschutzaufgaben dürfen nur Unternehmen beauftragt werden, die beziehungsweise deren Beschäftigte über eine Sachkundeprüfung gemäß Paragraf 34a Gewerbeordnung (GewO) verfügen«, sagt die Sprecherin des für die Flüchtlingsunterbringung zuständigen Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), Silvia Kostner. Dies gelte auch für Nach- oder Subunternehmen, die im Auftrag des Wachschutzunternehmens tätig werden.
Wie stark die Security-Mitarbeiter inzwischen in die Flüchtlingsunterbringung in Berlin einbezogen werden, zeigt auch ein Blick auf die Zentrale Asylaufnahmestelle auf dem Gelände des LAGeSo selbst. Dort sind nach einem Scherenangriff durch einen Flüchtling auf eine Mitarbeiterin der Behörde inzwischen zwölf Sicherheitsleute der Firma Gegenbauer tätig – das ist jene Unternehmensgruppe, bei der Sozialsenator Mario Czaja (CDU) bis 2011 tätig war.
»Ohne Wachschutz würde hier nichts mehr gehen«, betont LAGeSo-Sprecherin Kostner. Die Männer, die einen Migrationshintergrund haben, verteilen Wartemarken, kanalisieren die bis zu 1000 Flüchtlinge, die täglich kommen. Außerdem nehmen sie Übersetzerfunktionen war. Verbände wie der Flüchtlingsrat beklagen indes seit langem die unwürdigen Bedingungen im Wartebereich. Auch die Order an das Sicherheitspersonal, Begleitpersonen zurückzuweisen, wird kritisiert.
Oppositionspolitiker wie Hakan Taş (LINKE) bezweifeln, dass die Sicherheitsfirmen den Anforderungen genügen. »Der einzige Betreiber, der umfangreich Führungszeugnisse vorlegt, ist die AWO«, sagt Taş. Außerdem hat der Abgeordnete festgestellt, dass private Betreiber in Berlin Tochterfirmen im Catering und im Sicherheitsbereich gegründet haben, um sie als Dienstleister in den Heimen einzusetzen. Durch Dolmetschertätigkeiten würden überdies die eigentlichen Sicherheitsaufgaben vernachlässigt, meint Taş.
Wenn am kommenden Donnerstag der erste Runde Tisch zur Versorgung von Flüchtlingen in Berlin zusammenkommt, dürften auch die Sicherheitsdienste Thema werden.
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