Die Zahlen der anderen
Ein Streiktagebuch aus Saarbrücken, sechster Eintrag
Nach einem Jahr Saarland kennst du alle, nach zwei Jahren bist du mit allen verwandt. Du musst mit deinen Feinden wie mit deinen Freunden auskommen. Der Bürgermeister von Schmelz scheint so ein Freundesfeind zu sein. Gerade versucht er mal wieder, die Eltern gegen die Erzieher auszuspielen, indem er öffentlich vorrechnet, wie die Kita-Gebühren für die Eltern steigen, wenn die Erzieher mehr verdienen.
Die Erzieher fordern aber nicht nur mehr Geld, und damit eine weniger schmerzliche Altersarmut, sondern auch: »Bildung ist MehrWert«. So steht es auf den T-Shirts der GEW. Damit ist auch frühkindliche Bildung gemeint.
Die Kita-Gebühren gehörten abgeschafft, rief ein Vertreter der ver.di-Senioren am Donnerstag in Brebach, weil nur gebildete Bürger ihre Interessen selbst vertreten könnten. Die »Turnhalle« in Brebach ist brechend voll, als die lokalen Delegierten von ver.di über die Streikdelegiertenkonferenz in Fulda unterrichten. In Fulda hat man erkannt, dass die »Rein-Raus-Taktik« von 2009 falsch war. Es war falsch, zu streiken, die Einrichtungen zu öffnen, zu streiken, zu öffnen. So wurde abgebremst, was jetzt im Dauerstreik von Tag zu Tag mehr Fahrt aufnimmt.
Am 12. Mai will die Polizei in Saarbrücken 700 Demonstranten gezählt haben. Ich weiß nicht, wie der SR auch für Schmelz in seiner Berichterstattung auf 700 kommt. Vielleicht waren das die Zahlen der anderen. Ich war an beiden Tagen dabei, und in Schmelz waren fühlbar, hörbar, sichtbar weit mehr Demonstranten unterwegs. Auch in Brebach sind es mehr als beim ersten Treffen dort. Immer wieder werden die Reden durch Klatschen auf Tische und in die Hände unterbrochen.
Dieser Streik ist der größte Dauerstreik, den die erfahrenen ver.di-Leute auf dem Podium je erlebten.
Steffi (die ver.dianer duzen einander) spricht vom »Gänsehautgefühl« beim »Queens«-Klatsch-Rhythmus, der in Fulda immer wieder aufkam. Ab Freitag um 10 Uhr wird es täglich einen »Klatsch-Flashmob der Erzieher« geben, denn dieser Streik muss über die Öffentlichkeit geführt werden. Schließlich schädigt gewöhnlich der Streik den Arbeitgeber, bis der gezwungen wird zu verhandeln. Im Kita-Streik aber sparen die Arbeitgeber Geld, weil sie die Gehälter nicht zu bezahlen brauchen und nehmen Geld ohne Gegenleistung ein, wenn sie den Eltern ihre Gebühren nicht zurück erstatten.
Also, und in dem Augenblick ging ein kleiner Schrecken durch die Reihen, könnte der Streik acht Wochen dauern. Ein Streik tut weh und muss weh tun. Bloß wem? Die Gewerkschaftsmitglieder insgesamt finanzieren solidarisch den Streik. Die Erzieherinnen bekommen mit dem Streikgeld (sofern sie gewerkschaftlich organisiert sind) nur einen Teil ihres Gehaltes. Die Eltern geraten unter großen Druck. Die Arbeitgeber der Eltern leiden. Die Kinder sind verwirrt, die Großeltern eingespannt.
Und die kommunalen Arbeitgeber der Erzieherinnen lehnen sich zurück und »sitzen den Streik aus«? Das darf einfach nicht sein!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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