Merkel und die Keime
Bundesregierung will zusammen mit den Herstellern ihre Antibiotika-Resistenz-Strategie in die Welt tragen
Einer Nachrichtenagentur zufolge hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Europas Pharmaindustrie im Wettbewerb mit der US-Konkurrenz Mut zugesprochen. »Wir sollten in Europa dafür kämpfen, ein starker pharmazeutischer Standort zu sein«, sagte Merkel am Donnerstag bei einem Besuch des französischen Pharmakonzerns Sanofi in Frankfurt am Main. Besonders der Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen sei ein wichtiges Forschungsgebiet. Sanofi Aventis ist der fünftgrößte Pharmakonzern der Welt mit über 30 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. »Ärzte ohne Grenzen« werfen den Pharmakonzernen vor, ihr Engagement in den vergangenen Jahrzehnten stark eingeschränkt zu haben, weil die Antibiotika-Forschung keine großen Profite verspreche. Das sagte Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne der Organisation gegenüber dem Evangelischen Pressedienst. »Seit 1987 ist keine neue Wirkstoffklasse auf den Markt gekommen«, so Frisch.
Der Bundesregierung sei das Problem dieses sogenannten Marktversagens durchaus bewusst, sagte Frisch. »Der nächste Schritt muss nun sein: Wenn ein öffentliches Gut wie Antibiotika gesellschaftlich gewünscht wird, aber von privaten Unternehmen nicht geboten wird, sind öffentliche Investitionen gefragt.« Damit öffentliche Mittel aber nicht letztlich gigantische Gewinne der Industrie speisten, müssten klare Regeln gelten. Dazu zählten Offenheit der Forschung und ein offener Zugang zu den entwickelten Medikamenten, erklärte Frisch. »Die Verwendungshoheit gehört in die öffentliche Hand.«
Erst vor wenigen Wochen hatte ein Report der Deutschen Angestellten Krankenkasse die Bedrohung durch antibiotikaresistente Keime thematisiert. Schätzungen zufolge verursachen sie allein in Deutschland bis zu 15 000 Todesfälle jährlich, weltweit geht die WHO von 700 000 aus. Bei den Keimen handelt es sich vor allem um Darmbakterien wie vancomycin-resistente Enterokokken und Colibakterien sowie Klebsiellen, die Blasenentzündungen hervorrufen. Weil die wirksamen Antibiotika im Übermaß verwendet werden - auch in der Massentierhaltung - haben Krankheitserreger Widerstandskräfte dagegen wickelt. Um neue Wirkstoffe zu entwickeln, mangelt es vor allem an finanziellen Ressourcen. Zwar förderte die Regierung die Entwicklung neuer Antibiotika 2014 mit etwa 10 Millionen Euro, doch Fachleute beziffern die Entwicklungskosten für ein einziges neues Antibiotikum bis zur Markteinführung auf 800 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro. Kommentar Seite 4
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