Nächste Runde zum Mietspiegel
Berufung gegen Urteil angekündigt
Das Berliner Landgericht wird sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Berliner Mietspiegel weiterhin als verbindliche Richtlinie für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete gilt. Der Mietrechtsanwalt Reinhard Lebek kündigte am Montag gegenüber »nd« an, dass sein Mandant Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 11. Mai einlegen wird, in dem einem klagenden Vermieter das Recht eingeräumt wird, die Miete auf einen Wert oberhalb des Mietspiegels zu erhöhen.
Wie aus der mittlerweile vorliegenden Urteilsbegründung hervorgeht, verlangte der Vermieter im Februar 2013 die Zustimmung des Mieters zu einer Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1. Mai 2013 auf 7,22 Euro pro Quadratmeter. Der seinerzeit gültige Mietspiegel wies für die Charlottenburger Altbauwohnung einen Durchschnittswert von 5,30 Euro als ortsübliche Vergleichsmiete aus, die Spanne betrug 4,25 bis sieben Euro. In der üblichen mietrechtlichen Praxis bedeutet dies, dass selbst bei Vorliegen aller anrechenbaren wohnwerterhöhenden Merkmale des Objekts maximal eine Erhöhung auf sieben Euro pro Quadratmeter gerechtfertigt gewesen wäre. Darauf stützte der Mieter seine Ablehnung des Erhöhungsverlangens, wogegen der Eigentümer wiederum klagte und in erster Instanz obsiegte.
Grundlage des Urteils ist ein vom Gericht bestelltes Gutachten, laut dem die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmieten im Mietspiegel »nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgt« sei. Geregelt ist das Vergleichsmietensystem im Paragrafen 558, Absatz 2, des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dort heißt es: »Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde ... für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage ... in den letzten vier Jahren vereinbart oder ... geändert worden sind.« Als Voraussetzung für die Bindungswirkung von Mietspiegeln wird ferner wissenschaftliche Methodik bei seiner Erstellung benannt.
Das Gutachten bemängelt die beim Berliner Mietspiegel vorgenommene »Extremwertbereinigung«, bei der die oberen und unteren fünf Prozent der Mieten in dem jeweiligen Segment aus der Berechnung fallen. Dies führe zu einer Verzerrung zuungunsten von Vermietern. Ferner werde die Grobeinordnung in einfache, mittlere und gute Wohnlagen der tatsächlichen Wohnqualität nicht gerecht. Im Urteil heißt es dazu, dass sich »der ehemals als sozialer Brennpunkt geführte Stadtteil in eine gut durchmischte, attraktive Innenstadtlage verändert« habe. Besonders der Zuzug von »Bürgern des Mittelstandes, größtenteils mit ihren Kindern« habe zu einer »erheblichen Aufwertung des Umfeldes der streitgegenständlichen Wohnung geführt«.
Anwalt Lebek sieht dennoch gute Erfolgschancen für die Berufung. Denn das Urteil widerspreche der gängigen Rechtssprechung zum Umgang mit qualifizierten Mietspiegeln. Sollte sich jedoch die Rechtsauffassung der Charlottenburger Richter durchsetzen, könnte auch die am 1. Juni in Berlin in Kraft getretene »Mietpreisbremse« bei Neuvermietungen verpuffen. Schon jetzt ruft der Immobilienverband Haus&Grund seine Mitglieder auf, das neue Gesetz, das für Neuverträge Aufschläge auf die bisherige Miete bei einem Wert von zehn Prozent oberhalb des Mietspiegels deckelt, bis zu einer endgültigen Entscheidung zu ignorieren. Beim Berliner Mieterverein (BMV), der den Charlottenburger Mieter vertritt, ist man empört über diesen offensichtlichen Rechtsbruch, gibt sich in Bezug auf das weitere juristische Verfahren gelassen. BMV-Geschäftsführer Reiner Wild weist darauf hin, dass alleine das Amtsgericht Wedding in jüngerer Vergangenheit vier Urteile gefällt habe, in denen die Wirksamkeit des Mietspiegels bestätigt wurde.
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