Spannung unter Freunden

Trainer Luis Enrique und sein Latino-Sturm

Luis Enrique hat in seinem ersten Amtsjahr beim FC Barcelona viel erreicht. Um das Triple seines Freundes Pep Guardiola zu egalisieren, muss er gegen Juventus Turin gewinnen: im sechsten Anlauf.

Die Buchmacher und die sogenannten Fußballexperten sind sich einig: Der Favorit im Champions-League-Finale heißt FC Barcelona. Einer, der diese Ansicht nicht teilt, ist Barças Trainer Luis Enrique - aus Erfahrung. Fünfmal trat er gegen Juventus Turin an, zweimal als Spieler des FC Barcelona und dreimal als Trainer des AS Rom - mehr als zwei Unentschieden sprangen dabei nicht heraus.

»Wer der wahre Favorit ist«, werde sich erst im Spiel im Berliner Olympiastadion zeigen. Solche relativierenden Allgemeinplätze sind bei Pressekonferenzen des Asturiers, der von 1996 bis 2004 als Spieler für Barça auflief, durchaus üblich. Für Unterhaltung jenseits des Spielfeldes zu sorgen, ist Enriques Anliegen nicht. Er lässt sich weder in die Karten und schon gar nicht in seinen Gemütszustand schauen. Abfällige Gesten von Starspielern wie Neymar nach Auswechslungen ließ er auch bei Nachfragen unkommentiert, nicht jedoch dessen missglücktes Kunststückchen kurz vor Schluss beim zu diesem Zeitpunkt längst entschiedenen Pokalfinale am vergangenen Wochenende gegen Athletic Bilbao. Der Brasilianer provozierte die gegnerische Mannschaft damit zu wütenden Reaktionen, die fast in einer Schlägerei geendet hätten - wie einst 1984 als Diego Maradona nach der Pokalfinalniederlage gegen Bilbao seine beachtlichen Karatekünste demonstrierte. Luis Enrique zeigte kein Verständnis für Neymar: »Ich hätte genauso oder schlimmer reagiert«, verteidigte er die baskischen Spieler. Neymar reagierte auf Enriques Aussage nur indirekt: »Warum die anderen Spieler sauer wurden, verstehe ich nicht. Ich habe ein normales Dribbling gemacht, so wie ich immer spiele. Ich werde mich nicht ändern.«

Das Verhältnis von Luis Enrique zu seinem sagenhaften lateinamerikanischen Angriffstrio Lionel Messi, Luis Suárez und Neymar (MSN) hat die gesamte Saison immer wieder für Schlagzeilen in den Medien gesorgt: von der These der autonomen Selbstverwaltung dieses Mannschaftsteils bis hin zu Mutmaßungen von einem kompletten Zerwürfnis mit Superstar Messi Anfang Januar, als der zwei Tage nach einem Langstreckenflug bereits wieder von Anfang an spielen wollte. Enrique setzte ihn, wie den ebenfalls erst mit Sondererlaubnis nach Silvester heimgekehrten Neymar, auf die Bank. Nach dem frühen Gegentor bedeutete er Messi feixend, sich warm zu machen. Ein Affront, den Enrique genauso ignorierte wie die Kritik der Medien an seiner exzessiven Spielerrotation, wenn sie wie bei den Heimspielen gegen Málaga und Celta Vigo oder in San Sebastían 0:1-Niederlagen nach sich zog. Alle Mannschaften setzten dabei auf die Taktik, die auch Juventus anwenden dürfte: hinten einigeln, die Räume für das für 120 Saisontore verantwortliche Sturmtrio MSN so eng wie irgend möglich machen und dann den einen oder anderen Nadelstich setzen.

Was auch immer die gegnerischen Trainer, angefangen von Bayerns Pep Guardiola, ersannen, in den letzten Wochen dieser Spielzeit waren Messi, Suarez und Neymar nicht zu stoppen. Mindestens einer traf immer, und noch nie war eine Barça-Mannschaft so abhängig von einem Trio: 25 der 28 Tore in der Königsklasse gehen auf ihr Konto, davon alle fünf gegen die Münchner im Halbfinale. Messi sieht die Angriffsreihe als die beste, in der er je gespielt hat: »Ich habe mit großartigen Stürmern zusammengespielt. Ich konnte eine tolle Partnerschaft mit Ronaldinho genießen. Da waren auch noch Samuel Eto'o, Thierry Henry, Pedro, David Villa oder Alexis. Es ist aber schwer, eine Aufstellung zusammen mit Neymar und Suárez zu übertreffen.«

Hinzukommt, dass sich das Trio auch neben dem Platz versteht; der Uruguayer Luis Suárez trifft sich mit Messi und dessen argentinischem Landsmann Javier Mascherano regelmäßig vor dem Training zum gemeinsamen Matetee-Trinken. Und Neymar, dessen Ankunft 2013 Messi argwöhnisch beobachtete, ordnet sich selbstverständlich hinter dem argentinischen Zauberfloh ein: »Ich lerne viel von ihm, auf und neben dem Platz«, erklärte Neymar nach einem Spiel, in dem ihm Messi einen Elfmeter überließ, obwohl er einen Hattrick hätte erzielen können und gegen Ronaldo im Wettstreit um die Torjägerkrone lag: »Das ist ein Detail, das ich niemals vergessen werde«, schwärmte Neymar von seinem Freund Messi.

So entspannt wie das Verhältnis von Messi zu seinen Sturmkollegen ist das zu Trainer Enrique sicher nicht, doch die Ungereimtheiten scheinen aus dem Weg geräumt. Kurze Umarmungen in Sichtweite der Kameras und ein Spruch hinter vorgehaltener Hand von Enrique zu Messi am Spielfeldrand, der diesen zum Lächeln brachte, sind für katalanische Medien eindeutige und in aller Breite dokumentierte Beweise, dass in »Can Barça« der Hausfriede wieder hergestellt sei. Fern scheint die Zeit, als von der für das Saisonende fest eingeplanten Entlassung Enriques zu lesen war, weil Messi angeblich dem Präsidenten Josep Bartomeu ein »Er oder ich« anheim gestellt hatte. Fünf Monate danach steht Barça vor dem Triple. Enriques Vertrag läuft noch ein Jahr. Ob er weiter macht, wollte er bisher nicht sagen. Vielleicht in Berlin.

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