Poseidons Zorn

In den Weltmeeren hat sich fast unbemerkt ein neuer Kontinent gebildet, der ausschließlich aus Müll besteht

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum heutigen Welttag des Meeres legt die UN dieses Jahr den Schwerpunkt auf die Meeresverschmutzung durch Plastik. Bevor es für die Weltmeere zu spät ist.

Wäre er nicht längst mit der griechischen Mythologie untergegangen, hätte Poseidon zur Zeit allen Grund, zornig zu sein. Mit seinem Dreizack und allzeit grimmigen Gesichtsausdruck wurde der Gott des Meeres als unberechenbarer Herrscher über die Gewässer beschrieben. Würde Poseidon sich heute aufmachen, um über die Weltmeere zu reisen, dann käme er mit Sicherheit zu einem neuen Kontinent. Er besteht aus einer gigantischen Anhäufung von Müll. Ein Kontinent, von seinem Ausmaß größer als Indien, der durch einen riesigen Wasserwirbel dort festgehalten wird. 3,4 Millionen Quadratkilometer ist die Oberfläche des Müllberges groß. Die UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur benannte den neuen Fleck als »Garbage Patch« (Müllfleck). Fünf Gebiete schließt der Müllfleck in den Ozeanen im Nord- und Südpazifik, Nord- und Südatlantik und Indischen Ozean ein.

Etwa 100 bis 150 Millionen Tonnen Abfälle befinden sich laut deutschem Umweltbundesamt in den Meeren. 60 Prozent des Mülls ist aus Plastik. Nur ein Bruchteil davon wird auch an den Stränden angeschwemmt und damit sichtbar. Der Großteil des Abfalls sinkt auf den Meeresboden. »Allein von Land aus gelangen jährlich bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikabfälle in die Ozeane. Unsere Meere verkommen zum Plastikendlager«, erklärt Sandra Schöttner von Greenpeace zum Welttag des Meeres. Den begeht die UN seit 2009, um weltweit die Aufmerksamkeit auf aktuelle Herausforderungen im Zusammenhang mit den Ozeanen zu lenken. Auf unserem Planeten sind die Weltmeere der größte Lebensraum. Vom Millimeter kleinen Plankton, bis hin zum 200 Tonnen schweren Wal leben dort ein Viertel aller bekannten Tierarten. Das Meer macht 70 Prozent der Erde aus, beeinflusst unser Klima, die Flora und Fauna und letztlich auch unsere Nahrung. Dass die Verschmutzung der Meere uns nichts angeht und wir weiter unbesorgt Plastikflaschen, Plastiktüten und anderen Wohlstandsmüll verschwenden können, ist ein gravierender Trugschluss.

»Nicht nur für zahlreiche Meerestiere birgt das Gefahren. Spätestens über die Nahrungskette landen Kunststoffpartikel samt Giftfracht wieder beim Verursacher«, und somit im Magen der Verbraucher, erklärt Schöttner. Gefährlich ist auch Mikroplastik, das sich in Kosmetik, Reinigungsmitteln, Kunstfasern, Flaschen und Verpackungen findet und somit auf den ersten Blick nicht als Plastik erkennbar ist. Sind die Plastikabfälle erst einmal im Meer gelandet, bleiben sie dort für die nächsten 500 Jahre. So lange dauert es, bis Plastik sich vollständig zersetzt hat. Ein schweres Erbe, dass wir auf diesem Planeten hinterlassen.

Der Niederländer Boyan Slat hat sich zum Ziel gesetzt, die Meere vom Abfall zu befreien. Sein Vorhaben »The Ocean Cleanup Project«, ein System aus schwimmenden Sieben, soll Plastik zusammentreiben und sammeln, um es schließlich zu recyceln. Eine gute und wichtige Idee. Jedoch eine Sisyphosarbeit, denn die Plastikabfälle haben sich längst in Kleinstteile zersetzt und sind in die Mägen der Wale, Fische und ins Plankton gelangt. Keine Plastiktüten mehr zu benutzen, wäre ein erster Schritt, die Meeres-Verschmutzung zu stoppen.

In dem ostafrikanischen Land Ruanda sind sie zum Beispiel bereits komplett verboten. Die EU tut sich damit noch schwer. Zu groß und einflussreich ist die Lobby derer, die das Plastik herstellen, zu gering das Interesse der Verbraucher, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Bis 2025 will die EU den Jahresverbrauch von Plastiktüten auf unter 40 Tüten pro Kopf reduzieren. Auch die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, das Problem politisch zu lösen. Sie setzt auf eine freiwillige Verpflichtung von Handel und Verbraucher. Mit gutem Beispiel geht Irland voran. Dort konnte der Jahresverbrauch von Plastiktüten pro Kopf um 95 Prozent gesenkt werden, nachdem es eine Abgabegebühr von 44 Cent gibt.

Der Untergang der griechischen Mythologie ist zutiefst zu bedauern. Denn vielleicht hätte sich Poseidons Zorn dann nicht nur gegen Odysseus, sondern auch gegen den eigentlichen Feind des Meeres gerichtet: den Menschen.

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