Trübe Brühe, roter Pfeffer
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sind die Wunschnachfolger von Gregor Gysi. Tom Strohschneider über ein unfreiwilliges politisches Duo
Wer wissen will, ob Sahra Wagenknecht schon in Bielefeld ist, braucht an diesem Samstag in der Stadthalle nur nach den Kamerateams zu schauen. Die Vizevorsitzende der Linksfraktion sitzt in der ersten Reihe vor der Bühne, links vorn, umringt von den Medien.
Die Aufmerksamkeit ist ihr auch sicher, als sie kurz darauf über die Griechenlandpolitik der Bundesregierung redet. Und über die SPD. Auf der Tagesordnung steht der Leitantrag des Parteivorstandes. Wagenknecht kritisiert die »gnadenlose Erpressung« der SYRIZA-Regierung in Athen. Sie wirft der SPD vor, dabei mitzumachen. Und sie sagt: »Die LINKE ist ganz sicher nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen.«
Es ist ein Wink. Wagenknecht hatte im März erklärt, sie werde nicht für den Vorsitz der Linksfraktion kandidieren, und das mit deren mehrheitlicher Zustimmung zur Verlängerung des Kreditprogramms für Griechenland begründet. Jetzt sagt sie: »Die Entwicklungen seit Januar zeigen, dass der Bundestagsbeschluss der SYRIZA-Regierung nicht geholfen hat. Das sehen inzwischen auch viele meiner Kollegen so.«
Ob die Linksfraktion in dieser Sache noch einmal mehrheitlich zustimmen würde, ist das Eine. Das Andere ist Wagenknechts Botschaft: einerseits nicht falsch gelegen zu haben, andererseits zu zeigen, dass sich seit der Bundestagsabstimmung im Frühjahr einiges geändert hat. Dass also auch der Grund für ihre damalige Entscheidung so nicht mehr besteht.
Wagenknechts Rede in der Debatte über den Leitantrag wird in Tagen, in denen alle auf eine Erklärung von Gregor Gysi warten, nach Signalen abgehört. Ein Hinweis auf die Zukunft des Fraktionschefs? Ein Fingerzeig, der etwas über Wagenknechts Pläne wissen lässt?
Wagenknecht sagt, sie sehe »überhaupt keinen Anlass«, jetzt »darüber nachzudenken, ob es schlimme und weniger schlimme Kriegseinsätze geben könnte« - es wird als Nein zu Äußerungen von Gysi verstanden, von denen mancher meinte, hier würde die Haltung der Partei zu Auslandseinsätzen aufgeweicht. Wagenknecht sagt, sie könne sich SPD-Chef Sigmar Gabriel nur schwer als Partner vorstellen - eine Absage an das Angebot von Gysi, die Sozialdemokraten könnten schon morgen den Kanzler stellen.
Die Frage, wie man es mit der SPD hält, ist ein Grundton dieses LINKE-Parteitags. Man hört viel Kritik. Von allen Seiten. Die Differenzen sind eher strategischer Natur und solche der Tonlage.
Dietmar Bartsch kommt in der Generaldebatte kurz nach Sahra Wagenknecht an die Reihe. Dass der Fraktionsvize und studierte Ökonom mit Gabriel per Du ist, liest man einmal die Woche in irgendeiner Zeitung. Noch öfter steht da, dass er einer der wichtigsten Köpfe der »Pragmatiker« und »Reformer« sei, wie zwei der Etikette lauten, die gern LINKE-Politikern umgehängt werden. Dass einmal ein gemeinsames Gespräch mit SPD-Chef Gabriel in einem Magazin abgedruckt wurde. Aha, sagen dann Leute in der Linkspartei.
Aha? Wer liest, was Bartsch über die Sozialdemokraten sagt, kann nicht zu eilfertigen Schlüssen neigen. Hart hat er Gabriel als Bundeswirtschaftsminister wegen dessen Politik der Rüstungsexporte attackiert. Er sagt, die SPD habe vor den Wahlen 2013 viel versprochen, tue aber nichts dafür, um die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Als Gabriel unlängst meinte, Angela Merkel werde die Wahl 2017 ja wohl ohnehin wieder gewinnen, legte ihm Bartsch sogar den Rücktritt nahe.
Es ist für Politiker nicht einfach, aus den Bildern zu treten, die andere von ihnen zeichnen. Sahra Wagenknecht wird heute manchmal noch als »Wortführerin des kommunistischen Flügels« vorgestellt. Im neuesten »Spiegel« musste sie zu einer Äußerung Stellung nehmen, die 1992 formuliert wurde. Die LINKE-Politikerin hat mit Goethe und Ludwig Erhard versucht, eine neue Schicht auf dem Bild aufzutragen, das da von ihr existiert. Es ist nicht einfach.
Dietmar Bartsch hat nach der letzten Bundestagswahl zu Rot-Rot-Grün gesagt: »Dieses Pferd ist tot, es wird auch so nicht wieder lebendig.« Ist Bartsch der große Mitregierer, als den ihn viele sehen? Während in den Zeitungen steht, SPD und LINKE kämen nie zusammen, solange der außenpolitische Graben so tief ist, hat er immer gesagt, die viel größeren Unterschiede bestehen in der Finanzpolitik, beim Thema Umverteilung, auf dem sozialpolitischen Feld. »Das sind die eigentlichen Klippen.«
Die Frage, ob man einmal mitregieren wolle, beantwortet auch Wagenknecht nicht mit Nein. Sie »habe überhaupt nichts gegen Regieren«, wenn das mit einer friedlichen Außenpolitik Politik verbunden wäre, wenn man so die Ungleichheit verringern könnte. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Zwei mal: wenn. Wagenknecht sagt, das gehe mit dieser SPD nicht. »Wenn es in zentralen Fragen Veränderungen gibt, sind wir auch bereit, einen SPD-Kanzler zu wählen«, sagt Bartsch. Noch einmal wenn.
Im vergangenen Frühjahr haben Wagenknecht und Bartsch ein gemeinsames Papier vorgelegt. Eine Zeitung titelte damals, die beiden »ziehen an einem Strang«. Es sollte bedeuten: Das ist neu, hier kooperieren die beiden Exponenten des Flügelstreits der LINKEN. Hier schreiben zwei ein Papier, die über eine dritte Person, über Oskar Lafontaine, der nicht nur Ehemann von Wagenknecht ist, sondern auch innerparteilicher Antipode von Bartsch war, miteinander verbunden sind.
Dietmar Bartsch hat das Papier in seiner Bielefelder Rede am Samstag in einem Nebensatz angesprochen. Wer es noch einmal hervorholt, liest darin Sätze wie: »Konsequente Oppositionspolitik ist eine zentrale Voraussetzung für einen zukünftigen Politikwechsel mit der SPD, der durch eine breite Unterstützung in der Gesellschaft getragen sein muss.« Und: »Rot-rot-grüne Debatten als solche sind eher wenig geeignet, unser Profil zu schärfen.« Oder: »Die Wahlversprechen der SPD waren weitgehend das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.«
Gregor Gysi, der am Sonntagnachmittag seinen Abschied von der Spitze der Linksfraktion verkündet hat, verhehlte nie, dass er sich Wagenknecht und Bartsch als seine Nachfolger wünsche. Das Vorschlagsrecht haben die Parteivorsitzenden, gewählt wird im Spätherbst.
»Wir arbeiten seit Beginn der Legislatur gut zusammen«, sagt Bartsch. »Das ist bisher problemlos verlaufen.« Und dann noch, es klingt ein bisschen wie eine Bewerbung: Der Erfolg der Linkspartei sei »der Erfolg aller Flügel der Partei«. Deren Politik brauche »ganz viel roten Pfeffer«, sagt der Fraktionsvize. Dieser Satz hätte auch von Sahra Wagenknecht stammen können.
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