Im Notfall mit dem Teufel reden
Friedensgutachten 2015: Mehr Verantwortung für Berlin, aber ohne Militär und Waffenexporte
Waffenexporte mit einem Gesamtwert von rund 30 Millionen Euro an Saudi-Arabien hat das Bundeswirtschaftsministerium allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres genehmigt - von Munition über Teile für Marschflugkörper bis zu gepanzerten Fahrzeugen. Und das, obwohl der autoritär regierten Golfmonarchie immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Zudem fliegt eine von Riad geführte Militärallianz Luftangriffe auf die Huthi-Rebellen in Jemen, bei denen nach UN-Angaben über 1500 Menschen getötet wurden. Für die deutschen Friedensforschungsinstitute kann es da nur eine Konsequenz geben: sofortiger Stopp aller Waffenlieferungen. Sie appellieren an die Bundesregierung, Rüstungsexporte an Drittstaaten, also jenseits von NATO und EU, grundsätzlich zu verbieten. Das schließt die Ukraine ein. Auch der Export sicherheitsrelevanter Dienstleistungen deutscher Firmen müsse streng reguliert werden.
Das verstehen sie unter Wahrnehmung internationaler Verantwortung, von der in Berlin so gern gesprochen wird, und fordern in ihrem jüngsten Freidensgutachten eine grundsätzliche Debatte über den Stellenwert militärischer Mittel in der Außenpolitik. Auch Terrorismusbekämpfung dürfe keine vorschnelle Begründung für Bundeswehreinsätze oder die Bewaffnung nicht staatlicher Akteure sein, betonte Janet Kursawe vom Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Waffenlieferungen an Konfliktparteien seien nicht geeignet, um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. So sei die Unterstützung kurdischer Milizen zumindest »fragwürdig«. Deutschland hatte im Herbst 2014 beschlossen, Waffen an die Peschmerga in Nordirak im Kampf gegen den Islamischen Staat zu liefern. Der Preis dafür sei das Risiko ihrer unkontrollierten Weiterverbreitung, warnte Kursawe.
Auch mit Blick auf wachsende Flüchtlingszahlen bezweifeln die Institute, dass militärische Gewalt gegen Schlepper die Lösung des Problems sei. Die Friedensforscher verlangen von der Bundesregierung, sich für eine »menschenwürdige Flüchtlingspolitik an Europas Außengrenzen« einzusetzen. Notwendig seien legale und sichere Reisewege für die Flüchtlinge.
Angesichts der Gräueltaten der Dschihadisten werden im Gutachten zugleich mehr Hilfen für Terroropfer gefordert. Bei einer möglichen humanitären Intervention müssten Schutzzonen und Luftbrücken für Zivilisten eingerichtet werden. Das allerdings sei ohne Kontakt zum Islamischen Staat kaum möglich. Doch im Notfall müsse man eben selbst mit dem Teufel sprechen, wie es Margret Johannsen vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik formulierte, ohne dass sie nun für »diplomatische Beziehungen« plädieren wolle.
Wenn Deutschland international mehr Verantwortung tragen wolle, sollte es nicht auf Kampfdrohnen der Bundeswehr, sondern vor allem auf eine präventive, vermittelnde Außenpolitik setzen - so könnte man die Botschaft der Wissenschaftler an die Regierenden hierzulande zusammenfassen. Dabei schlagen sie z.B. »eine friedenspolitische Neuorientierung der EU gegenüber ihren östlichen Nachbarn einschließlich Russlands vor«, die Moskaus Verletzung internationaler Verträge klar benennt, aber auch auf kooperative Strukturen zielt und etwa die Wiederbelebung des NATO-Russland-Rats einschließt.
Für eine solche Politik müsste man sich von einer Handelspolitik verabschieden, die unmittelbar negative soziale und politische Folgen für den globalen Süden hat, und darauf drängen, dass die Finanzmärkte und Kapitalströme stärker reguliert werden. Zivile Krisenprävention, Demokratieförderung, Entwicklungszusammenarbeit, diese Trias erscheint den Instituten als »Königsweg« einer verantwortungsvollen Friedenspolitik - vorausgesetzt, man versuche nicht, »westliche« Modelle von Entwicklung, Demokratie und Konfliktbewältigung durchzusetzen, und das auch noch per militärischer Intervention.
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