Koalition widerlegt sich selbst

Berlin enthält sich im Bundesrat / Opposition: Müller bestätigt das Ende von Rot-Schwarz

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die CDU hatte mit dem Bruch der Berliner Koalition gedroht. SPD-Regierungschef Müller nimmt die Luft raus: Kein Ja zur Homo-Ehe gegen CDU-Willen. Doch was er jetzt vom Partner hält, macht er klar.

»Liebe Kollegen von der CDU. Die Tür bleibt bis zur letzten Minute offen.« Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, »bis zur letzten Minute« um eine Entscheidung zu ringen. Tagesordnungspunkt 4.1 der 66. Plenarsitzung war die Abstimmung über den Antrag der Oppositionsfraktionen »Ehe für alle - und zwar jetzt!« An diesem Freitag wird im Bundesrat abgestimmt über die Initiative »Öffnung der Ehe«. Die Berliner CDU hat bisher ein positives Votum Berlins boykottiert. »Ich will nicht glauben, dass es nicht möglich ist, dieses Signal zu senden, ausgerechnet aus Berlin, der Stadt der Vielfalt«, so Müller.

»Klar ist, dass Koalitionsverträge auch gelten, wenn man nicht zu einer gemeinsamen Auffassung kommt. Dann muss sich das Land Berlin gegebenenfalls enthalten«, erklärte Michael Müller am Donnerstag. »Dafür schließt man Verträge, dass Verträge auch gelten«, so Müller.

Der Regierende sagte in seiner Rede, eine inhaltliche Debatte zu dem Thema sei in den letzten Tagen nicht möglich gewesen. Stattdessen sei mit einem Austritt aus dem Koalitionsvertrag gedroht worden. »Das ist absurd. Von der Landesspitze der Berliner CDU habe ich bis heute keine Antwort darauf bekommen.« Deutschland habe den Weg hin zur Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Paaren und ihrer Gleichstellung längst beschritten. »Wer diesen Weg nicht mitgehen will, der hat Berlin nicht verstanden.«

Linksfraktionschef Klaus Lederer sagte in einer kurzen Antwort auf Müller, dessen Rede sei die »notarielle Beurkundung, dass Ihre Koalition komplett am Ende ist«.

In der teils heftigen Debatte um den Antrag der Opposition demonstrierten die Fraktionen von SPD, Grünen, Linkspartei und Piraten Einigkeit zur Frage, ob Berlin für die offene Ehe stimmen soll. »Mir scheint, Sie wollen die CDU rückständiger erscheinen lassen, als sie ist«, kommentierte Pirat Andreas Baum die Weigerung der Union, über die gleichgeschlechtliche Ehe abzustimmen.

Die Argumente, die Cornelia Seibeld (CDU) im Parlament gegen eine Öffnung der Ehe vortrug, bestätigten dies. Die Ehe, eine 2000 Jahre alte Institution, sei eine Institution für Männer und Frauen, weil »Männer Kinder zeugen und Frauen sie gebären«. - Es sei irrational, »dass einige wenige Konservative über diese Hürde nicht springen wollen«, sagte SPD-Fraktionschef Raed Saleh über die Haltung einer »altbackenen« CDU.

»Wer keine Homo-Ehe will, der soll einfach keinen homosexuellen Menschen heiraten«, so Lederer. Er ließ es sich nicht nehmen, die CDU zu fragen, ob sie die »christlich-abendländische Tradition der Ehe« meine, »über die der BGH noch 1966 geurteilt hat: ›Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen (...) versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.‹«

Die CDU hat mit ihrem Verhalten den laufenden Koalitionsstreit für sich entschieden. Im Koalitionsvertrag haben sich die rot-schwarzen Fraktionen ebenfalls darauf geeinigt, sich für die »Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt (ISV)« einzusetzen. Die ISV fordert beispielsweise die Gleichstellung der Ehe für alle. Im Koalitionsvertrag heißt es auch: »Wir werden konsequent die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Intersexuellen und transsexuellen Menschen vorantreiben und jegliche Form von Homo- und Transphobie aktiv bekämpfen.«

Fraktionsvize Udo Wolf appellierte denn auch an die SPD: »Nicht Sie brechen den Koalitionsvertrag, wenn Sie morgen abstimmen. Sondern die CDU, wenn Sie gegen die Ehe für alle stimmen.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.