BND-Affäre: Einblick in die Selektoren? Vielleicht...
Derzeit »wohl 20« Geheimdienstler in Regierungszentrale / BND-Affäre: Alle wollen nichts gewusst haben / BND-Vize will Begriff »Selektoren« nicht gekannt haben / Opposition empört: »So kann die Kontrolle nicht funktionieren«
Update 15.20 Uhr: Konsultationen mit USA nächste Woche abgeschlossen?
Noch liegt die Liste streng geheim unter Verschluss im Kanzleramt. In der kommenden Woche könnte sich aber entscheiden, ob der Untersuchungsausschuss des Bundestages Einblick in die Auflistung jener Spionageziele nehmen kann, die der BND im Auftrag der USA ausgespäht hat. »Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende nächster Woche eine einvernehmliche Lösung haben«, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag im ZDF.
Damit zeichnet sich Bewegung in einem monatelangen Streit zwischen Parlament und Bundesregierung ab. Der Ausschuss will anhand der Liste prüfen, ob sich der BND möglicherweise für rechtswidrige Lauschaktionen der USA einspannen ließ. Die Bundesregierung verweist auf laufende Gespräche mit den USA, die einer Einsichtnahme zustimmen müssten.
De Maizière äußerte nun die Erwartung, dass die Konsultationen mit den USA bis kommende Woche zu einem Ergebnis kommen. Ebenso erwarte er bis dahin mehr Klarheit über die Art und Weise einer Einsichtnahme durch den Bundestag.
Kanzleramt ist in Wahrheit ein »BND-Amt«
Berlin. In der Affäre um Geheimdienstspionage wollen zuständige Vertreter des Bundeskanzleramts, das die Aufsicht über den BND hat, wenig mitbekommen haben. Diesen Eindruck erweckten sie jedenfalls am Donnerstag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Auch neue Probleme beim Informationsfluss aus dem Bundesnachrichtendienst (BND) ans Kanzleramt wurden deutlich.
BND-Vize Guido Müller, von 2007 bis 2013 Leiter eines für den BND zuständigen Referats im Kanzleramt, sagte: »Konkrete Operationen haben wir in Bundeskanzleramt nicht besprochen.« Dass Telekom-Daten erfasst wurden, habe er nicht gewusst. Zudem habe er noch 2013 das Wort »Selektoren« nicht gekannt, sagte Müller.
Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter des Kanzleramts sagte, an ihn gerichtete Briefe des BND über dessen Aktivitäten hätten ihn in der Regierungszentrale nicht erreicht. »Es gibt Fälle, dass ich Sachen an mich nicht gesehen habe, weil ich dazu nicht ermächtigt war.« Der BND habe wohl versehentlich einzelne Briefe an ihn gerichtet, die er nicht lesen durfte, sagte der Zeuge Thomas Kurz, heute Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Ankara.
Die Opposition zeigte sich nach den jüngsten Zeugenaussagen empört. Linke-Obfrau Martina Renner sagte der Deutschen Presse-Agentur, nicht nur im BND wolle man gegenseitig nichts voneinander gewusst haben. »Die Logik des Geheimen im Geheimen setzt sich bis ins Kanzleramt fort. So kann die Kontrolle über den BND nicht funktionieren.« Grünen-Obmann Konstantin von Notz sprach von einem Gewirr an Verstrickungen. »Die Abschirmung zieht sich bis in die Aufsichtsstrukturen durch«, sagte er der dpa.
Deutlich wurde, dass zwischen dem BND und dem Kanzleramt ein reger personeller Austausch herrscht. »Im Moment sind wohl 20 Mitarbeiter des BND im Bundeskanzleramt«, sagte BND-Vize Müller. SPD-Obmann Christian Flisek zeigte sich skeptisch, dass das Kanzleramt unter diesen Umständen die Aufsicht über den BND wirklich unabhängig ausüben kann.
In interner Beratung sei mit den Stimmen der Koalition beschlossen worden, der Regierung im Streit um die Selektorenliste eine Frist bis kommendem Donnerstag zu setzen, teilte SPD-Obmann Flisek mit. Es sei »unerträglich«, dass der zuständige Ausschuss die massiven Spionagevorwürfe nicht aufklären könne. Wenn ein Ermittlungsbeauftragter die im Kanzleramt liegende Liste mit den US-Spähzielen ansehen solle, müsse dieser vom Parlament benannt werden. So ein Beauftragter soll laut Medienberichten nun diese Aufgabe übernehmen.
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA über Jahre geholfen haben, europäische Firmen und Politiker auszuspähen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst informierte schon 2008 das Kanzleramt über mögliche Versuche solcher Wirtschaftsspionage. Der Ausschuss will auch herausfinden, wer im Kanzleramt was wusste. Kommende Woche soll der damalige Kanzleramtschef und heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) befragt werden. Der BND schöpfte Daten für die NSA an einem Datenknotenpunkt der Telekom ab. dpa/nd
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