Skouris Stimme und die Luxemburger Kompetenz
Europas oberster Richter ist ein Grieche. Der Jurist hat in Berlin studiert, kennt den Osten der Stadt und setzt sich für enge EU-Integration ein
Immer wenn in den vergangenen Jahren in Griechenland ein wichtiger Posten wie der des Interims-Premiers oder des Staatspräsidenten mit einer überparteilich unumstrittenen Persönlichkeit zu besetzen war, tauchte sein Name auf: Vassilios Skouris. Doch es blieb bei Spekulationen. Die Ausflüge des Rechtswissenschaftlers in die Politik beschränken sich weiter auf die Jahre 1989 und 1996, als er jeweils für wenige Monate in Übergangsregierungen als Innenminister die Vorbereitung unabhängiger Parlamentswahlen zu sichern hatte. »Das war eher eine politische Erfahrung, aber keine Karriere«, sagt das Parteimitglied der sozialdemokratischen PASOK, die lange Jahre die Regierungen stellte, bevor sie im Zuge der Krise in die Bedeutungslosigkeit abrutschte.
Vielleicht behält der 67-Jährige auch deshalb lieber seinen sicheren Arbeitsplatz in dem großen Gebäudekomplex auf dem Kirchberg-Plateau im Nordosten der Stadt Luxemburg. Hier hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) seinen Sitz. Vassilios Skouris ist seit 2003 dessen Präsident - so lange wie niemand zuvor in der gut 60-jährigen Geschichte des obersten europäischen Gerichts. Zuletzt war der Grieche im Oktober 2012 für weitere drei Jahre von seinen Kollegen im Amt bestätigt worden.
Skouris ist einer unter 27 Richtern, aber seine Stimme hat besonderes Gewicht. Er vertritt das EuGH nach außen, hat aber auch intern für Einigkeit zu sorgen und Fälle so zu verteilen, dass sich niemand übervorteilt fühlt. Das dürfte alles andere als einfach sein, zumal ein bekanntes Bonmot lautet: »zwei Juristen - drei Meinungen«. Umso wichtiger ist die Stringenz der Rechtsprechung, besonders bei wichtigen Urteilen, die die Handschrift des Gerichtshofschefs tragen.
Skouris gilt als zielstrebig und ergebnisorientiert, ist aber im Umgang auch freundlich und humorvoll. Keinen Spaß versteht er allerdings bei den immer wieder auftretenden Konflikten des EuGH mit nationalen Kollegen. Gerade in Deutschland gibt es Kritik, dass der Gerichtshof EU-Recht unzulässig auf nationale Rechtsfelder ausdehne und damit seine Kompetenzen überschreite. Das Bundesverfassungsgericht will Verstöße gegen das Grundgesetz abwehren. EuGH-Chef Skouris hingegen sieht nicht einmal einen Anlass für Kompetenzgerangel, denn es gebe eine klare Arbeitsteilung: Die nationalen Gerichte entscheiden über nationales Recht, müssen bei EU-Rechtsfragen aber den Gerichtshof anrufen, denn: »Wir haben die Kompetenz, das Unionsrecht auszulegen. Aber nicht, es aufzuzwingen«, wie er diplomatisch sagt. Umso erleichterter war Skouris, als das deutsche Verfassungsgericht in der Frage der Zulässigkeit des Kaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank nun zum ersten Mal den Gerichtshof anrief, statt zuerst selbst zu urteilen.
Dass der EuGH-Präsident sich klar für eine stärkere europäische Integration einsetzt, mag auch an seinem persönlichen Lebensweg liegen. Mit 17 verließ der Spross einer alteingesessenen Juristenfamilie seine nordgriechische Heimatstadt Thessaloniki, um als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Jura an der FU Berlin zu studieren. In der Zeit fuhr er auch gerne in den Ostteil der Stadt, um Brecht-Stücke anzuschauen. Die dunkle griechische Juntazeit konnte er im Ausland verbringen. Die Doktorwürde erlangte der perfekt deutsch sprechende Jurist 1973 in Hamburg. Dort und später auch in Bielefeld lehrte er einige Jahre, bevor er 1982 einer Berufung an die Aristoteles-Universität Thessaloniki folgte. Besonders das immer wichtiger werdende Europarecht hatte es ihm angetan. 1999 schickte ihn die griechische Regierung dann als Richter nach Luxemburg. Als EuGH-Präsident verdient er mit einem Gehalt von monatlich rund 20 000 Euro auch erheblich besser, als dies in Griechenland oder in der Bundesrepublik als Richter möglich wäre.
Schon beim Urteil zum EU-Rettungsschirm ESM und dem Fiskalpakt hieß es im Luxemburger Urteil, dass die EU-Politik damit nicht ihre Kompetenzen überschreite. Auch der Vorwurf, diese Verträge außerhalb des Unionsrechts seien nicht demokratisch legitimiert, lässt Skouris nicht gelten. Schließlich seien auch bei ihnen die nationalen Parlamente beteiligt gewesen. Politische Kritik am Inhalt dieser Verträge wiederum hat aus seiner Sicht nichts im Gerichtssaal zu suchen, hier geht es wenig spektakulär um eine spezielle juristische Auslegung. Auch deshalb findet er es problematisch, dass Medien seinerzeit das Karlsruher ESM-Urteil zur »Schicksalsstunde für Europa« hochstilisierten. Im Gespräch mit der Sonntags-»FAZ« fragte er jetzt die Interviewerin, ob das Urteil zu den Anleihekäufen wirklich noch so spannend sei. Die Richtung sei im Verfahren längst vorgegeben gewesen.
Viel wichtiger findet es Skouris, dass die »vielen Errungenschaften aus Europa gerade für den Alltag der Bürger« herausgestellt werden, wobei auch EuGH-Urteile einen »bescheidenen Beitrag« geleistet hätten. Und kann mit dem Aufzählen gar nicht mehr aufhören: die Möglichkeit, mit der Krankenversicherungskarte überall in der EU zum Arzt zu gehen, besserer Datenschutz, Gleichstellung ausländischer Arbeitnehmer oder die Schaffung einheitlicher Tarife bei Lebensversicherungen für Männer und Frauen.
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