Theke statt Tonne
Backwaren vom Vortag, verwachsene Kartoffeln: Ein Nürnberger verkauft, was sonst weggeworfen würde
Ob Brot, Gemüse oder Joghurt: Täglich landen in Deutschland unzählige Lebensmittel im Müll, obwohl die gar nicht verdorben sind. Das hat gravierende Folgen, nicht nur für den persönlichen Geldbeutel. Auch die Umwelt leidet darunter - und diejenigen Menschen weltweit, die sich nicht sorglos satt essen können. Die Politik will deshalb mit Aufklärungskampagnen wach rütteln. Bis diese Wirkung zeigen, kämpft ein Nürnberger Geschäftsmann auf seine Art gegen die Wegwerfmentalität.
»Wir haben nur 1,5 Milliarden Hektar Ackerland weltweit. Wenn wir da einen Teil von nutzen für Lebensmittel, die wir dann verschwenden, ist das für die Welternährung und auch aus ökologischen Gesichtspunkten fatal«, erläutert der Agrarexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Martin Hofstetter, das grundlegende Problem.
Denn die große Nachfrage nach Lebensmitteln aus den Industriestaaten sorgt für hohe Weltmarktpreise. Die wiederum machen vor allem denjenigen Menschen in Entwicklungsländern zu schaffen, die in einem städtischen Umfeld leben - sie können ihre Nahrung nicht selbst produzieren, sondern müssen sie kaufen.
Auch die Umwelt profitiert, wenn weniger Lebensmittel im Müll landen. Für die Ernährung der Weltbevölkerung würden weniger Flächen benötigt; dadurch würden weniger Wälder gerodet und die Artenvielfalt bliebe erhalten. Die durch die Landwirtschaft massenhaft anfallenden klimaschädlichen Gase würden ebenso reduziert wie der Eintrag von Nitrat, Antibiotika und Pflanzenschutzmitteln in Luft und Wasser.
Einer 2012 veröffentlichten Studie der Universität Stuttgart zufolge wirft jeder Bundesbürger im Jahr 82 Kilogramm Essen im Wert von 235 Euro weg. Pro Jahr sind dies 6,7 Millionen Tonnen; zusammen mit den Abfällen bei der Erzeugung und Verarbeitung, im Handel und in der Gastronomie fallen demnach 11 Millionen Tonnen an. Die Umweltstiftung WWF geht sogar von insgesamt 18 Millionen Tonnen im Jahr aus. »Im Schnitt werfen wir jede Sekunde 313 Kilo genießbare Nahrungsmittel in den Abfall«, sagte WWF-Referentin Tanja Dräger de Teran bei der Vorstellung einer Überblicksstudie am Donnerstag in Berlin.
Ein Großteil davon wäre vermeidbar, doch viele Menschen werfen rigoros alles in den Müll, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Dabei bedeutet dies im Gegensatz zum Verbrauchsdatum bei Hackfleisch und Fisch nur, dass etwa Farbe und Konsistenz bis zu diesem Zeitpunkt garantiert gleichbleibend sind. Genießbar ist vieles auch noch weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus.
Bernd Heberger hat es immer geschmerzt, wenn er eine makellose Torte in die Tonne werfen musste. Auch überflüssiges Brot fiel bei seinem Arbeitgeber, einer Großbäckerei, in erheblichen Mengen an. Als der gelernte Bäcker und jahrzehntelanger Leiter eines kleinen Supermarktes im Alter von 59 Jahren seinen Job verlor, war für ihn daher schnell klar: Das kann man ändern - und auch noch ein Geschäft damit machen.
Hebergers Idee: Er kauft einem mittelständischen Bäcker die Backwaren ab, die am Abend übrig bleiben, verpackt sie zu größeren Portionen und verkauft diese am nächsten Tag für wenig Geld. In der Nürnberger Südstadt, einem sozial eher schwachen Viertel, fand er einen geeigneten Standort und eröffnete im November 2010 seinen Laden »Leckeres vom Vortag«.
Der Laden floriert: Bei Preisen von je einem Euro für zwei Nussschnecken, drei Butterhörnchen oder zehn Brötchen nehmen viele Menschen leichte Abstriche bei der Frische in Kauf. »Es kommen aber nicht nur Bedürftige zu uns, sondern Menschen aus allen Schichten«, betont Heberger. Besonders jüngere Leute kauften ganz gezielt bei ihm ein, weil sie das Konzept unterstützen.
Heberger hat sein Angebot deshalb inzwischen ausgeweitet: Auf dem Großmarkt kauft er Obst und Gemüse, das der auf Perfektion bestehende Handel nicht haben will. Über die Theke gehen seither auch kleinere Äpfel, verwachsene Karotten und Unmengen an krummen Gurken - und werden so vor der Vernichtung bewahrt. dpa/nd
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