Ali ist jetzt Rumäne

1985 sorgte Günter Wallraff mit seinem Buch »Ganz unten« für Furore

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
30 Jahre nach Erscheinen des Buches »Ganz unten« zieht Günter Wallraff Bilanz - gemeinsam mit Gewerkschaftern und Arbeitern aus jenem Werk, in dem der Journalist undercover recherchierte.

Er war der »Türke Ali«, der unter anderem bei Thyssen in Duisburg als Industriereiniger malochte und die rassistisch flankierte gnadenlose Ausbeutung meist türkischer »Sklavenarbeiter« öffentlich machte. Sein Bericht »Ganz unten«, erschienen 1985, wurde zum meistverkauften Buch der deutschen Nachkriegsgeschichte. Am Samstag las der Journalist Günter Wallraff in Duisburg einige Passagen aus dem Bestseller, zeigte Ausschnitte aus dem gleichnamigen Dokumentarfilm, erzählte Anekdoten von damals. Und übte Kritik am Status quo.

Stundenlang musste »Ali« Wallraff ohne Schutzmaske Kessel bei Thyssen reinigen, den giftigen Koksstaub aufwirbelnd und einatmend, von dem der Meister behauptete, er sei gesund, weil er doch Mineralien enthalte. »Du schluckst und Du würgst«, erinnerte sich Wallraff. »Deine Lunge ist vollgepumpt mit Koksstaub. Und der Aufseher macht weiter Druck.« In Doppelt- und Dreifachschichten wurden »Ali« und seine Kollegen verschlissen, trugen oft lebenslange Schäden davon, mitunter schon nach wenigen Monaten.

Es gab ja keinen ökonomischen Anreiz, die »Wegwerfmenschen« zu schonen. Lang waren die Schlangen derjenigen, die die Drecksarbeit erledigen würden. Ein Heuern und Feuern. Und die »Menschenhändler« seien bestens vernetzt gewesen - auch mit den sozialdemokratischen Honoratioren, berichtete Wallraff.

Ja, es habe sich einiges verändert durch »Ganz unten«, glaubt der 72-Jährige. Den Konzernen wurde mehr Verantwortung aufgezwungen. »Das funktionierte auch - zunächst«, so Wallraff. Längst jedoch führten Sparzwänge (»den Auftrag bekommt der billigste Anbieter«) zu miesen Arbeitsbedingungen im Bereich der industriellen Dienstleistungen.

Die »Wegwerfmenschen« von heute seien indes nicht mehr die Türken, ganz unten stünden nun Bulgaren und Rumänen. »Sie haben ein ganz ähnliches Schicksal«, so Wallraff, dessen Autorenschaft immer wieder in Frage gestellt wurde, unter anderem von zwei Journalisten, die behaupteten, seine Ghostwriter gewesen zu sein.

Gut 200 Menschen waren auf Einladung der Industriegewerkschaft Bau nach Duisburg-Hamborn gekommen, darunter viele Gewerkschafter, aktuelle Industriereiniger und auch ehemalige Kollegen des »Türken Ali«. 1985 wurde Wallraff von Thyssen verklagt. Am Samstag machte der ThyssenKrupp Steel Europe-Vorstand (und Gewerkschafter) Thomas Schlenz Wallraff seine Aufwartung. Als der sein neues Buch verkaufte und signierte, legten manche erkennbar zerlesene Exemplare von »Ganz unten« auf den Tisch. Wallraff versah auch sie mit einer freundlichen Widmung.

In der Debatte berichteten Betriebsräte aus Unternehmen industrieller Dienstleistungen von der heutigen Situation: Zwar seien die großen Firmen mit starken Betriebsräten gut aufgestellt. Doch die Zustände in Leiharbeitsbetrieben sei schlimmer als vor 30 Jahren. Oft sei die kriminelle Energie der (((Sub-)Sub-)Sub-)Unternehmer hoch. Und bei der Gewerbeaufsicht regiere der Rotstift. Kontrolle? Fehlanzeige!

Obwohl Giftstäube abgesaugt werden müssen, komme verbotenerweise doch noch der Besen zum Einsatz. Denn Menschen seien oft billiger als Maschinen. »Die Gesetze und die Technik sind da, aber der Preis entscheidet«, berichtete ein Gewerkschafter aus der Praxis.

Megathema für die IG Bau ist die Anerkennung von Berufskrankheiten, die Veranstaltung war Auftakt für eine entsprechende Kampagne. Die Anerkennungsquoten seien niedrig und würden sogar noch sinken, referierte der Journalist Albrecht Kieser. Dafür machte er vor allem ökonomische Gründe aus: Die zuständigen Berufsgenossenschaften würden von den Arbeitgebern finanziert und hätten entsprechend ein Interesse, möglichst wenig Geld auszugeben.

Die IG Bau fordert eine Beweislastumkehr: Nicht mehr der Arbeitnehmer sollte belegen müssen, welche Ursachen eine heutige Erkrankung habe, sondern die Unternehmen müssten beweisen, dass es nicht die Arbeit war, die krank machte.

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