Misstrauen gegen Kurden hält sich hartnäckig

Deutsche Solidaritätsbekundungen und Militärhilfe - für ein Ende des PKK-Verbots reicht der Imagewandel nicht

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 7 Min.
Der westliche Blick auf die Kurden hat sich geändert. Plötzlich gelten die Angehörigen des »größten Volks ohne Staat« als Freiheitskämpfer. Profitieren auch Kurden in Deutschland vom Imagewandel?

Schnelllebig ist das Nachrichtengeschäft. Als kurdische Aktivisten aus dem Umfeld des PKK-nahen Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK) im Oktober 2014 mehrere Parteizentralen besetzten, so in Hannover, Bielefeld und München, um gegen die »Barbarei« des Islamischen Staats (IS) zu protestieren und Waffen für IS-Gegner zu fordern, da waren ihnen deutschlandweit Aufmerksamkeit und zumindest Verständnis, wenn nicht Sympathie gewiss. Mochte die CSU auch die Besetzung ihres Franz-Josef-Strauß-Hauses durch zwölf Aktivisten verdammen, ihr Generalsekretär Andreas Scheuer führte mit den unwillkommenen Gästen doch ein »freundliches sachliches Gespräch«, wie einer der Besetzer später zu Protokoll gab.

Vor gut einem Monat besetzten YXK-Aktivisten eine Sparkassenzentrale in Saarbrücken per Sitzstreik. Sie protestierten »gegen die Kündigung unseres Spendenkontos für die Menschen in Syrien / Rojava in ihrem Widerstand gegen den IS«. Die Sparkasse hatte das Konto gekündigt, auf das 100 000 Euro geflossen sein sollen, weil damit die in Deutschland verbotene PKK unterstützt werde. Auch sei es mit den Ethikvorschriften des Hauses nicht vereinbar, dass mit dem Geld womöglich Waffen gekauft würden. Den Weg in die Tagesschau und andere überregionale Medien fand die nach 90 Minuten von der Polizei beendete Aktion nicht.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Nicht ganz. Der Kampf gegen den Islamischen Staat habe zu einem »Image-Wandel der Kurden im Westen beigetragen«, konstatierten die Politologen Jan Claudius Völkel und Moritz A. Mihatsch in einer Analyse für die Bundeszentrale für Politische Bildung. »Wurden die Kurden bisher vor allem als Problem wahrgenommen, sind sie nun ein willkommener Allianz-Partner gegen den IS.«

Dabei war das Image der in Deutschland lebenden Kurden lange ramponiert. Autobahnbesetzungen, Brandanschläge auf türkische Einrichtungen und Verwicklung in den illegalen Drogenhandel boten Mitte der 90er Jahre die Begründung, das internationale Vorgehen des Westens gegen die PKK auch in Deutschland mit einem Verbot zu sekundieren. Für Linke entstand ein Solidaritäts- und Bekenntnisproblem. Auch weil der Personenkult um den »Führer« der PKK, Abdullah Öcalan, genannt Apo, schwer nachvollziehbar war. Gewalttätige Attacken türkischer Nationalisten auf kurdische Personen und Vereine im Jahr 2011 wurden derweil entpolitisiert und ethnisiert als »gewaltsame Auseinandersetzungen« unter Jugendlichen türkischer und kurdischer Herkunft wahrgenommen. So sind sie halt, die Südländer ...

Sait Keles darf als bestens integriert gelten. Der 45-jährige Familienvater ist Chef einer kleinen Unternehmensberatung in Duisburg. Für die grüne Partei sitzt er seit Jahren im Rat der von allerlei sozialen Problemen gepeinigten Ruhrgebiets-Stadt. »Ich denke deutsch, ich träume deutsch«, sagt der Sohn eines Gewerkschafters, der mit seiner Familie Mitte der 70er Jahre aus der Türkei floh. Und nein, er sei nie Unterstützer der PKK gewesen, beteuert er. Und doch wurde Keles schon als Terrorist beschimpft. Weil er Kurde ist.

Ob auch er vom Imagewandel nach Kobane profitiert habe? In der nordsyrischen Stadt hatten die PKK-nahen einheimischen Kurdenverbände mit Unterstützung irakischer Peschmerga den Angriffen des Islamischen Staates widerstanden und die Stadt schließlich zurückerobert. Sait Keles rührt in seinem Milchkaffee. Gewiss, die Kurden seien dadurch öffentlich aufgewertet. »Das nehme ich gerne mit, aber da lache ich auch drüber.« Nein, als Freiheitskämpfer gehe er persönlich nicht durch, sagt Keles mit ironischem Bedauern.

Rund 20 bis 25 Millionen Kurden gibt es weltweit, rund die Hälfte davon lebt in der Türkei, rund 500 000 bis 800 000 sind es in Deutschland, zwischen zwei und vier Prozent also. Amtliche Zahlen gibt es nicht - Kurden bezeichnen sich selbst als »größtes Volk ohne Staat«, hier lebende Kurden besitzen die türkische, iranische, irakische, syrische, armenische oder, nach Einbürgerung, die deutsche Staatsangehörigkeit. Duisburg ist eine kurdische Hochburg: Im Stadtrat sitzen neben Keles mehrere weitere Ratsleute kurdischer Herkunft, meist für die Linkspartei. Kurden trugen zu einem guten Teil die Proteste gegen den lokalen Pegida-Ableger Duigida mit. »Kurden haben in unserer Stadt einen hohen Mobilisierungsgrad, sie sind politisch sehr aktiv und längst offen auch für neue Themen«, fasst Sait Keles zusammen.

Ob ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland näher gerückt sei? »Das wäre wünschens- und erstrebenswert, aber ich bin skeptisch«, sagt Sait Keles. Die PKK habe sich in den letzten 15 Jahren zum Besseren gewandelt. Das Verbot berühre alle Kurden, denn sie alle erlebten es als ein grundsätzliches Misstrauen. Die Anerkennung der PKK durch das mächtige Deutschland hätte aus Keles' Sicht eine »große Signalwirkung«. Doch der Verfassungsschutz plädiere weiter für ein Verbot, weil er durch die sicherheitspolitische Brille gucke. »Und alle«, sagt Keles, »beziehen sich auf den Verfassungsschutz.«

Gleichwohl setzt Sait Keles weniger auf eine legalisierte PKK, als vielmehr, wie Teile seiner Partei, auf die als moderner und grüner empfundene Demokratische Partei der Völker (HDP), die unlängst in das türkische Parlament einzog. Die kümmere sich nicht nur um Fragen wie Demokratisierung, Frauenrechte, Ökologie. Sie sei zudem »eine realistische und europafreundliche Partei«, lobt Keles. In Köln gab es sogar eine gemeinsame Wahlkampfveranstaltung von HDP und Grünen.

»Das Ansehen der Kurden hat sich sehr stark geändert«, glaubt auch der LINKE-Politiker Giyasettin Sayan. Kurden würden in Deutschland jetzt »als Kämpfer gegen die islamistische Barbarei« wahrgenommen. Das langjährige Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sieht in den Kurden europaweit wichtige Verbündete im Kampf gegen reaktionäre Tendenzen im Islam. »Es geht um eine Zusammenarbeit zur Reformierung des Islam«, sagt Sayan, »und viele Kurden sind dafür sehr offen.«

Überall in Europa seien kurdische Akteure in der Politik aktiv. »Man muss sie als politische Masse ernstnehmen, sie sind auch wichtig für die soziale Integration«. Jetzt müsse das deutsche Verbot der PKK fallen: Denn man könne nicht »große Solidarität« üben mit den kurdischen Kämpfern in Kobane und anderswo und trotzdem die PKK verbieten. »Ich empfinde das Verbot als diskriminierend«, ergänzt der 65-Jährige.

Die »konservative Kritik an den gewalttätigen Protesten« der PKK im Deutschland der 90er Jahre sei richtig gewesen, räumt Sayan ein. Doch müsse man sich die seinerzeitige Ausgangslage vergegenwärtigen: 4000 kurdische Dörfer hatte das türkische Militär zerstört, bis zu 18 000 Menschen waren »verschwunden«. »Es war ein erbarmungsloser Krieg des NATO-Partners Türkei. Viele Kurden in Deutschland waren verzweifelt und verhielten sich deshalb falsch.«

Doch inzwischen habe sich die PKK entschuldigt - und in großen Schritten verändert. »Damals war die PKK eine rein militärische Organisation, die den bewaffneten Kampf führte. Heute sind viele Akteure von damals weg, die Nachfolger führen Friedensverhandlungen und sind offen für die europäische Gesellschaft.« Über 100 Kommunen in der Türkei würden von PKK-nahen Organisationen geleitet. Die Kurden in Deutschland sind aus Sayans Sicht anders als jene in der Türkei. Sie hätten die Brücken in die Heimat hinter sich abgebrochen, seien zumindest in der dritten Generation der hier lebenden Kurden integriert. »Sie ticken nicht mehr kurdisch«, sagt der Betriebswirt und Politologe Sayan. Während die Mehrheit der Kurden in der Türkei konservativ sei und bei der Lösung der kurdischen Frage auf Erdogan setze (»Viele Kurden wählen die konservative AKP, weil Erdogan kurdenfreundliche Reformen vorantrieb«), sei der starke Mann der Türkei den deutschen Kurden egal. »80 bis 90 Prozent sind unpolitisch in Bezug auf die türkische Politik.«

Ob Deutschland einem Ende des PKK-Verbots näher gekommen sei? »Die Chancen haben sich nach Kobane etwas erhöht, von CDU bis hin zur LINKEN gibt es Politiker, die die Aufhebung des Verbots fordern«, sagt Sayan. Doch der Mainstream von Unionsparteien, SPD und Grünen strebe nicht in diese Richtung. »Von da aus wird nicht viel passieren.« Sayan setzt stattdessen auf eine Europäische Bürgerinitiative, also auf eine EU-Volksabstimmung, die der PKK EU-weit einen legalen Status verschaffen soll. Gleichwohl ist auch Sayan ein, wenn auch skeptischer, Unterstützer der HDP. »Es ist gut, dass die HDP für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Frieden kämpft« - auch wenn sie stark von linken Sekten und Minderheitenthemen dominiert werde.

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