An der Braunkohle scheiden sich die Geister
Bei einer Tagebau-Tour von Abgeordneten aus Berlin und Brandenburg werden die verschiedenen Positionen deutlich
Welche heftigen Emotionen die Braunkohlefrage zutage fördert, zeigt sich am »Welzower Fenster«. An dem betonierten Aussichtspunkt, der einen kilometerweiten Einblick in die laufende Braunkohleförderung des Tagebaus Welzow liefert, geraten Lausitzer Bürger und Greenpeace-Aktivisten aneinander. »Ihr seid doch gar nicht von hier«, schimpft eine Kohlebefürworterin aus einem Nachbardorf. »Ich bin aus Berlin«, muss die Umweltaktivistin in ihrem grünen Cape einräumen. Es entwickelt sich ein für diesen Tag typisches Wortgefecht: Vor der Kulisse der riesigen Abraumhalden geht es um Arbeitsplätze, Strukturwandel, Umweltfolgen und Landschaftszerstörung.
Natürlich spielt auch die vom Bundesminister Sigmar Gabriel (SPD) angestoßene Diskussion zur Klimaabgabe von Braunkohlekraftwerken und deren Folgen für die Region eine Rolle. Am Horizont dampft passend dazu das Kraftwerk »Schwarze Pumpe« weiße Wolken in den Himmel.
Neben der streitenden Gruppe machen sich derweil Berliner und Brandenburger Politiker ein Bild vor Ort. Der Protest der Aktiven der verschiedenen Lager begleitet die Stippvisite. Insgesamt fünf Ausschüsse der beiden Landesparlamente aus Berlin und Potsdam sind in die Lausitz gereist, um sich über die Braunkohle zu informieren. Die Brandenburger hatten die Berliner eingeladen, nachdem sich das Abgeordnetenhaus Anfang des Jahres gegen die Braunkohle ausgesprochen hatte.
Auch bei den Politikern scheiden sich in der Braunkohlefrage die Geister. Das wird gleich am ersten Punkt der Tour rund um Welzow deutlich. »Wo genau machen sie die Messungen?«, will die Abgeordnete Jutta Matuschek (LINKE) von einem Mitarbeiter des Grubenbetreibers Vattenfall wissen, der sich am Petershainer Fließ positioniert hat und mit »Glück auf« grüßt. Einen Steinwurf entfernt plätschert das laut Vattenfall gereinigte Grubenwasser aus dem Tagebau Welzow in den kleinen Bach. Winfried Lücking, ein Gewässerexperte vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der die Abgeordneten begleitet, kritisiert, dass durch umfangreiche Arbeiten die einzig sichtbare Einleitstelle für Grubenwasser an diesem Tagebau kurz vor der Visite mit sauberen Steinen aufgeschüttet und mit Rostschlamm verockerte Erde abgetragen wurde. »Da können sie sehen, dass das alles angekarrt wurde«, sagt Lücking.
Kohlekritische Stimmen hatten die Brandenburger Parlamentarier zunächst nicht eingeladen. »Es war ein harter Kampf mit den Brandenburgern, dass wir auch Gegner der Kohle auf dieser Fahrt anhören dürfen«, sagt die Berliner Grünen-Abgeordnete Silke Gebel. Denn im Gegensatz zu den Brandenburgern sorgen sich die Berliner vor allem um die Umweltfolgen des Braunkohleabbaus: die auch am Petershainer Fließ deutlich sichtbare Verockerung der Spree durch Rostschlamm etwa und insbesondere die steigende Sulfatbelastung. Diese Schadstoffe sind reichlich im Grubenwasser vorhanden, sie werden beim Abtragen der Böden durch die Förderbagger freigesetzt. Sulfate gefährden die Trinkwassergewinnung aus Uferfiltrat der Spree in Berlin. Sollten die Werte weiter steigen, müsste im Extremfall das für Ost-Berlin so wichtige Wasserwerk Friedrichshagen schließen.
Wie hoch genau die Werte am Petershainer Fließ sind, ist umstritten. Über 900 Milligramm pro Liter Sulfat sagen die Umweltverbände, der Präsident des Landesamtes für Bergbau, Geologie und Rohstoffe des Landes Brandenburg, Klaus Freytag, betont mit Verweis auf die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Cottbus in dieser Woche nach Klagen von Umweltorganisationen wie Greenpeace: »Es ist Fakt, dass kein Umweltschaden entstanden ist.« Der Stoff sei nicht giftig und das Land Brandenburg halte die Grenzwerte ein. Deshalb seien auch keine gesetzgeberischen Maßnahmen notwendig.
Doch am Zufluss der Spree nach Berlin steigen seit zwei Jahren die Sulfat-Belastungen schneller als erwartet. In Rahnsdorf beispielsweise sind die Grenzwerte zur Trinkwassergewinnung, die bei 250 Milligramm Sulfat pro Liter liegen, zuletzt mit 280 Milligramm pro Liter sogar überschritten worden.
Woher die unsichtbaren Sulfate zu einem Großteil kommen, wird bei der Besichtigungstour durch die Braunkohleabbaugebiete deutlich. Nicht weit von der Einleitungsstelle ins Petershainer Fließ hat Vattenfall eine brandneue 15 Millionen Euro teure Grubenwasseraufbereitungsanlage installiert. Über den Becken der mehrstufigen Anlage liegt eine kräftige Schwefelnote, unten schäumt das rostbraune Wasser. Bis vor kurzem wurde das Wasser in Richtung des am Horizont liegenden Kraftwerks »Schwarze Pumpe« befördert – wo es in die Spree eingeleitet wurde. »Von dort gelangte das Wasser in 15 Tagen bis Berlin«, sagt Ingolf Arnold. Der Leiter des Bereichs Wasserwirtschaft bei Vattenfall führt die Besuchergruppe durch die stinkende, rauschende Anlage, die vor allem die Belastung mit Eisenhydroxid minimieren soll. Gegen das Sulfat würde allerdings nur eine extrem teure Ionisierungstechnologie helfen, die weltweit nur ein einziges Mal angewendet wird. Vattenfall hat in Welzow einen anderen Weg eingeschlagen: »Mit dieser Anlage verteilen wir das sulfathaltige Wasser in der Fläche, wo es wieder versickert«, sagt Arnold. Und: »Das Sulfat soll hier in der Lausitz bleiben.« In Berlin kommt es angeblich mit dieser Methode angeblich erst in 50 bis 80 Jahren an.
Die Berliner Abgeordneten, das wird auch bei der anschließenden gemeinsamen Sitzung der fünf Ausschüsse beider Bundesländer im Seehotel Großräschen deutlich, beruhigt das nicht. »Irgendwann kommt das Sulfat trotzdem in Berlin an«, sagt der Energieexperte der LINKEN, Harald Wolf. Vattenfall wende eine »nachsorgende Technik« an, die das Problem nicht löse, sondern verschiebe.
Die Kritik des Ex-Wirtschaftssenators trifft unmittelbar den Kern des politischen Streits zwischen Berlin und Brandenburg: Wann wird die Braunkohleförderung endlich beendet? Einen sofortigen Ausstieg fordern zwar nicht mal die härtesten Kohlegegner, aber ein verbindliches Ausstiegsszenario wäre aus Sicht der Hauptstädter wünschenswert. Berlin selber will ab 2019 in seinem Kraftwerk Klingenberg keine Braunkohle mehr verfeuern – die Anlage soll auf Gasturbinen umgeschaltet werden.
In Brandenburg werden dagegen ganz andere Ausstiegsszenarien diskutiert: Je nach Partei schwanken die Vorstellungen zwischen den Jahren 2030, 2040 (LINKE) und 2050 (SPD). »Wir müssen in der Energiewende dafür sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland weiter mit wettbewerbsfähigen Preisen versorgt wird«, sagt Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD). Dabei haben die Brandenburger auch den Strukturwandel in der Lausitz im Blick und die zehntausend verbliebenen Kumpel, von denen einige vor der Tagungsstätte Flagge zeigen. »Wir leben von der Kohle und nicht von Grünen Märchen«, haben sie auf ein Plakat geschrieben.
Trotz aller Differenzen können Berlin und Brandenburg die Braunkohlefrage nur gemeinsam bewältigen. Mit der Rundreise in die Lausitz ist ein Auftakt gemacht. Das nächste Treffen soll wohl im Wasserwerk Friedrichshagen in Berlin stattfinden, dessen Förderung perspektivisch gefährdet ist. Für Ost-Berlin müsste im Ernstfall ein neues Rohrsystem gebaut werden, damit Wasser aus den nördlichen Wasserwerken zugeführt werden kann. Damit es so weit nicht kommt, wollen Senat und die Brandenburger Landesregierung noch in diesem Jahr ein Konzept entwickeln.
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