Der Erfolg liegt im Konzept
Das Wiedererstarken der deutschen Mannschaftssportarten geht auf Einzelinitiativen zurück und nicht auf den DOSB
Die Deutschen lieben Mannschaftssportarten. Besonders den Fußball, aber auch mit Basketballern, Eishockeyspielern oder Handballern wird mitgefiebert, wenn es die Chance auf Gemeinschaftserfolge gibt. Was wurden die Spielsportarten im Jahr 2012 jedoch kritisiert, als sich lediglich die beiden Hockeyteams sowie die Volleyballer für Olympia in London qualifiziert hatten. Nun, drei Jahre später, ist der Jubel groß, denn mit je zwei Hockey- und Fußballteams haben schon vier Mannschaften das Ticket für Rio 2016 gelöst. Verpasst hat die kommenden Spiele noch niemand. Alles also wieder in Butter?
Wohl kaum. Den Grund für die Verbesserung, so denn eine da ist, findet der Beobachter eher bei wenigen Personen in Einzelverbänden als in einem Konzept des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Der Dachverband, der am lautesten jubelt, wenn sich wieder eine Mannschaft qualifiziert, da dann die Gesamtteamgröße und angeblich auch die Stimmung wächst, setzt nicht auf die Förderung der Spielsportarten. Zum Vergleich: Der Deutsche Kanu-Verband erhält im vierjährigen Zyklus vor den Spielen von Rio laut den vom DOSB veröffentlichten Zielvereinbarungen etwa 2,4 Millionen Euro aus dem Topf des Bundesministeriums des Innern (BMI). Der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) nicht einmal die Hälfte davon. Der Grund ist simpel: Einen Kanuten zu fördern, der mehr als ein Edelmetall gewinnen kann, ist viel preiswerter als zwölf Volleyballer plus Betreuerstab, die nur eine Außenseiterchance auf eine Medaille haben. Wer auf Plaketten und Finalplatzierungen als Kriterium setzt, muss wahrscheinlich so handeln. Die Kanuten sind also im höchsten von fünf Fördertöpfen eingeteilt, die Volleyballer - immerhin Fünfte in London und Bronzegewinner der WM 2014 - nur im vorletzten.
Auch bei den Einzelsportverbänden hakt es an vielen Ecken. Strukturen sind veraltet, Entscheidungen werden auf vielen Ebenen diskutiert, Hierarchien sind einzuhalten. Das frustriert die Bundestrainer, die unter Erfolgsdruck stehen, aber kaum etwas substanziell ändern können. Bei Misserfolgen werden sie gefeuert wie in den vergangenen zwölf Monaten im Handball (beide Teams), Basketball (beide), Eishockey und Wasserball (Männer) sowie Volleyball (Frauen). Konzepte zu entwickeln, fällt da schwer.
Die Ausnahme bilden die Hockeyteams. Männertrainer Markus Weise ist seit 2006 im Amt, Jamilon Mülders seit knapp drei Jahren bei den Frauen. Beide arbeiten seit Oktober 2012 mit ihren jeweiligen U21-Trainern, Sportdirektor Heino Knuf, dem Bundestrainer Wissenschaft Ulrich Forstner und dem externen Berater Dr. Wolfgang Klöckner an einem Projekt, das sie »nextTrain« getauft haben. »Es geht um eine Organisationsentwicklung und Wissenstransfer, eine Teamentwicklung der hauptamtlichen Verantwortlichen und um Personal Coaching, also etwa das Vermitteln von Führungskompetenzen«, beschreibt Knuf das Projekt.
Wie können Entscheidungen schnell gefällt werden? Wie profitieren alle vom Wissen Einzelner? Wie werden Junioren passend auf die Zeit im Seniorenalter vorbereitet? Fragen, die mehr betreffen als nur Sportliches, sondern auch ein soziales Mannschaftsgefüge und Eigenverantwortung. Mittlerweile sind auch die Bundestrainer bis hinunter zur U16 dabei. »Dadurch ziehen wir uns bereits die Bundestrainer der nächsten Generation heran. Normalerweise will man als Bundestrainer keine Konkurrenz im eigenen Haus. Aber unsere beiden sind da vorbildlich«, sagt Knuf gegenüber »nd«.
Mülders ist mittlerweile unbefristet angestellt. Auch das ist höchst ungewöhnlich im Leistungssport, entspricht jedoch dem geltenden Recht, nachdem befristete Verträge eigentlich nicht über eine Dauer von zwei Jahren immer wieder verlängert werden dürfen. Auch hier ist der DHB in gewisser Weise also Vorreiter. Der Entschluss dazu ist auch ein Ergebnis des Projekts »nextTrain«. Denn er erfordert viel Vertrauen ineinander. Dass sich Bundestrainer und Sportdirektor mittlerweile als Team verstehen und einander ständig Feedback geben, half dabei, dieses Vertrauen zu entwickeln. Alle tauschen sich in Workshops und Telefonkonferenzen aus. Alle ziehen an einem Strang, kein Wissen geht verloren. Eine vorgegebene Struktur vom Verband gibt es dafür nicht. Die Initiative ging von Knuf und Forstner aus.
Die Frauen-Nationalmannschaft geht noch weiter. »Je zwei Spielerinnen analysieren jedes Training, jedes Spiel und die sozialen Prozesse im Team mit Mülders und den Co-Trainern«, beschreibt Klöckner das Projekt. Den Spielerinnen wird mehr Verantwortung gegeben. Das steigert den Zusammenhalt auch in schwierigen Situationen, was man bei der Olympiaqualifikation in Valencia erkennen konnte, als zweimal Rückstände aufgeholt und im Penaltyschießen wichtige Siege gegen Spanien und Argentinien errungen wurden.
Matthias Sammer hat einst beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ähnlich übergreifende Konzepte eingeführt. Die Jugendteams spielen nach den Systemen der A-Elf, so dass der Übergang erleichtert wird. Die vielen Erfolge in den vergangenen sechs Jahren bei Junioren wie Senioren, bei Männern wie Frauen, gehen nicht zuletzt auf solche Konzepte zurück.
Der DFB hat genug Geld dafür, andere Verbände aber auch. Im Basketball, Volleyball, Handball oder Eishockey wird in profitablen Profiligen gespielt. Und der Deutsche Schwimmverband könnte etwas mehr von den 3,7 Millionen Euro des BMI in den Wasserball stecken. Doch ausgerechnet beim Hockey, wo Spieler nebenher arbeiten, wird es umgesetzt. Zunächst wurde das Projekt vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanziert. Als es sich bewährte, übernahm der Hockeybund die Kosten, zusammengetragen aus Spenden.
Teuer ist das nicht. Doch man muss sich Neuem öffnen und Juniorentrainer fest anstellen, anstatt sie nur auf Honorarbasis arbeiten zu lassen. Klöckner hatte einst versucht, dergleichen beim DVV einzuführen und brach das Projekt schnell ab. Die Vorbehalte dagegen waren zu groß. Den Erfolg des Männer-Nationalteams führt er auf den exzellenten Bundestrainer Vital Heynen zurück.
Genau hier könnte der DOSB Vorgaben machen, das Geld spezifisch für die Entwicklung von Konzepten auszugeben anstatt für die Austragung von Qualifikationsturnieren verbunden mit der Hoffnung auf einen ominösen Heimvorteil. Dirk Nowitzki kann auch nur noch einmal helfen, und auf Wildcards dürfen sich die Handballnationalteams in Zukunft wohl nicht mehr verlassen.
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