Ausverkauf in Einzelposten
Ein Jahr nach der Stadtwerke-Insolvenz läuft im thüringischen Gera die Investorensuche
Vor einem Jahr hat im thüringischen Gera mit der Stadtwerke-Pleite bundesweit für Aufsehen gesorgt. Am 27. Juni 2014 stellte erst die Stadtwerke AG, wenige Tage später auch der Verkehrsbetrieb den Insolvenzantrag. Für die Einwohner halten sich die Folgen seither in Grenzen. Busse und Bahnen fahren weiter - wenn auch in etwas größeren Takten. Und der Domino-Effekt für andere Tochterfirmen wie den städtischen Energieversorger ist ausgeblieben. Hinter den Kulissen wird jedoch der Ausverkauf weiter vorangetrieben. »Die Investorenprozesse laufen planmäßig«, sagt der Sprecher von Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Genauere Details zum Stand der Gespräche will er allerdings nicht nennen, um diese nicht zu gefährden, wie es heißt.
Geplant ist, den 75-Prozent-Anteil an der Wohnungsbaugesellschaft Elstertal, die rund 7000 Wohnungen verwaltet, zu Geld zu machen. Der soll etwa 30 Millionen Euro wert sein - so viel wollte die Stadt zumindest vor einem Jahr zahlen, bekam aber keine Genehmigung, um die notwendigen Kredite aufzunehmen. Auch sucht Jaffé einen Investor, der bei den Verkehrsbetrieben einsteigt. Die Anteile am Entsorger GUD haben bereits einen neuen Besitzer. Die Forderungen der Gläubiger summieren sich den Angaben zufolge auf mehr als 160 Millionen Euro. Die Stadtwerke AG, in der Vergangenheit Holding für die verschiedenen städtischen Beteiligungen, hat statt mehr als 20 nur noch drei Beschäftigte - eine Art Abwicklungsteam. Beim Verkehrsbetrieb hat Jaffé die Kosten gesenkt, indem Taktzeiten ausgedehnt, Personal entlassen und unrentable Bereiche wie die Restaurierung historischer Straßenbahnen geschlossen wurden. Statt wie früher rund 300 Mitarbeiter sind es heute dem Vernehmen nach noch etwa 250. Das jährliche Defizit soll sich auf 2,5 bis 3,5 Millionen Euro verringert haben.
Thüringen Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) glaubt an eine Zukunft für die hoch verschuldete Stadt und ihre kommunalen Unternehmen. Vor einem Jahr - damals noch Oppositionsführer - hatte er eine Landesbürgschaft gefordert, um die endgültige Insolvenz zu verhindern. Doch CDU-Finanzminister Wolfgang Voß sperrte sich dagegen. »Wir müssen jetzt schauen, wie wir eine Zukunftsperspektive entwickeln können«, sagt Ramelow. Dazu führe er Gespräche mit Oberbürgermeisterin Viola Hahn (parteilos) - Details zu den Überlegungen will er zum jetzigen Zeitpunkt nicht nennen.
Wann die Insolvenz der Stadtwerke beendet wird, ist derzeit nicht abzusehen. Auch bei der juristischen Aufklärung des Falles ist noch kein Ende in Sicht. Die liegt in der Hand der Staatsanwaltschaft Mühlhausen. Dabei geht es etwa um Untreuevorwürfe gegen einen Ex-Vorstand sowie den Vorwurf, dass Fördermittel für das Stadtbahnprogramm mit falschen Angaben erschlichen wurden. Dieses mehr als 50 Millionen Euro teure Vorhaben samt einer neuen Straßenbahnlinie in den Stadtteil Langenberg ruht wegen der fehlenden Eigenmittel. Ob es jemals fortgesetzt wird, ist ungewiss. dpa/nd
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