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Eine Minute gute Stimmung

Eine neue Disziplin soll das Fechten der Modernen Fünfkampfer interessanter machen

Bonusfechten heißt die neueste Veränderung im Modernisierungsprozess der Fünfkämpfer. Die WM-Premiere in Berlin fand trotzdem fast komplett ohne Zuschauer statt.

Das Fechten ist vorbei. Es beginne das Fechten. Der Moderne Fünfkampf versucht seit einem Jahrzehnt, wieder modern zu werden - und krempelt dafür ständig seinen Sport um. Die letzte Neuerung nennt sich Bonusfechten und erlebte am Montag seine Weltmeisterschaftspremiere in Berlin. Ein zweiter Wettkampf nach dem ersten Fechten: Was auf den ersten Blick konfus wirkt, soll für die Zuschauer mehr Klarheit bringen. Ob das gelingt, ist noch unklar. Dazu fehlten im Olympiapark die Zuschauer.

Die Fernsehproduzenten des Olympic Broadcasting Services hatten Klaus Schormann vor einigen Jahren offenbar gedroht: »Wenn ihr das Fechten nicht reformiert, werden wir es nicht mehr übertragen«, erinnert sich der Weltverbandspräsident. Also drückte er nach den Staffel-, Mixed und Combined-Disziplinen noch eine Änderung durch und führte nun das Bonusfechten ein. Früher kämpfte jeder gegen jeden, in einer Halle auf mehreren Bahnen. Kaum jemand sah in dem Trubel von 36 Fechtern durch.

Mit der Neuerung wird das Fechten ins Freie geholt. Auf einer einzigen Bahn kämpft bei der Männerstaffel am Montag nun die letztplatzierte gegen die vorletzte. Die Sieger bekommen eine Bonussekunde und dürfen gegen die Drittletzten weiterkämpfen. Das geht immer so weiter, bis die beste Nation an der Reihe ist. Jeder Fechter wird den Beobachtern so noch einmal präsentiert.

Das Problem ist nur: Das alte Fechten ist auch immer noch da. Irgendwie muss ja festgestellt werden, welche die beste Staffel und welche die schlechteste ist. Und so quetschen sich am Vormittag wieder 36 Fechter auf neun Bahnen. Überall blinken grüne oder rote Lampen. Ein Treffer, ein Schrei, dann wird zur nächsten Planche gewandert. Ein großes Durcheinander für den Laien, doch die wenigen Zuschauerplätze sind trotzdem gefüllt. Etwa 150 Interessierte sind da und schreien die Athleten an. Beim näheren Hinschauen stellen sich die meisten von ihnen als Trainer heraus.

Immerhin, eine Schulklasse ist da. »Der Direktor hat uns erlaubt, für ein paar Stunden herzukommen«, freut sich die Lehrerin. Ihr Bruder war mal Fünfkämpfer und so wollte sie ihren Schülern den Sport mal zeigen. Die 22 Knirpse brüllen abwechselnd »Deutschland«, »Alex« oder »Marvin«, um Alexander Nobis und Marvin Dogue anzufeuern, die als Heimstaffel in Berlin antreten. »Das hat Spaß gemacht«, sagt eine Schülerin kurze Zeit später. »Schade nur, dass wir jetzt zurück zur Schule müssen.« Zu dem Zeitpunkt ist die erste Fechtrunde noch längst nicht vorbei.

Das Bonusfechten verpasst die Klasse komplett. Nicht wirklich schlimm, denn Klaus Schormann gibt zu, dass es sich dabei um »ein Showelement« handele. In der ersten Runde gab es für jeden Treffer noch sechs Sekunden Bonus, nun nur noch eine für zwei Treffer. »Das ist gut für die Zuschauer. Für die Athleten ist es nicht so günstig«, beklagt Bundestrainer Christian Schadow den nun noch engeren Zeitplan für die Sportler. »Immerhin ist das Bonusfechten kurzweiliger. Für mich ist es aber nicht relevant. Ich hätte es nicht gebraucht«, so Schadow.

Sportlich ist das Ganze also nicht wichtig, aber die Zuschauer im Stadion und an den Bildschirmen sollen Fechten dadurch besser verstehen. Zu dumm nur, dass am Rande des Reitstadions jetzt nur noch gut 80 Leute auf der Tribüne sitzen. Höchstens 15 von ihnen sind weder Journalisten noch Trainer. Dabei hatte Schormann am Freitag bei einer Pressekonferenz noch gerufen: »Kommen Sie zum Bonusfechten, um modernen Sport zu sehen!« Der Eintritt ist in der gesamten WM-Woche ohnehin frei. Von den zwei Moderatoren wird »ein spektakulärer Wettkampf« angekündigt. Zwei Siege, in auf maximal 30 Sekunden halbierten Kämpfen, und je ein Treffer reichen. Übersichtlicher geht es wahrlich kaum noch, mehr Stimmung kommt trotzdem nicht auf. Auch nicht als die Chinesen beginnen, durchs Feld zu fegen und vier Duelle in Folge gewinnen. Unter der heißen Sonne steht trotzdem keiner von seinem Sitz auf, um zu applaudieren.

Die vorher starken Deutschen sind nur im letzten Duell dran - und gewinnen es. Sie bekommen als Sieger des Bonusfechtens zwei Sekunden fürs spätere Laufen gutgeschrieben. Eine Minute lang kommt etwas Stimmung auf. Eine Minute später ist die Tribüne schon fast wieder menschenleer. Selbst die Siegerinterviews will kaum noch jemand hören.

»Man muss sich dem Zeitgeist anpassen«, hatte Schormann die Einführung der neuen Teildisziplin begründet. Doch um die Akzeptanz der Zuschauer geht es ihm eigentlich gar nicht. Die neue Fechtrunde brachte ihm im olympischen Programm zwei extra Tage bei den kommenden Sommerspielen in Rio 2016. Davon kann man später einen locker wieder eindampfen, um 2020 in Tokio die Mixedstaffel genehmigt zu bekommen. Ein weiterer Wettbewerb, drei weitere Medaillen, mehr TV-Präsenz. Darum geht es. Und der Plan könnte aufgehen. Dass sich irgendwann mehr Menschen für Modernen Fünfkampf interessieren, wohl eher nicht. Trotz Bonusfechten.

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