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Show für ein gutes Gewissen

Die 56. Kunstbiennale Venedig versammelt kritische Kunst, rührt aber nicht an den kritisierten Zuständen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Nur nicht zu kritisch sein: Die 56. Kunstbiennale gibt sich kapitalismuskritisch. Im Widerspruch dazu steht die zur Schau gestellte Sponsorenliste, die sich wie das Who is Who führender Kapitalgesellschaften und deren angeschlossenen Stiftungen liest.

Biennale-Kurator Okwui Enwezor will der Kunstwelt ins Gewissen reden, lokale und regionale Perspektiven auf die Welt fördern und am liebsten den Kapitalismus abschaffen. Das ist sympathisch. Aber es wirkt leider nicht.

Im Auditorium des zentralen Pavillons in den Giardini sitzen Menschen an Mikrofonen und lesen. Sie lesen aus Marx’ »Kapital«, der von der Kunstwelt wiederentdeckten Analyse des Finanzkapitalismus. Ein paar Besucher haben auf den Rängen auch Platz genommen. Doch anstatt zuzuhören, fummeln sie in ihren mitgebrachten Beuteln herum, blättern im Biennale-Führer, orientieren sich auf der Lageskizze des Ausstellungsgeländes, nehmen einen Schluck Wasser oder verschnaufen ganz einfach. Die »Kapital«-Vorlesung wird für die erschöpften Kunstbummler zur Geräuschkulisse, zum gesprochenen auditiven Endlosloop, der an ihnen vorbeirauscht wie ein munteres Bächlein am rastenden Wanderer. Zu tieferen Erkenntnissen sind die Besucher allein wegen der Erschöpfung, die die bisherige Wanderschaft durch Installationen und Pavillons in ihnen auslöste und die sie gerade an diesem Ruhepunkt niedersinken ließ, kaum in der Lage. Selbst wenn sie es wären: Das Vorlese-Arrangement erlaubt kein Nachfragen, kein Innehalten, kein Zurückblättern. Die in Berliner Unis immer noch zu findenden Handzettel mit »Kapital«-Lesekreisen dürften bessere Erkenntnismöglichkeiten bieten.

Die von Enwezor bestellte Lesung ist eine ikonische Geste. Sie gleicht Che-Guevara-T-Shirts an Menschen, die mal ein hübsches Motto in den Stadtraum bringen wollen, ansonsten aber keine Gedanken daran verschwenden, wie man gerechtere Verhältnisse tatsächlich organisieren kann.

Immerhin ist es eine Geste. Große Kunstausstellungen können seit einigen Jahren ohne Kapitalismuskritik nicht mehr auskommen. Das ist ein Zeichen des Rumorens, der großen Unzufriedenheit über die Verhältnisse selbst bei denen, die in ihrem Berufsfeld noch vom gesellschaftlich erzeugten und privat angeeigneten Reichtum profitieren, weil dieser Reichtum eben der Kaschierung bedarf. Im unweit von Venedig gelegenen Padua leistete sich im frühen 14. Jahrhundert noch ein finsterer Geldwechsler die Dienste des Malers Giotto, um durch diesen die Begräbniskapelle seiner Familie mit beeindruckenden Fresken über Jesu Leidensgeschichte und das Jüngste Gericht zu versehen. Der Auftraggeber hoffte auf Gnade beim von ihm offenbar nicht gänzlich ausgeschlossenen Entscheid über Hölle oder Himmel.

Die Postmoderne hat diesen Vorstellungshorizont ins Diesseits transferiert. Imagebildung in den globalen Medien lautet die Aufgabe. Himmel und Hölle werden durch Aufmerksamkeitsintensitäten in der medialen Arena markiert. Und so liest sich die Sponsorenliste der Biennale wie das Who is Who der das aktuelle Fegefeuer der Nichtwahrnehmung fürchtenden Kapitalgesellschaften und deren angeschlossenen Stiftungen.

Wie der Auftraggeber der Giotto-Kapelle haben sie ihren Teil zu einem tatsächlich beeindruckenden Parcours beigetragen. Im zentralen Pavillon wird Videogeschichtsunterricht von Alexander Kluge über Bauernkrieg und DDR-Transformation gegeben. Andreas Gursky zeigt seine Menschenansammlungen in Börsen und asiatischen Billigfabriken. Zwar unterscheiden sich die Arbeits- und Lebensbedingungen und sicher auch die Lebenserwartung der Dargestellten. Das Gewimmel aber macht deutlich, dass für den kapitalistischen Betrieb der Mensch nur eine Nummer, ein Faktor, ein Funktionselement ist.

Der jung verstorbene japanische Maler Tetsuya Ishida ist mit seinen Leinwänden vertreten, die die Auswirkungen dieser entfremdeten Lebensweise auf die Mittelschicht seines Landes darstellen. Bei Ishida sind einsame Menschen in Kokon eingesponnen und in wie Waren in Kisten verpackt. Der Videokünstler Chris Marker zeigt in einer intensiven Installation Leichenfelder und Stacheldrahtverhaue.

Im Arsenale beeindruckt Abu Bakarr Mansaray aus Sierra Leone mit detailverliebten Darstellungen von Waffensystemen, die eine Hybride aus Comic und Voodoo-Beschwörung darstellen. Nidhal Chamekh aus Tunesien hingegen gedenkt in zeichnerischen Überlagerungen von anatomischen Skizzen und solchen von Schusswaffen der Opfer des Arabischen Frühlings. In diesem Teil der zentralen Ausstellung verwirklicht Enwezor tatsächlich sein Anliegen, künstlerische Positionen aus dem globalen Süden stärker zu präsentieren.

In den Nationenpavillons wird Enwezors aufklärerische Position oft aufgegriffen. Der belgische Pavillon präsentiert eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der belgischen Kolonialvergangenheit; am eindrucksvollsten hier Elisabetta Benassis »Ghost Stop«, eine Bushaltestelle aus Abgüssen von Tierknochen, die im Brüsseler Museum für Zentralafrika lagern, und der sie den Namen des kongolesischen Aktivisten Paul Panda Farnana verleiht. Im russischen Pavillon konfrontiert Irina Nakhova Videoaufnahmen von Würmern mit bearbeiteten Fotografien aus den 20er und 30er Jahren, aus denen die Opfer der damaligen Säuberungen entfernt werden. Politischer Terror wird hier zwar in den Kontext von Werden und Vergehen gestellt, zugleich zeigt sich aber, dass im Gegensatz zu manch medialer Darstellung im Putinschen Russland noch nicht alles gleichgeschaltet ist und der vom Kulturministerium betreute Pavillon sich trotz Putins Liebäugeln mit Stalin weiterhin Kritik leisten kann.

Im japanischen Pavillon besticht die Installation von Chioharu Shiota: Der gesamte Raum ist mit einem Netz aus roten Fäden gefüllt, an deren Enden rostige Schlüssel hängen. Das Fadengeflecht bedeckt einfache Boote. Die in Berlin lebende Künstlerin verarbeitete mit dieser Installation zwar ursprünglich den Abschied von verstorbenen Freunden und Angehörigen, die Elemente verdichten sich aber zu einem eindringlichen Kommentar zu den vielen im Mittelmeer umgekommenen Flüchtlingen.

Auf das Kerngeschäft der Biennale, den Image-Ablasshandel der Geldgeber, macht unfreiwillig der deutsche Pavillon aufmerksam. Bespielt wird er mit anstandslos kritischer Kunst. Größer und imposanter als jedes einzelne Werk dort ist aber die Tafel, auf der den privaten Sponsoren gedankt wird, ohne die der Pavillon »leer geblieben« wäre. Entweder kann sich die Kulturnation Deutschland den Auftritt bei dieser Prestigeschau ohne die Almosen der Privatwirtschaft gar nicht mehr leisten; näher liegt aber die Vermutung, dass der Kulturbetrieb gern das Seine tut, die Geldgeber richtig in Szene zu setzen. An der Sponsorendankwand endet in Venedig die Kapitalismuskritik. Der deutsche Pavillon liefert unabsichtlich die stärkste Aussage zur Tiefenwirkung des Kapitalismus auf der Biennale.

Biennale Venezia, bis 22.11. 2015, www.labiennale.org

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