Bedingt reformfähig?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Krise

  • Lesedauer: 7 Min.

ARD und ZDF haben das Rennen um die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele zwischen 2018 und 2024 verloren. Nach derzeitigem Stand wird der TV-Zuschauer die Wettkämpfe live nur bei der privaten Konkurrenz auf Eurosport verfolgen können. Wir könnten doch zufrieden sein, denn jetzt können die Öffentlich-Rechtlichen das Geld, dass sie nicht für überteuerte Sportübertragungen ausgeben müssen, in ein besseres Informationsprogramm investieren.

Zumindest eröffnet diese Niederlage beim Verhandlungspoker Spielräume. Man kann davon ausgehen, dass ARD und ZDF jetzt jeweils ca. 50 Millionen Euro frei zur Verfügung haben. Mit dieser Summe lassen sich Dokumentationen und auch Spielfilme finanzieren. Eine andere Verwendungsmöglichkeit wäre die bessere Vergütung der Filmproduzenten für die Filme, die in den Mediatheken der Sender im Internet angeschaut werden können. In den vergangenen Jahren sind die entsprechenden Etats sowohl bei der ARD wie auch beim ZDF nicht gestiegen. Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) hat kürzlich vorgerechnet, dass ARD und ZDF für die Übertragungsrechte der Fußballeuropameisterschaft 2012 rund 117 Millionen Euro gezahlt haben; jedes Spiel koste den Gebührenzahler knapp 3,8 Millionen Euro. Eine Doku von 90 Minuten Länge ist bereits für 250 000 Euro zu haben.

Geben sich die Zuschauer mit weniger Sport zufrieden und wollen sie wirklich mehr Dokumentationen im TV sehen?

Wir haben es hier mit einem Missverhältnis zwischen der Wahrnehmung und der Programmpolitik der Sendeanstalten auf der einen und den Wünschen des Publikums auf der anderen Seite zu tun. Das Interesse des TV-Publikums an Sportsendungen rangierte bei einer repräsentativen Emnid-Umfrage lediglich im Mittelfeld - übrigens knapp vor den von den Sendern gehypten Talkshows. Der Wunsch nach Informations- und Dokumentationsformaten ist dagegen deutlich größer.

Aber die großen Sportsendungen wie zum Beispiel die WM-Spiele der deutschen Fußballnationalmannschaft sind nach wie vor Quotengaranten für ARD und ZDF.

Das stimmt, doch die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich von dieser Quotenfixierung lösen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Die Marktanteile zielen ja nur auf das Publikum ab, das zu einer bestimmten Zeit fernsieht. Herausragende sportliche Ereignisse locken erfahrungsgemäß viele Zuschauer vor den TV-Bildschirm. Die Sender müssen zur Einsicht gelangen, dass jeder, der einen Rundfunkbeitrag bezahlt, das Recht hat, fünfmal in der Woche zu nicht nachtschlafender Zeit Reportagen, Dokumentationen und andere Informationsformate sehen zu können und nicht auf die Mediathek im Internet angewiesen bleibt. Wir brauchen eine neue Währung für den Markterfolg des Fernsehens: die gesellschaftliche Reichweite und Relevanz des Gesamtprogramms. Um es zugespitzt zu sagen: Wenn nur noch zehn Prozent der Bevölkerung fernsehen, davon aber alle dieselbe Sendung, dann hat diese einen Marktanteil von 100 Prozent. Doch es wird nur noch ein Zehntel der Beitragszahler erreicht.

Werden ARD und ZDF damit aber nicht zu »Wünsch-Dir-Was-Sendern« für ein kleines, aber feines Publikum?

Nein, im Gegenteil. Das Fernsehen, wie wir es seit Jahrzehnten kennen, löst sich auf. TV und Hörfunk werden zunehmend über das Internet verbreitet. Die Sender bieten nicht nur Videos auf Abruf, sondern auch themenspezifische Apps und personalisierte Webpages.

Viele dieser Angebote, von denen Sie sprechen, basieren auf Daten, die die Medienunternehmen von den Nutzern erhoben haben. Mit diesen Informationen werden schon heute von Kanälen wie Youtube oder Facebook personenspezifische Angebote unterbreitet. Die Daten der Nutzer werden zu Geld gemacht, indem individualisierte Werbung geschaltet wird oder Daten weiterverkauft werden. Sollen ARD und ZDF jetzt auch noch in den Handel mit Nutzerdaten einsteigen und den Datenschutz damit im öffentlich-rechtlichen Auftrag weiter aushöhlen?

Nein. Fakt ist: Medienunternehmen, die keine Daten erheben dürfen, werden in Zukunft nicht mehr konkurrenzfähig sein. Die kommerziellen Medienanbieter sowie sozialen Netzwerke setzen hier die Standards und verändern das Nutzungsverhalten. Für mich geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zielen die Daten erhoben werden. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, dass die Nutzer auch die Wahl haben zwischen Plattformen, auf denen die Betreiber alle Daten abgreifen, und Plattformen, die diese Daten unter gewissen Standards erheben. Der Einzelne muss selbst bestimmen können, ob und welche Daten er weitergibt. Er muss die Möglichkeit haben, diese Daten wieder zu löschen. So entsteht eine Art neues Duales System.

Im alten gab es das Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern …

... Richtig, die einen waren werbe-, die anderen beitragsfinanziert. Im neuen Dualem System macht der Umgang mit den Daten den Unterschied aus. Die einen wollen sie so weit wie möglich zu Geld machen, die anderen nutzen diese auch, kommerzialisieren sie aber nicht. Allerdings muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wenn er bestehen will, seine Angebote stärker auf die Einzelinteressen der Zuschauer und Zuhörer ausrichten.

Bleibt dann aber nicht jeder quasi in seiner eigenen Medienblase gefangen?

Nicht unbedingt. Es liegt in der Verantwortung der Redaktionen, Programme so zusammenzustellen, dass auch Angebote unterbreitet werden, die über die jeweiligen spezifischen Interessen hinaus gehen. Wer z.B. gerne Rockmusik hört, dem wird auch klassische Musik geboten, wer mit Vorliebe historische Dokumentationen über ferne Länder und Kulturen konsumiert, kann von der Redaktion über aktuelle Ereignisse in diesen Regionen zusätzlich informiert werden. Hinter den Algorithmen, die solche Angebote generieren, stehen ja immer noch redaktionelle Sichtweisen, die die »Blase« gelegentlich anpiecken können und auch sollten.

Das klingt sehr optimistisch, wenn nicht geradezu utopisch. ARD und ZDF befinden sich derzeit in einer tiefen Vertrauenskrise. Das Publikum reagiert immer häufiger gereizt und negativ auf die Berichterstattung beispielsweise über den Bürgerkrieg in der Ukraine oder die Griechenland-Krise. Immer mehr Zuschauer kehren den Öffentlich-Rechtlichen den Rücken.

Diese Kritik kann ich nachvollziehen. Sie ist berechtigt. Die Öffentlich-Rechtlichen - und übrigens nicht nur die - liefern vielfach nur noch eine regierungsoffizielle Sichtweise. Das liegt sicherlich mit daran, dass in den Redaktionen und bei den Sendeverantwortlichen Personen arbeiten, die über politische Lobbyorganisationen miteinander vernetzt sind. Wer z.B. der Atlantik-Brücke angehört oder ihr nahe steht, wird tendenziell freundlicher über die US-Politik bzw. die Politik des Westens gegenüber Russland berichten. Das eigentliche Problem ist jedoch struktureller Natur. In den Redaktionen ist der Arbeits- und Zeitdruck enorm hoch. Hintergrundrecherchen sind kaum möglich. Zudem fehlen die entsprechenden Arbeitsinstrumente, z.B. ein Lobby-Register, in dem online schnell nachgeschlagen werden kann, welcher Politiker, welcher Unternehmer oder welcher Wissenschaftler, der den Journalisten als unabhängiger Experte gegenübertritt, in welchem Netzwerk aktiv ist, möglicherweise auch dort in Lohn und Brot steht. Zum anderen sind viele TV-Formate mittlerweile veraltet. Die »Tagesschau« präsentiert seit 60 Jahren die Welt in 15 Minuten. Aber die Welt ist komplexer geworden, da reichen Beiträge von 90 Sekunden nicht mehr aus, man braucht mindestens drei Minuten, um einen Sachverhalt angemessen auch in seinem historischen Kontext darstellen zu können. Ihr Schweizer Pendant hat übrigens 25 Minuten.

Ist die Zeit der großen Medienanbieter, seien es jetzt Öffentlich-Rechtliche oder private Rundfunksender oder auch mehr oder weniger große Presseeinheiten, nicht eh bald vorbei? Durch das Internet wird jeder, der früher nur Empfänger war, auch zum Sender einer Nachricht.

Allerdings haben viele dieser Sender nur eine geringe Reichweite. Die öffentliche Debatte wird zumeist durch die Themen bestimmt, die die Medienkonzerne setzen. Journalismus kann zudem nicht nur durch Einzelkämpfer gemacht werden. In Redaktionen und Sendern kann Reflexion, Austausch und Kritik dafür sorgen, ein genaueres Abbild der Realität zu bieten und über die verschiedenen Medien auszuspielen. Ein Beispiel: Früher gab es die Kamerateams mit Tonmeister, Kameramann, mit dem Fragesteller und noch einem Techniker, die sich auf der Fahrt zu und von einem Termin über das unterhielten, was sie dort aufnehmen werden bzw. aufgenommen haben. Mit der heutigen digitalen Technik müssen das jetzt Ein-Mann-Teams machen. Das soll jetzt nicht heißen, dass nicht auch bloggende Bürger relevante journalistische Beiträge leisten. Doch das Nutzungsverhalten zeigt, dass viele nach wie vor die großen TV-Sender und die Zeitungen sowie deren Plattformen im Internet wie auch zunehmend soziale Netzwerke als Informationsquellen für sich nutzen. Unter diesen vielen, zumeist kommerziell orientierten Anbietern müssen die Öffentlich-Rechtlichen eine Alternative sein, die journalistische Standards hoch hält. Dem werden sie jedoch leider zunehmend nicht gerecht. Auch dadurch stellen sie sich in Frage.

Werden die Öffentlich-Rechtlichen diese Herausforderung meistern?

Schwer zu sagen. Auf jeden Fall bin ich skeptisch, dass sie sich aus sich selbst heraus reformieren können.

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