»Entscheidender« Gipfel am Sonntag
Athen will Überbrückungskredit / Neuer Antrag Griechenlands auf ESM-Gelder erwartet / Grüne Jugend gegen grüne Austeritätsfreunde / Frankreichs Premier: Umschuldung kein Tabu / Opposition kritisiert »Scharfmacher und Nationalpatrioten«
Update 23.10 Uhr: »Entscheidender« Gipfel am Sonntag
Die 28 EU-Staaten werden am Sonntag bei einem Sondergipfel über die Griechenland-Krise beraten. Das kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag nach Abschluss des Euro-Gipfels in Brüssel an. Für einen Kompromiss bleiben nach den Worten von EU-Gipfelchef Donald Tusk noch fünf Tage Zeit. »Die endgültige Frist endet diese Woche«, sagte Tusk am Dienstag in Brüssel. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sprach von einem »entscheidenden« Gipfel am Sonntag. Die europäischen Gläubiger erwarteten, dass die griechische Regierung bis Donnerstag Vorschläge mache, wie ein Kreditprogramm des Europäischen Stabilitätsmechanismus Euro ESM aussehen könne. Im Gespräch ist laut EU-Diplomaten ein Überbrückungskredit, damit Griechenland nicht schon im Juli zahlungsunfähig werde. Das Spitzentreffen in Brüssel dauerte knapp vier Stunden. Athen will auf Basis seiner Vorschläge vom 30. Juni neue Hilfen beim Euro-Rettungsfonds ESM beantragen. Ein entsprechender Vorschlag soll laut griechischen Regierungskreisen am Mittwoch vorgelegt werden.
Update 21.50 Uhr: Tsakalotos: Hat Fortschritte in der Eurogruppe gegeben
Die Eurogruppe will Griechenland nach Angaben des neuen Finanzministers Efklidis Tsakalotos eine »neue Chance« geben. Der »politische Wille« dazu sei da, sagte Tsakalotos am Dienstagabend in Brüssel. Bei dem Treffen der Eurogruppe habe es »Fortschritte« gegeben, sagte er, ohne nähere Angaben dazu zu machen. Im Anschluss an das Treffen der Eurogruppe fand am Dienstagabend in Brüssel ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Währungsunion statt. Griechenland will auf Basis seiner Vorschläge vom 30. Juni neue Kredite beim Euro-Rettungsfonds ESM beantragen. Ein entsprechender Vorschlag solle am Mittwoch vorgelegt werden, verlautete am Dienstag aus Regierungskreisen in Athen. Anschließend würden die Finanzminister der Eurogruppe in einer Telefonkonferenz darüber beraten.
Update 21.40: Faymann: Brückenfinanzierung ist vorstellbar
Um besonders akute und kurzfristige Finanzlücken in der griechischen Staatskasse zu schließen, ist nach Einschätzung von Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann eine Brückenfinanzierung vorstellbar. »Zuerst bräuchte man ein Programm. Dann kann man überlegen, ob - bis das Programm beschlossen ist - man eine Finanzierungsbrücke baut«, sagte Faymann am Rande des Sondergipfels der Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder am Dienstag in Brüssel. Faymann wies aber darauf hin, dass konkrete Vorschläge Athens für Maßnahmen noch fehlten, diese gelten als Voraussetzung für neue Kredite der Europartner. Athen wünsche eine Übergangslösung bis zum Monatsende, hieß es ergänzend aus griechischen Regierungskreisen. Örtliche Medien berichteten, Athen wolle einen ersten »kleinen Überbrückungskredit«.
Update 20.50 Uhr: Athen will drei Monate »Überbrückungskredit«
Aus Brüssel heißt es, die griechische Regierung strebe einen dreimonatigen »Überbrückungskredit« an, zudem beantrage man zwei bis drei Jahre andauernde Kredite aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus.
Update 20 Uhr: Tsipras und Obama telefonieren
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat US-Präsident Barack Obama am Dienstag telefonisch über den neuesten Stand der Beratungen über die Lösung des Konflikts um die Krisenpolitik und den Umgang mit den griechischen Schulden informiert. Dabei habe Tsipras Obama erklärt, dass Athen einen »Überbrückungskredit« von seinen Gläubigern wünsche, bis eine nachhaltige Lösung des Problems erreicht sei, wie am Dienstagabend aus griechischen Regierungskreisen in Brüssel verlautete. Obama habe seinerseits die Hoffnung geäußert, dass die Verhandlungen zwischen Athen und den Gläubigern bald erfolgreich abgeschlossen werden könnten, damit Griechenland im Euroraum bleibt. Tsipras hatte am Vormittag mit US-Finanzminister Jacob Lew über das gleiche Thema gesprochen.
Update 19 Uhr: Euro-Sondergipfel begonnen – neuer Gipfel am Sonntag
Die Staats- und Regierungschefs der 19 Euroländer haben in Brüssel mit Beratungen über die Lösung des Konflikts um die Krisenpolitik und den Umgang mit den griechischen Schulden begonnen. Beim Sondergipfel ging es am Dienstag um die Frage, ob und wie das Land neue finanzielle Unterstützung bekommen kann. Bei einem Treffen der Euro-Finanzminister am Nachmittag hatte der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos seinen Amtskollegen zunächst keine neuen Vorschläge präsentiert, die Runde hatte Griechenland aber aufgefordert, einen neuen Antrag auf Kredite aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zu stellen. Dieser wird für Mittwoch erwartet. Athen will auf Basis den Antrag auf der bereits von der SYRIZA-geführten Regierung gemachten Vorschläge vom 30. Juni stellen - diese enthielten aber »Verbesserungen«, hieß es am Dienstag aus Regierungskreisen in Athen. Enthalten seien »Reformen, der Finanzbedarf des Landes sowie die Bereinigung der Schulden«. In Brüssel machten derweil Gerüchte die Runde, es könnte am Sonntag einen neuerlichen Euro-Sondergipfel geben.
Update 18.20 Uhr: Merkel: Geht »nicht mehr um Wochen«, sondern »wenige Tage«
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auf dem Sondergipfel der Euro-Länder zu Griechenland noch keine Möglichkeit gesehen, Verhandlungen zu beginnen. Es gebe »immer noch nicht die Grundlage« für Verhandlungen über neue Kredite im Rahmen des Europäischen Stabilitätsprogramms ESM. Die Staats- und Regierungschefs würden am Abend »darüber beraten, wie es weiter geht«, könnten sich allerdings »noch kein abschließendes Bild machen«. Merkel sah nur noch wenig Zeit für eine Einigung: Es gehe »nicht mehr um Wochen«, sondern »um wenige Tage«.
Update 17.25 Uhr: Ökonomen fordern Merkel zu Kurswechsel auf
Prominente Ökonomen haben in einem offenen Brief Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, ihren Kurs in der Griechenlandkrise zu korrigieren, um weitere Schäden zu vermeiden. In dem Brief, der dem »Tagesspiegel.de« vorliegt, heißt es: »Momentan wird die griechische Regierung dazu gedrängt, sich einen Revolver an die Schläfe zu halten und abzudrücken. Doch mit der Kugel wird nicht nur Griechenlands Zukunft in Europa getötet. Die Kollateralschäden werden auch die Eurozone als Leuchtturm von Hoffnung, Demokratie und Wohlstand zerstören. Die Folgen werden auf der ganzen Welt zu spüren sein.« Weiter heißt es: »Frau Bundeskanzlerin, unsere Botschaft an Sie ist klar: Wir bitten Sie, die lebenswichtige Führungsrolle für Griechenland, Deutschland und die Welt zu übernehmen. Ihre Taten in dieser Woche werden in die Geschichtsbücher eingehen. Wir zählen auf Sie für mutige und großzügige Schritte auf Griechenland zu - Sie werden Europa auf Generationen dienen.« Zu den Unterzeichnern gehören: Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatsekretär im Bundesfinanzministerium und Chefvolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad, Thomas Piketty, Professor für Wirtschaft an der Paris School of Economics, Jeffrey D. Sachs, Professor für Nachhaltige Entwicklung, Professor für Gesundheitspolitik und Management und Direktor des Earth-Institute an der Columbia University, New York, Dani Rodrik, Ford-Stiftungs-Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Kennedy School, Harvard, Simon Wren-Lewis, Professor für Wirtschaftspolitik, Blavatnik School of Government, Oxford University.
Update 17.20 Uhr: Tsipras spricht am Mittwoch im Europaparlament
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras wird am Mittwoch im Europaparlament an einer Debatte über den Schuldenstreit teilnehmen. Dies teilte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD) über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er bestätigte damit eine Information aus griechischen Regierungskreisen in Athen. Das Europaparlament wird am Vormittag in Straßburg über den Ausgang des griechischen Referendums vom Sonntag beraten, bei dem eine deutliche Mehrheit der Wähler die Forderungen der internationalen Gläubiger und damit die Krisenpolitik abgelehnt hat. Bei der Debatte geht es auch um den Ausgang des für Dienstagabend in Brüssel einberufenen Sondergipfels.
Update 16.20 Uhr: Athen will neuen Antrag auf ESM-Gelder stellen
Griechenland will einen neuen Antrag auf Kredite aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM stellen. Die Euro-Finanzminister seien der Auffassung, dass ein neuer Antrag mit glaubwürdigen Vorschlägen für Maßnahmen her müsse, welche die SYRIZA-geführte Regierung dann umsetzen soll. Griechenland habe dem zugestimmt, berichteten Diplomaten am Dienstag am Rande eines Treffens der Euro-Finanzminister in Brüssel. Der griechische Premier Alexis Tsipras hatte bereits in der vergangenen Woche vor dem Referendum in einem Brief Hilfen aus dem ESM in Höhe von 29 Milliarden Euro beantragt. Dieser Antrag muss überarbeitet werden
Die griechische Regierung hatte den anderen Euro-Finanzministern zunächst keine schriftlichen Vorschläge vorgelegt. Unter Berufung auf ungenannt bleibende Diplomaten wurde am Dienstag aus Brüssel berichtet, der neue griechische Finanzminister Efklidis Tsakalotos habe bei einem Sondertreffen mit seinen Kollegen Vorschläge in mündlicher Form unterbreitet, diese würden nun ausgearbeitet, um schriftlich festgehalten zu werden. Der maltesische Regierungschef Joseph Muscat schrieb am Nachmittag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, »das Fehlen konkreter Vorschläge« sei nicht hilfreich für den Sondergipfel, der am Dienstagabend stattfinden soll.
Update 15.45 Uhr: Grüne Jugend will Ende der »Kaputtsparpolitik«
Die Grüne Jugend hat sich nach dem »Nein« beim griechischen Referendum für ein Ende des dergescheiterten Austeritätskurses ausgesprochen. »In Griechenland wurde nicht für oder gegen die EU gestimmt, sondern gegen die unsägliche Krisenpolitik der letzten Jahre«. Mit Blick auf Äußerungen von Spitzenpolitikern der Grünen, die als Werbung für ein »Ja« beim Referendum verstanden wurden, erklärte die Spitze der Jugendorganisation, grüne Politik müsse »sich klar vom Austeritätskurs abgrenzen. Das dies nicht geschehen ist, ist unverständlich. Es muss darum gehen, die gescheiterte Kaputtsparpolitik anzugreifen und einen klaren Kurswechsel zu fordern«, so Bundessprecher Erik Marquardt. Man distanziere sich »von Äußerungen innerhalb der Grünen, die Austerität, Armutsentwicklung und neoliberale Reformen unterstützen. Das ist nicht unsere Politik«. Bundessprecherin Theresa Kalmer sagte, mit Blick auf die Krisentreffen am Dienstag in Brüssel, es bestehe nun »die Chance, die Verhandlungen um den Umgang mit den Staatsschulden Griechenlands neu zu beginnen. Damit dies geschieht, braucht es Druck auf die Bundesregierung und vor allem Merkel, die sich von alleine bist jetzt um keinen Millimeter bewegt hat und ihren knallharten Sparkurs weiter fortführen will«. Auch Kalmer kritisierte, dass grünen-Politiker die Politik der Eurogruppe unterstützt haben. »Das hat nichts mehr mit grüner nachhaltiger Politik und erst recht nicht mit unseren Vorstellungen eines solidarischen, demokratischen und gemeinschaftlichen Europa zu tun.«
Update 13.35 Uhr: Wagenknecht: CSU hat Militärdiktatur in Griechenland befürwortet
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, hat die CSU aufgefordert, »lieber ihre eigene Vergangenheit« aufzuarbeiten, statt »mit Unwahrheiten und Ressentiments Stimmung gegen Griechenland zu machen«. Die Linkenpolitikerin erinnerte daran, dass die CSU unter Franz Josef Strauß »zu den offenen Befürwortern der griechischen Militärdiktatur« gehört habe, »unter der zwischen 1967 und 1974 zehntausende Griechen eingesperrt, gefoltert und nicht wenige sogar ermordet wurden«. Strauß habe »die griechische Militärjunta damals dafür gelobt, dass sie dem Land wieder 'Stabilität' verschafft hätte. Ich frage die CSU, ob ihr im Fall Griechenlands auch heute noch die vermeintliche Stabilität einer Militärdiktatur lieber wäre als eine Demokratie, bei der die Bevölkerung eben zuweilen anders votiert als es mancher gern hätte.« Wagenknecht bezog sich dabei auf Äußerungen unter anderem von CSU-Generalsekretär Scheuer, der die gewählte Regierung in Athen als »linke Erpresser und Volksbelüger« bezeichnet hatte.
Update 13.25 Uhr: Eurogruppe macht Druck auf Griechenland
Vor dem Treffen der Eurogruppe am Dienstag haben sich mehrere Finanzminister skeptisch geäußert. Der Chef des informellen Gremiums, dem politisch aber eine hohe Bedeutung bekommt, der Niederländer Jeroen Dijsselbloem, erwartete »sehr schwierige« Gespräche mit Athen über Lösungen in der Schuldenkrise. Er hoffe, dass die griechische Regierung nach der Volksabstimmung vom Sonntag neue Vorschläge unterbreiten werde, sagte er in Brüssel. Das Finanzministertreffen bereitet einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Währungsunion am Abend zu Griechenland vor. Der Beginn des Treffens wurde am Dienstag um eine halbe Stunde auf 18.30 Uhr verschoben.
Die Gespräche mit Griechenland könnten nur wieder aufgenommen werden, wenn es von griechischer Seite »einen wirklich ernsthaften Vorschlag« gebe, sagte auch der niederländische Finanzstaatssekretär Eric Wiebes am Dienstag. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was sie vorschlagen, weniger ernsthaft ist als der vorangegangene Vorschlag.« Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklärte, es werde ein neues Kreditprogramm nur mit Auflagen für Kürzungsprogramme und Reformbedingungen geben. Auch er warte auf neue Vorschläge der Regierung in Athen. Auf die Frage, ob es einen Schuldenschnitt für Griechenland geben könne, sagte Schäuble: »Wer die europäischen Verträge kennt, weiß, dass ein Schuldenschnitt unter das Bailout-Verbot fällt.« Das Bailout-Verbot bedeutet, dass Eurostaaten nicht für die Schulden anderer Länder aufkommen dürfen.
Ohne ein Wort und nur mit einem kurzen Kopfnicken ging der neue griechische Finanzminister Evklidis Tsakalotos an den Kameras und Mikrofonen vorbei. Links trug der 55-Jährige einen Stapel Papiere, rechts eine Aktentasche.
Update 13 Uhr: Gabriel: Nur Sparen reicht auch nicht
In einem Videobeitrag sagte Gabriel am Dienstag allerdings auch Kritisches zur Austeritätspolitik. »Ein Land kommt nicht aus der Krise, wenn man immer nur spart, spart, spart.« Erforderlich seien auch Investitionen in Bildung, Forschung, Wachstum und Arbeit. Dies hätten auch die zuletzt von der EU Griechenland gemachten Vorschläge vorgesehen, was dann aber wegen des Abbruchs der Verhandlungen nicht mehr zum Zuge gekommen sei, so Gabriel laut einer Nachrichtenagentur. Dies wäre so nicht richtig – zwar war in einem Vorschlag der Gläubiger auch auf die Möglichkeit verwiesen worden, Gelder aus EU-Fördertöpfen zu beziehen. Die 35 Milliarden Euro, um die es dabei ging, kann Athen nicht einfach abrufen und verwenden. Das hätte die SYRIZA-geführte Regierung sicher längst getan. Es handelt sich um Zuschüsse, die eine Co-Finanzierung seitens Athen voraussetzen. Da aber die dortige Regierung seit Sommer 2014 keine Gelder aus dem Kreditprogramm mehr erhalten, zugleich aber – bisher jedenfalls – allen Rückzahlungsverpflichtungen nachgekommen war, ist im Etat kein Geld für Projekt, zu denen die EU dann noch etwas dazufördern könnte.
Update 12.45 Uhr: Trittin: Referendum ist auch Niederlage für Merkel
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat das klare Nein der Griechen beim Referendum über die Gläubiger-Politik gegenüber der »Tageszeitung« auch als »eine Niederlage« für Angela Merkel bezeichnet. Die griechische Regierung müsse nun »mit dem starken Mandat im Rücken beweisen, dass sie in der Lage ist, ihr Land jenseits der Austerität zu sanieren. Und Frau Merkel muss einen Schritt gehen, den sie nie gehen wollte. Sie muss zugeben, dass eine Sanierung in Griechenland nicht gelingen kann ohne eine Minderung der Schuldenlast.« Trittin nannte es dabei unerheblich, »ob man das Entschuldung, Umschuldung oder Schuldenschnitt nennt«, jedenfalls sei es unumgänglich. Trittin warnte zudem, das Nein habe »jene Kräfte in Europa – und nicht nur in Deutschland – gestärkt, die Griechenland ohnehin aus dem Euro mobben und den Staatsbankrott in Kauf nehmen würden«. Einen Grexit könne aber »formal nur durch Griechenland herbeigeführt werden. Wenn ich die Tsipras-Regierung richtig verstehe, hat sie das nicht vor. Zweitens gibt es aus Sicht Deutschlands und Europas überragende Interessen, einen Grexit zu verhindern. Angesichts der Probleme, mit denen Europa von der Ukraine bis Nordafrika und dem Nahen Osten konfrontiert ist, dürfen wir keine Schwächung der EU riskieren«, so Trittin.
Update 12.30 Uhr: SPD-Chef: Schuldenerleichterung erst nach Reformen
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Fehler bei der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone kritisiert. »Die Aufnahme Griechenlands in den Euro ist aus heutiger Sicht sehr naiv erfolgt«, sagte Gabriel dem »Stern«. Schlimmer sei aber, dass alle viel zu lange zugeschaut haben, wie das Land immer tiefer in die Krise geriet, fügte er hinzu. Gabriel wies zugleich die Forderung nach einer Schuldenerleichterung zurück: Man könne über »die Möglichkeit, die Schulden zu verringern, erst dann reden, wenn die griechische Regierung auch zeigt, dass sie Reformen umsetzt«. Die Aufnahme Griechenlands hatte maßgeblich die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder vorangetrieben. Gabriel hatte am Montag laut »Vorwärts« den Ausgang des Referendums als »Pyrrhus-Sieg« bezeichnet, der de facto eine Niederlage für die griechische Bevölkerung bedeute. Schon am Sonntagabend hatte der SPD-Politiker erklärt, mit dem Nein habe Athen »letzte Brücken« für Gespräche eingerissen. Dies war auf Unmut unter Sozialdemokraten gestoßen, die es in der SPD auch noch gibt.
Update 11.30 Uhr: Juncker will Griechenland in Eurozone halten
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat sich für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone stark gemacht. »Niemand darf die Griechen hinauswerfen wollen«, sagte er am Dienstagmorgen vor dem Europaparlament in Straßburg. Die Verhandlungen mit Athen müssten erneut aufgenommen werden. Zugleich dämpfte Juncker die Erwartungen an das Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Länder mit der Euro-Währung am Abend in Brüssel. Dabei könne es noch keine Lösung geben. »Und wenn es heute eine Lösung geben könnte, dann wäre es wiederum eine zu einfache Lösung«, sagte er.
Update 9.30 Uhr: Frankreichs Premier Valls: Umschuldung kein Tabuthema
Eine Umschuldung für Griechenland darf nach Ansicht von Frankreichs Premierminister Manuel Valls »kein Tabuthema« sein. Europa dürfe einen Austritt des Landes aus der Währungsunion nicht riskieren - aus wirtschaftlichen Gründen, vor allem aber aus politischen Gründen, sagte Valls am Dienstagmorgen dem Rundfunksender RTL. Der erste Austritt eines Eurolandes aus der Währungsunion hätte nach seiner Ansicht Auswirkungen »auf das Wachstum und die globale Wirtschaft«. »Europa steht auf dem Spiel«, warnte Valls. Es müsse »alles für ein Abkommen« getan werden. Die Grundlage für eine Einigung mit Athen existiere, betonte der sozialdemokratische Regierungschef. »Es gibt kein Tabuthema bei den Schulden, bei der Umschuldung.« Er sprach sich zudem für eine Debatte über die griechische Schuldenkrise im französischen Parlament aus. In Absprache mit dem Parlamentspräsidenten Claude Bertolone könnte die Debatte in der Nationalversammlung am Mittwoch nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone stattfinden, sagte Valls. Die Regierung in Berlin hatte am Montag erklärt, es gebe keinen Grund, über Schuldenerleichterungen zu sprechen.
Update 8.25 Uhr: EZB könnte Athen per »Brückenprogramm« Liquidität geben
Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte Griechenland in einem Vorgriff auf ein späteres Kreditpaket unter bestimmten Umständen vorab Liquidität über ein »Brückenprogramm« zur Verfügung stellen. Das sei ein Punkt, der zu diskutieren sei, sagte der österreichische Notenbankchef Ewald Nowotny am Montagabend, wie die Nachrichtenagentur APA berichtete. Auf jeden Fall seien sehr rasche Entscheidungen nötig, »man kann eine Wirtschaft ja nicht quasi einfrieren«, sagte Nowotny in einer ORF-Fernsehsendung. Wenn Athen tatsächlich am 20. Juli Staatsanleihen im Umfang von 3,5 Milliarden Euro, die von der EZB gehalten werden, nicht tilgen könne, dann wäre dies »tatsächlich der Fall eines Staatsbankrotts, eines Defaults, da würde es für die EZB nicht mehr möglich sein, weitere Liquidität bereitzustellen«, betonte Nowotny. Dann müsste die EZB aus seiner Sicht die knapp 90 Milliarden Euro ELA-Notfallkredite formal fällig stellen, wenn auch mit Fristen für eine Rückzahlung. Über die längerfristigen Perspektiven für Griechenland würden die politischen Verhandlungen am Dienstag und eventuell auch am Mittwoch entscheiden: »Ich muss zumindest eine Perspektive haben. Das muss sich in den morgigen Verhandlungen abzeichnen, das ist ein ganz ganz wichtiger Tag.« Diese Woche würden die griechischen Banken wohl mit dem verlängerten - aber nicht aufgestockten - ELA-Rahmen »durchkommen«, danach könnten aber neue Maßnahmen nötig werden.
Vor dem Sondergipfel: Vehemente Erklärungen gegen neue Gespräche mit Athen
Berlin. Wieder ein Tag der Entscheidung für Griechenland. Nach dem klaren Nein beim Referendum über die Krisenpolitik der Gläubiger berät am Dienstag ein Sondergipfel in Brüssel, zuvor sollen bereits die Finanzminister tagen. Auf dem Weg dorthin ertönten erneut Ermahnungen in Richtung Athen, Politiker vor allem aus der Union forderten Härte gegenüber der SYRIZA-geführten Regierung, eine deutsche Boulevardzeitung wünschte sich die »eiserne Kanzlerin«, es dürfe »keine neuen Milliarden für Griechenland« geben.
»Das klamme und wirtschaftlich am Boden liegende Griechenland muss so schnell wie möglich raus aus dem Euro«, heißt es in der »Bild«, die stets an der Spitze der Diffamierungen der Griechen und der SYRIZA-Regierung stand. »Die Griechen müssen ab sofort allein klarkommen.« Die Redewendung von der »eisernen Kanzlerin« schließt an nationalistische Selbstüberhöhungen aus der Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck an. Der war als »eiserner Kanzler« bezeichnet worden, was im Wesentlichen auf eine frühere Rede zurückging, in der Bismarck sich als autoritärer Antidemokrat zeigte. Er hatte im September 1862 über die Zeit der bürgerlichen Revolution von 1848 gesagt, »nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden - das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen -, sondern durch Eisen und Blut«.
Auch führende Unionspolitiker machten vor dem Sondergipfel der Euroländer gegen Verhandlungen über ein drittes Kreditprogramm für Griechenland Front. »Griechenland hat Nein gesagt«, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der »Bild«-Zeitung und fügte hinzu: »Nein heißt jetzt für uns auch Nein zu Verhandlungen und zum Hilfspaket.« Der Vorsitzendes des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Peter Ramsauer (CSU), sagte, das Votum der Griechen beim Referendum sei zwingend als »Nein zu jeglicher Art eines neuen Hilfspakets« zu verstehen. Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), verlangte ebenfalls, das »Experiment mit den reformunwilligen Griechen im Euro-Raum« zu beenden. Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte in der »Bild« Ängstlichkeit und Unentschlossenheit der europäischen Staats- und Regierungschefs zur »größten Gefahr für den Euro«. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) bekräftigte seine Forderung nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Andere Töne kamen aus der Opposition: Die Linksfraktionsvizes Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht nannten das Ergebnis des Referendums »eine schallende Ohrfeige für Kanzlerin Merkel und die Troika. Allen Drohungen und Erpressungsversuchen zum Trotz hat die griechische Bevölkerung sich klar gegen ein weiteres Kürzungsdiktat ausgesprochen«. Athen brauche »endlich einen Schuldenschnitt und Investitionen, die zu Wachstum und Beschäftigung führen. Genau darüber sollte jetzt ernsthaft verhandelt werden«, forderte Bartsch und Wagenknecht. »Es steht schlecht um Europa, wenn die Finanzminister fast aller Eurostaaten unfähig sind, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Die Wahrheit ist, dass die Kürzungspolitik der letzten Jahre nicht nur extreme Armut und hohe Arbeitslosigkeit nach Griechenland gebracht, sondern auch die griechische Schuldenlast infolge des Wirtschaftseinbruchs immer weiter erhöht hat.«
Tsakalotos: In Europa kann sich was ändern
EZB hält Notkredite auf aktuellem Stand - und verschärft Bedingungen / Athen kündigt neue Vorschläge für Dienstag an / Varoufakis tritt als Finanzminister zurück - Euklides Tsakalotos wird sein Nachfolger / 61 Prozent gegen das Europa der Austerität - der Newsblog vom Montag zum Nachlesen
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter plädierte nach dem »Nein« der Griechen dagegen für »Bewegung auf beiden Seiten«. »Wir brauchen eine Politik der ausgestreckten Hand«, sagte Hofreiter der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Jetzt müsse die Stunde »für ausgewogene und visionäre Europapolitiker schlagen, nicht für Scharfmacher und Nationalpatrioten«. Der Grünen-Politiker forderte auch kurzfristige Hilfen für die Griechen. Vor allem eine Stabilisierung des Bankensystems müsse jetzt schnell angegangen werden. Sonst drohe Griechenland zu einem zerfallenden Staat zu werden. »Die aktuelle Situation haben uns sowohl SYRIZA als auch Juncker, Merkel & Co. eingebrockt«, sagte Hofreiter. Er forderte die Regierung in Athen auf, »endlich Vetternwirtschaft, Steuerhinterziehung und die hohen Militärausgaben anzugehen«. An die Euro-Staaten appellierte der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, ein langfristiges Investitionsprogramm und eine echte Umschuldung anzubieten, damit Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine komme.
Nach einem Treffen am Montagabend hatten Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande von der Regierung in Athen rasche Vorschläge zum Umgang mit der Schuldenkrise gefordert. »Wir sagen sehr deutlich, dass die Tür für Gespräche offen bleibt«, sagte die CDU-Politikerin in Paris. Beim Euro-Sondergipfel am Dienstag in Brüssel müsse der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras aber sagen, »wie es weitergehen soll« und »präzise« Vorschläge vorlegen. »Hierbei drängt die Zeit«, mahnte Merkel. Zugleich betonte sie, dass die Voraussetzungen für den Eintritt in Verhandlungen zu einem konkreten neuen Kreditprogramm »zur Zeit nicht gegeben« seien. Hollande äußerte sich ähnlich wie Merkel.
»Völlig auf einer Linie ist das deutsch-französische Tandem allerdings nicht: Während Deutschland wie etwa die Baltenstaaten und Finnland als Verfechter einer harten Linie gegenüber Athen gilt, wirbt Frankreich mit Ländern wie Italien für Zugeständnisse«, heißt es etwa in der Nachrichtenagentur AFP. Wie das Weiße Haus mitteilte, war sich US-Präsident Barack Obama am Montagabend in einem Telefonat mit Hollande über die Notwendigkeit einig, dass Griechenland »die Reformen wieder aufnimmt und zum Wachstum zurückkehrt«.
Der neue griechische Finanzminister Euklidis Tsakalotos hat sich derweil für Veränderungen in der EU stark gemacht. »Ich denke, dass sich etwas in Europa ändern kann«, sagte der 55-Jährige kurz nach seiner Ernennung am Montagabend in Athen. Die Griechen hätten bei dem Referendum am Sonntag deutlich gemacht, dass sie »Besseres verdient haben« und eine »nicht-lebensfähige Lösung nicht akzeptieren« könnten. Tsakalotos gestand ein, angesichts des neuen Postens »Lampenfieber« zu haben. Es sei »nicht der einfachste Moment in der griechischen Geschichte«, um Finanzminister zu werden. Tsakalotos ist Mitglied von SYRIZA und hat sich den Kampf gegen Steuerbetrug und Bestechung sowie für bessere Verwaltungsstrukturen auf die Fahnen geschrieben. Der in Rotterdam geborene Tsakalotos studierte Wirtschaft, Politik und Philosophie an den Universitäten Oxford und Sussex. Der Abgeordnete ist seit dem SYRIZA-Wahlsieg am 25. Januar stellvertretender griechischer Außenminister - zuständig für internationale Wirtschaftsbeziehungen. Zuletzt war er zudem bereits »Koordinator« bei den Gesprächen mit den internationalen Gläubigern.
Die Europäische Zentralbank (EZB) verschärfte am Montag den Druck auf Athen. Die Notenbank behielt die Linie für die Notkredite für griechische Banken zwar auch nach dem »Nein« im Referendum auf dem aktuellen Stand. Athen hatte allerdings eine Erhöhung der Notfallkredite beantragt. Die Notenbank passte am Montag zudem die Abschläge auf die von griechischen Banken eingereichten Sicherheiten an – in anderen Worten: verschärft. Die »Süddeutsche« schreibt: »Wegen der Finanzsituation des griechischen Staates müssen die Banken nun mehr Sicherheiten hinterlegen.« (»In this context, the Governing Council decided today to adjust the haircuts on collateral accepted by the Bank of Greece for ELA.«) Wie hart die neuen Auflagen sind, habe die EZB nicht mitgeteilt. Seit dem 26. Juni liegen die Kredite auf dem Niveau von knapp 90 Milliarden Euro. Agenturen/nd
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