Beleidigung
Leo Fischer über die Folgen des Slogans »Deutschland, du mieses Stück Scheiße«
Wer es in Thailand wagt, auch nur gelinde Kritik am göttlichen Monarchen zu üben, kann sich darauf einstellen, einen guten Teil seines restlichen Lebens hinter Gittern zu verbringen. In Deutschland, wo der Standort König ist und mittlerweile ganz ohne Mittelsmänner regiert, schaut die Polizei neuerdings auch schon genauer hin. Der Slogan »Deutschland, du mieses Stück Scheiße«, auf einer Griechenland-Demo in Berlin auf die Fahnen geschrieben, war ihr Anlass genug, gegen mehr als zwanzig Person zu ermitteln und die Fahne zu kassieren. »Als Grund hätten die Beamten wörtlich ›Beleidigung von Deutschland‹ angegeben«, berichtet die »taz«.
»Bild« war empört, der unverwüstlich rhabarbernde Hugo Müller-Vogg halluzinierte ein »antideutsches Revival« und schrieb den Slogan irrerweise der Linkspartei zu, der man viel nachsagen kann, nur nicht die Schmähung von Sankt Standort.
Mittlerweile ist das Verfahren zu den Akten gelegt; der Staatsanwalt konnte keine Verunglim- pfung des Staates und seiner Symbole (§90a StGB) erkennen. Diese Einschätzung geht jedoch an der Sache vorbei. Was der Staatsanwalt nicht erkannt hat, ist, dass es durchaus um ein elementares Symbol geht: Deutschland ist nämlich Symbol seiner selbst, und als solches wurde es wirksam verunglimpft.
Es geht um ein sozusagen geheimes Deutschland, um ein Land, das wirklich nur in den Köpfen von Dichtern und Denkern bzw. Rechtsbloggern und Welt-Kommentierern existiert. Und im allerweil tönenden Schädel von Müller-Vogg: »Was lernen wir daraus? Während Gregor Gysi, Katja Kipping & Genossen in Athen die deutsche Rettungspolitik schlecht reden, finden ihre zu Hause gebliebenen Handlanger die Bezeichnung Deutschlands als ›mieses Stück Scheiße‹ offenbar ›saumäßig‹ gut. Das offenbart nicht nur, wer sich so alles bei den Linken tummelt.« Wer nämlich daran zweifelt, dass Merkel respektive »Deutschland« in Griechenland irgendetwas anderes vorhabe, als völlig selbstlos die Bücher in Ordnung zu bringen, der langt gleich Hände und beleidigt eben »Deutschland«. Wer auch immer das ist.
Stimmte die demokratische Fiktion, dass Deutschland mittlerweile aus »Bürgern« (Joe Gauck) statt Untertanen bestünde, so könnten die Demonstranten schon deshalb niemanden beleidigt haben, weil sie sich mit Deutschland letztlich selbst gemeint hätten. Doch weil es in diesem Land keine Bürger gibt, war die Intuition der Polizisten schon korrekt. Sie hatten es tatsächlich auf den Wesenskern dieses Lands abgesehen, ein aus Marketing, Fußballidiotie und hasserfülltem Abgrenzungsbedürfnis zusammengekleistertes Potemkindorf, an dessen morschen Brettern bei Strafe keiner rütteln darf.
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