Horchen auf den Klang der Zapfen

Von der Kiefer bis zur Wildbirne - wie in der Landesdarre von Sachsen-Anhalt Saatgut für den Forst gewonnen wird

  • Sabrina Gorges, Annaburg
  • Lesedauer: 4 Min.
In Sachsen-Anhalts Wäldern muss laufend aufgeforstet werden. Die Saatgutgewinnung für die heimischen Baum- und Straucharten erfolgt künstlich. Da ist viel Wärme nötig - und Fingerspitzengefühl.

»Können Sie das hören?« Heike Borchardt reckt den Zeigefinger in die Luft und hält inne. »Die Zapfen machen dieses Geräusch, wenn sie aufspringen.« Stille. Dann dieses Knacken, immer wieder. Im Raum ist es warm. 39 Grad Celsius zeigt das Thermometer. Den Zapfen gefällt das gut. Sie liegen in den dunklen Kammern der sogenannten Landesdarre in Annaburg im Landkreis Wittenberg (Sachsen-Anhalt) und werden von warmer Luft umströmt. Dadurch spreizen sie ihre Schuppen ab und geben den zuvor gut geschützten Samen frei. Dann hört man den Klang der Zapfen.

»Man nennt das auch ›Ausklengen‹«, sagt die Forstingenieurin Borchardt. Sie leitet Sachsen-Anhalts Landesdarre in Annaburg. Hier wird Forstsaatgut gewonnen. Das Wort Darre bedeutet, dass etwas unter Zufuhr von Wärme oder Hitze getrocknet wird.

Ihren Ursprung hat die Forstsamendarre in der Gewinnung von Kiefernsamen. 1897 war Baustart, 1903 die Eröffnung. »Waldfrisch kommen heute die Zapfen von Kiefer, Fichte, Douglasie oder Lärche per Lkw an«, sagt Borchardt, die hier seit 2011 den Hut auf hat. »Früher gab es sogar einen Kleinbahnanschluss.« Nach dem Zwischenstopp im Trockenschuppen geht es per Förderband und Fahrstuhl nach nebenan - hinein in ein hohes, rotes Backsteinensemble. Das ist die eigentliche Darre. Die 112 Jahre alte Einrichtung gehört zu den ältesten »Samenklengen« in Deutschland. Fast alles ist originalgetreu - vom hölzernen Trockenschuppen bis zum »Zapfenfahrstuhl«.

Viola Angielsky ist eine von drei Mitarbeitern. Im Schuppen wendet sie Kiefernzapfen mit einer Schaufel. Gerade werden die letzten Lagerbestände für Deutschlands Baumschulen aufbereitet. »Die Luft zirkuliert durch die halb offenen Wände«, sagt sie. »Das ist gut fürs Nachreifen. Manchmal sind die Zapfen auch so nass, da müssen wir jeden Tag umschippen.« Seit 30 Jahren arbeitet sie hier, Kollegin Hella Kalich auch. »Da hat man jeden Handgriff im Blut.«

Um den Weg der Zapfen zu verstehen, muss man zunächst ganz nach oben und dann Etage für Etage wieder hinabsteigen. Erst heißt es ausruhen in der sogenannten Vordarre mit viel warmer Luft. Je nach Art vergehen 15 bis 30 Stunden, bis sich die Zapfen öffnen. Es folgt ein Koloss, der an eine überdimensionale Salatschleuder erinnert, die Trommeldarre. »Hier erreichen wir schon mal Temperaturen von 55 Grad«, sagt Borchardt. Ab und zu dreht sich das Gerät, die Samen fallen aus den offenen Zapfenschuppen heraus. »An jedem Korn sitzt ein großer Flügel, der entfernt werden muss.«

In Annaburg erledigt diese Arbeit eine alte Lady: »Wir nutzen eine Nockenentflügelung aus Holz. Ein wirklich altes Ding«, sagt die Leiterin der Landesdarre. »Aber rundum zuverlässig. Durch Reibung gehen die Flügel ab. Der entflügelte Samen rutscht durch einen Trichter in die Endreinigung.« Hier warten abermals Rüttler und Siebe, die Hohlkörner werden abgesaugt. Fertiger Kiefernsamen sieht aus wie eine Mischung aus hellen und dunklen Senfkörnern.

Borchardt macht eine interessante Rechnung auf: »Aus 100 Kilo Kiefernzapfen werden etwa 1,5 Kilo Reinsamen gewonnen. Aus einem Kilo kann eine Baumschule bis zu 70 000 Pflanzen ziehen. Damit kann man dann rund fünf Hektar Waldfläche aufforsten.« Der Preis für ein Kilo reine Kiefernsamen liegt im Schnitt bei 500 Euro, für Douglasie kann es schon mal das Doppelte sein. Und die leeren Zapfen? »Gutes Heizmaterial«, sagt Borchardt. »Doch den Großteil müssen wir kostenpflichtig zur Kompostierung bringen.«

Und weil nicht jedes Jahr jede Baumart beerntet wird, muss aufwendig gelagert werden. Im Fall des Kiefernsamens können das gut und gerne zehn Jahre sein - allerdings bei minus fünf Grad. Mehr als 60 Baum- und Straucharten wurden in der Landesdarre von Sachsen-Anhalt schon verarbeitet, darunter Wildbirne, Bergulme und Ginster.

Für Forstamtsleiter Frank Ackermann gab es auch Zeiten, da hatte er wegen der Landesdarre Sorgenfalten auf der Stirn. »Es wurde gefragt: Brauchen wir das eigentlich?« Doch der Chef des Betreuungsforstamts Annaburg berief sich erfolgreich auf das Forstvermehrungsgutgesetz. »Letztendlich hat das Fachliche gesiegt und der Bestand der Darre ist gesichert.« dpa/nd

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