Stadt wie Dorf
Stiftung hat in einer Arbeitsgruppe Visionen für die Bezirke der Zukunft entwickelt
Meldungen über und aus den Bezirken Berlins haben meistens einen klaren Tenor. Es fehlt an Geld, es fehlt an Personal und die Verantwortung für alles, was nicht funktioniert liegt, klar: beim Senat. Eine Arbeitsgruppe der Stiftung Zukunft Berlin hat es sich in den letzten anderthalb Jahren zur Aufgabe gemacht, aus dem Teufelskreis gegenseitiger Verantwortungszuweisungen auszubrechen und hat neun Thesen aufgestellt, die den Bezirken helfen sollen.
Am Freitag hat die AG aus zwei Bezirksbürgermeistern, einem Finanzstaatssekretär und Mitgliedern der Stiftung ihre Beobachtungen vorgestellt. Dabei geht es im Kern um die Hybris, die sich aus den Ansprüchen einer seit Jahren boomenden Stadt speist und ihre Folgen, die zu allererst am untersten Ende der Verwaltungsebene zu spüren sind, bei den zwölf Bezirken. Hier sitzen die jährlich neu hinzuziehenden 40 000 Menschen auf den Wartebänken der Bezirksämter, hier müssen die Pässe ausgestellt, Baugenehmigungen erteilt und Schulplätze zugewiesen werden.
Allein in Treptow-Köpenick werden bis zum Jahr 2030 zusätzlich 60 000 neue Einwohner leben. »Wenn wir uns nicht positiv auf die wachsende Stadt einstellen, dann wird es schnell peinlich«, sagt Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD), der neben Helmut Kleebank (SPD), Bürgermeister von Spandau, der Arbeitsgemeinschaft angehört. »Berlin ist Hauptstadt und Dorf gleichzeitig«, sagt Igel. Auf der einen Seite will die Stadt prosperieren, setzt auf Internationalität, Start-ups und seinen unverbrauchten Charme, der für Kreative aller Art zum Anziehungspunkt geworden ist. Auf der anderen Seite brodelt es im Kiez, sobald neue Baumaßnahmen anstehen. »Und wer erntet den ganzen Ärger? Das sind wir in den Bezirken«, sagt Igel. Er könne sich vorstellen, die Bezirke stärker an den Einnahmen aus der Gewerbesteuer teilhaben zu lassen. »Dann wäre es auch einfacher, zu manchen Projekten ja zu sagen.« Damit könne beispielsweise der Ausbau von Jugendfreizeit- oder Senioreneinrichtungen vorangetrieben werden. »Die Akzeptanz vieler Projekte würde so sicherlich steigen«, sagt Igel.
Die meisten Thesen der AG zielen deshalb auch auf eine stärkere Eigenständigkeit der Bezirke ab, insbesondere, was die finanziellen Mittel angeht, die ihnen über den Haushalt zur Verfügung stehen. »Die Entscheidungsfreiheit der Bezirke muss gestärkt werden, damit wir wirtschaftlicher arbeiten können«, sagt Helmut Kleebank. Dazu schildert er ein Beispiel aus seiner Verwaltung, in der aus den Mitteln des Sondervermögens Infrastruktur und Wachsende Stadt (SIWA) 4,5 Millionen Euro für externe Architekten ausgegeben wurden. »Wenn wir das mit zusätzlichen Stellen im Bauamt selbst gemacht hätten, wären die Personalkosten um ein Drittel niedriger«, sagt er. Davon hätte eine neue Sporthalle mehr gebaut werden können. »Dann müssten die Aufträge aber auch konstant vergeben werden«, widerspricht Hartmut Bäumer, ebenfalls Mitglied der AG und 2005 in der Enquetekommission »Eine Zukunft für Berlin«. Was jedoch Konsens ist, ist die Forderung nach einer effizienteren Behördenstruktur. »Es muss nicht immer alles von allen Bezirken angeboten werden«, sagt Bäumer. Ein Beispiel sei die zentralisierte Verwaltung aller Leichenschauscheine im Bezirksamt Neukölln.
Außerdem regt die AG an, die umstrukturierten Zuständigkeiten einer Bestandsaufnahme zu unterziehen. Was hat es gebracht, die Bezirksbäder auf die Senatsebene zu holen und die Kitaeigenbetriebe zurückzufahren? »Bisher hat der Senat auch nicht bewiesen, dass er Bauvorhaben selber besser handhaben kann«, sagt Bäumer und meint die Fälle, in denen der Senat den Bezirken das Baurecht entzogen hat wie kürzlich beim Streit um die Buckower Felder.
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