Forscherappelle an die Politik

Klimawissenschaftler fordern Ende des fossilen Zeitalters und CO2-Steuern

  • Susanne Götze, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Selten war ein Wissenschaftskongress derart politisch: In Paris diskutierten Forscher über die Herausforderungen des Klimawandels. Die Forscher aus aller Welt hatten klare Botschaften für den bevorstehenden UN-Klimagipfel.

Das fossile Zeitalter ist vorbei: Die Appelle an die Politik waren zum Abschluss einer viertägigen Klimakonferenz am Sitz der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Paris eindeutig. Die rund 2000 versammelten Forscher wollten zusammen mit den sozialen Bewegungen die für viele noch abstrakte Gefahr des Klimawandels greifbar machen. Nur ein globaler Preis für den CO2-Ausstoß, so ihre Botschaft, könne für ein rasches Umdenken sorgen.

Selten war ein Wissenschaftskongress derart politisch. Er beinhaltete einen Austausch über »die gemeinsame Zukunft unter dem Klimawandel«. Neun Monate nach Veröffentlichung des letzten Berichtes des Weltklimarates und kein halbes Jahr vor dem politischen Showdown beim UN-Klimagipfel in Paris ging es um Details von Klimamodellen, regionale Beobachtungen von veränderten Ökosystemen und um Instrumente zur Anpassung an die bereits beginnende globale Erwärmung und ihre Folgen.

Den versammelten Forschern war bewusst, dass ihre Themen und Statements kurz vor den entscheidenden Verhandlungen über ein neues Weltklimaabkommen hochbrisant sind. Jedes in den Gängen aufgehängte Poster war wie ein kleiner Baustein für die »Post-Fossil-Ära«, die Hans-Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, vor der Forschergemeinde am Freitag ausrief. »In den nächsten 20 bis 30 Jahren brauchen wir eine Implosion der kohlenstoffbasierten Wirtschaft«, so der Klimaforscher in seiner ruhigen, aber bestimmten Art. »Sonst schaffen wir das Zwei-Grad-Ziel nicht und das wäre wirklich eine schlechte Idee.« Dies zu erreichen, sei nicht so kompliziert, wie viele glaubten - »Sie können von heute auf morgen entscheiden, nicht mehr zu fliegen, Klimaschutz ist eine moralische Entscheidung«. Schellnhuber plädierte für einen neuen »Sozialvertrag« zum Klimaschutz. Das industrielle Zeitalter habe den meisten Menschen keineswegs den versprochenen Wohlstand gebracht.

Laurence Tubiana, die von Präsident François Hollande zur französischen Chefunterhändlerin auserkoren wurde, sieht das ähnlich: »Wir müssen alle zusammen in Richtung des neuen Zeitalters gehen - dazu gehören neben der Politik und der Wissenschaft auch die Zivilgesellschaft«. Dazu müsse vor allem der historische Bruch erst einmal als ein solcher verstanden werden. »Von Paris erwarte ich vor allem ein Narrativ: Wir müssen den Menschen sagen, dass das fossile Zeitalter endgültig vorbei ist«, meinte auch Schnellnhuber.

Ein weiterer prominenter Redner sprach in Sachen Wirtschaftssystem klare Worte: Freiwillige Abkommen und der Emissionshandel seien der falsche Weg in die grüne Wirtschaft, erklärte US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, Er plädierte für »crossborder taxes« - grenzüberschreitende Steuern auf CO2-Emissionen, die von der Welthandelsorganisation erhoben und kontrolliert werden könnten. »Nur wenn wir das Abkommen in Paris mit starken Instrumenten ausstatten, wird es wirklich die Wende einleiten«, meinte Stiglitz. Im Saal toste Beifall.

Die Teilnehmer waren aber eigentlich nicht nur wegen der großen Worte gekommen. Die Wissenschaftler und zahlreichen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus über 100 Ländern diskutierten in Workshops die aktuellsten Forschungsergebnisse. Dabei ging es um bessere Voraussagen von Extremwetter, die Anpassung der Landwirtschaft an Dürren und Hitzewellen, um veränderte Meeresströmungen und die Frage, ob der Klimawandel globale Konflikte anfeuert.

Anders als noch vor einigen Jahren rückt nun auch das Thema der Anpassung in den Vordergrund. Denn um die Folgen der bereits eingesetzten Erderwärmung auf den Menschen zu mindern, müssen neue Ideen her. Anders als bei der Vermeidung von Emissionen seien die Entwicklungsländer bei der Anpassung viel weiter, meinte Saleemul Huq vom International Institute for Environment and Development aus Bangladesch. Sein Land beschäftige sich schon seit mehr als sechs Jahren intensiv mit Techniken zur Anpassung an veränderte Umweltbedingungen wie den Anstieg des Meeresspiegels. »Unsere Wissenschaftler leben teilweise tagelang mit den betroffenen Familien, um deren Alltagsprobleme zu verstehen«, sagt Huq. »Danach kehren sie in ihre Büros zurück und entwickeln geeignete Lösungen.« Dabei gehe es auch um Bildung: »Wir versuchen, unsere Kinder zu Ingenieuren und Ärzten auszubilden, denn die Berufe ihrer Väter - Fischer und Bauern - wird es in der Form nicht mehr geben«, so der Umweltwissenschaftler.

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