Unklarer Status macht krank
Diskussion zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen
13.500 Flüchtlinge leben in Berlin in 57 Unterkünften, weitere 9.000 in Wohnungen. Eine unbekannte Zahl schlägt sich ohne Papiere in der Hauptstadt durch. Täglich kommen neue Menschen hinzu, die einen Asylantrag stellen. Ihre Gesundheitsversorgung ist umstrittenes Dauerthema in der Stadt. Am Montagnachmittag hatte die Landesgesundheitskonferenz, ein Gremium aus 22 Organisationen und Institutionen, zu einem Forum eingeladen, um »Herausforderungen und Perspektiven für gemeinsames Handeln« zu diskutieren.
Der Anspruch der Flüchtlinge auf medizinische Leistungen ist in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts (oder bis zu einem eher seltenen Abschluss des Asylverfahrens in kürzerer Zeit) reduziert und stammt aus dem Asylbewerberleistungsgesetz der 90er Jahre.
Andererseits gebieten es verpflichtende EU-Richtlinien, auf die selbst Franz Allert, Leiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) an diesem Nachmittag hinweist, den Hilfebedarf der Flüchtlinge schnell festzustellen. Mit einem sogenannten grünen Behandlungsschein, der für jede ambulante Behandlung beantragt werden muss, können Erkrankte etwa Hausärzte aufsuchen, im Notfall auch die Rettungsstellen der Krankenhäuser. Bestimmte Arznei- oder orthopädische Hilfsmittel, müssen extra beantragt werden - und das kann dauern. Zuständig für die Bewilligung ist das LaGeSo. Aber schon in dessen Abteilung Gesundheit betrug 2014 die Durchlaufzeit der Vorgänge im Schnitt 34 Tage, wie Leiterin Renée Wirtmüller erklärt, um zugleich mehr Personal zu fordern. Hinzu kommen weitere Bearbeitungszeiten im Amt. Dabei lieferte die Zentrale Gutachtenstelle von den knapp 16 000 Einschätzungen 2014 nur 15 Prozent in Flüchtlingsfragen. Die Mehrzahl davon galt der Reisefähigkeit, was nur ein Euphemismus dafür ist, Abschiebungen für gesundheitlich unbedenklich zu erklären. Ein sehr kleiner Rest an Fällen bezog sich auf die Kostenübernahme von Therapien und Hilfsmitteln. Fast die Hälfte der Gutachten 2014 hatte jedoch mit Ansprüchen von Beamten zu tun.
Aktuell soll die Lage der Flüchtlinge in Berlin durch finanzielle Aufstockungen für die Tbc-Kontrolle, eine Impfstelle und den Dolmetscherdienst verbessert werden. Zwar steht seit Anfang Juli ein Bus ständig für Röntgenuntersuchungen auf dem LageSo-Gelände zur Verfügung, aber für eine zentrale Impfstelle und deren zusätzliche Aufgaben gibt es noch Klärungsbedarf. Und so können Flüchtlinge nur über den erwähnten Behandlungsschein vor allem aus eigener Initiative einen Arzt aufsuchen, der dann auch impft.
Angesichts von sechs Millionen Behandlungsfällen pro Quartal in Berlin bei niedergelassenen Ärzten verweist Burkhard Bratzke von der Kassenärztlichen Vereinigung darauf, dass es kein Problem sei, einige zehntausend Flüchtlinge zu versorgen. Er moniert jedoch, dass die AOK Nordost in Einzelfällen die Abrechnung verweigere. Etwa wenn eine chronische Krankheit plötzlich akut verlaufe. Bratzke sieht auch kein Dolmetscherproblem - das könnten Freunde oder Verwandte sehr gut leisten. Das sehen andere kritischer, darunter Moderatorin Meryam Schouler-Ocak, die unter anderem im Berufsverband der Psychiater ein Referat für Migration leitet. Für Thea Jordan vom Menschenrechtsausschuss der Berliner Ärztekammer gehören die Flüchtlinge in Berlin zu der Gruppe von Personen, für die nicht genug getan wird. Sie kritisiert, dass vom LaGeSo Gutachten von Fachärzten oft nicht anerkannt werden und mahnt: »Auch eine ungesicherte Situation macht krank, ebenso ein schlechter sozialer Status!«
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