»Der schwierigste Moment meines Lebens«
Parlament in Athen stimmt umstrittenem ersten Auflagen-Paket der Gläubiger zu / 39 SYRIZA-Abgeordnete unterstützen Tsipras’ Kurs nicht
Es war eine lange Nacht. Wieder einmal. Am Ende schien es, als renne die Zeit davon. »Bis zum 15. Juli«, so hatten es die Gläubiger der griechischen Regierung diktiert, müsse ein erstes Paket mit Auflagen im Parlament durchgebracht sein. In Athen war es längst der 16. Juli - und die Debatte lief immer noch. Teils hitzig, teils mit Redebeiträgen, die eher nach dem verzweifelten Versuch aussahen, das Unvermeidliche aufzuschieben.
Um 0.55 Uhr deutscher Zeit war es dann soweit: Alexis Tsipras hat für seine Entscheidung eine Mehrheit im Parlament erhalten - aber 39 SYRIZA-Abgeordnete folgen dem Kurs nicht. Gegen die Gesetze stimmten in der Nacht zum Donnerstag in Athen insgesamt über 60 Abgeordnete. Sie wurden in den meisten deutschen Medien als »Abweichler« bezeichnet. Der griechische Premier hatte erst sehr spät in der Nacht in die Debatte eingegriffen, die Zustimmung der Oppositionsparteien Nea Dimokratia, PASOK und To Potami war ihm da schon sicher - ebenso die Ablehnung in den eigenen Reihen.
Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou vom linken SYRIZA-Flügel stimmte ebenso gegen das Paket wie Energieminister Panagiotis Lafazanis. Der erklärte, er unterstütze weiter die Regierung trotz der negativen Stimmen bei diesem Votum. »Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme.« Auch der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis stimmte nicht zu.
Premier Tsipras konnte für seinen Kurs, den er zuvor mehrfach als in der Substanz falsch, aber unausweichlich bezeichnet hatte, nicht mehr die Regierungsmehrheit von 162 der 300 Parlamentssitze mobilisieren. Dies war bereits bei der Abstimmung vor einigen Tagen der Fall, als das Parlament der Regierung den Auftrag für Verhandlungen mit den Gläubigern über ein Kreditpaket aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus gegeben hatte. Die Gläubiger hatten der SYRIZA-geführten Regierung am Wochenende scharfe und international kritisierte Auflagen abverlangt - unter anderem neue Sozialkürzungen, aber auch die Einschränkung demokratischer Souveränität.
»Ich stand vor verschiedenen Möglichkeiten: Eine war es, ein Abkommen zu akzeptieren, mit dem ich in vielen Punkten nicht einverstanden bin, eine andere war ein ungeordneter Zahlungsausfall«, erklärte Tsipras den Abgeordneten sein Dilemma. Es gebe »für uns alle keine andere Möglichkeit, als die Last dieser Verantwortung zu teilen«. »Wir werden nicht von unserem Versprechen abrücken, bis zum Ende für die Rechte der arbeitenden Menschen zu kämpfen«, so Tsipras in der Nacht im Parlament.
Efklidis Tsakalotos, Nachfolger von Varoufakis im Amt des griechischen Finanzministers, sagte in der Debatte, »der Montagmorgen war der schwierigste Moment meines Lebens. Das wird mich mein ganzes Leben lang belasten. Ich weiß nicht, ob ich das Richtige gemacht habe, aber wir haben das gemacht, weil wir keine andere Wahl hatten.« Tsakalotos hatte in Brüssel mit über die Auflagen der Gläubiger verhandelt. Er gehört wie Premier Alexis Tsipras SYRIZA an.
Die Vorsitzende der sozialdemokratischen PASOK, Foti Gennimata, warf Tsipras vor: »Sie haben die Ergebnisse der vorherigen Jahre genommen und zerstört. Das Budget war ausgeglichen.« Gennimata sprach von einer »schwierigen Vereinbarung«, die Griechenland aber »auf den Füßen« halte. In Richtung der SYRIZA-geführten Regierung sagte sie: »Wir vergeben Ihnen nichts. Wir geben aber unsere Stimme für unser Volk.« Der Vorsitzende der kommunistischen Partei KKE, Dimitris Koutsoubas, griff die SYRIZA-Regierung scharf an, kritisierte aber auch die Europäische Union. »Die Menschen werden den Preis für ein neues Memorandum zahlen«, so Koutsoubas.
Der Chef der griechischen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, hat die Zustimmung zu den Gesetzen begrüßt. »Das Parlament hält Griechenland auf Kurs«, sagte Meimarakis am frühen Donnerstagmorgen. Dies sei die richtige Botschaft an Europa. Neuwahlen seien für ihn keine Option. Seine Partei werde auch kein Misstrauensvotum beantragen, obwohl die Regierung ihre eigene Mehrheit verloren habe.
Meimarakis drängte in seiner Rede kurz vor der Abstimmung Tsipras auch dazu, das Gespräch mit der Opposition zu suchen. Er werde bald wieder die Stimmen der Nea Dimokratia brauchen. In der kommenden Woche steht erneut eine Abstimmung über eine der Gläubiger-Auflagen auf dem Programm. In der Brüsseler Abschlusserklärung ist auch dazu eine Frist festgelegt: »bis zum 22. Juli«. Mit Agenturen
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