Mit dem Taxi durch Berlin
Gespräche zwischen Unbekannten. Aus dem Gedächtnis protokolliert von Rike Martin
Hallo, in die Czarnikauer bitte.
Auf in den Prenzlauer Berg!
Sie kennen sich im Osten aus?
Ich bin ein Kind der DDR. Mein Land gibt es nicht mehr, ich bin staatenlos. Das sage ich jedem, der danach fragt.
Jetzt sind Sie Bundesbürger.
Hab’ ich mir nicht ausgesucht. Ich lebe jetzt in einem Land, in dem das Volk total verarscht wird. Von wegen, wir brauchen Zuwanderung, weil uns Arbeitskräfte fehlen. Schauen Sie mal auf die Statistik, die kommt immer frisch vom Friseur!
Sie meinen, die ist frisiert?
Minijobber, Scheinselbstständige: Die sind alle aus der Statistik rausgerechnet. Aber den Ausländern, die nach Deutschland kommen, weil sie hier gut leben können, wird alles hinterhergeschmissen.
Wer hat Ihnen denn das erzählt? Und Kriegsflüchtlingen muss man doch helfen.
Gegen Kriegsflüchtlinge hab’ ich nichts. Das sind auch nur arme Schweine. Aber gegen die anderen. All die Asiaten, Afrikaner, Kopftuchfrauen - fühlen Sie sich hier noch heimisch? Und ehe Sie das jetzt schönreden: Von zehn Kunden, die ich fahre, teilen sieben meine Meinung. Unsere Politiker werden sich umgucken bei der nächsten Wahl. Ob das dann hier noch ’ne Demokratie bleibt …
Kommen Sie, ich wünsche mir das nicht. Nicht für meine Kinder und Enkel. Das hatten wir doch schon in Deutschland.
Dass dann wieder Leute abgeholt werden, glaube ich nicht. Heute nicht mehr, wir haben andere Zeiten.
*
Ich möchte in die Greifswalder.
Wo auch immer Sie hinwollen. Ist ja nicht viel los heute.
Ich dachte, gerade wenn die Bahn streikt …
Sobald die Sonne scheint, gehen die Leute gern zu Fuß. Nicht so prickelnd fürs Geschäft.
Aber die Fußwege sind fast leer.
Karl-Marx-Allee - die ist fast immer leer. Dabei sind das hier tolle Häuser. Stalin-Stil.
Woher wissen Sie das?
Ich wurde in Moskau geboren, dort habe ich meine Kindheit verbracht. Das war in den 60er Jahren. Für mich eine schöne Zeit: Wir Kinder haben draußen gespielt, nur ins Schwimmbad durften wir nicht allein.
Wir haben früher auch auf der Straße gespielt. Die Kinder heute dürfen ja kaum noch ohne Aufsicht raus. Zu gefährlich, finden die Eltern.
(Lacht) Wir müssten alle tot sein.
Ich habe meine Hochzeitsreise nach Moskau gemacht. Kein Alkohol, da war schon Gorbatschow dran.
Unter Jelzin gab’s wieder Alkohol.
Und unter Putin?
Sicher doch. Er selbst soll ja sehr gesund leben. Aber was haben Sie in Deutschland nur immer mit Putin? Putin dies und Putin jenes.
Seit der Sache mit der Krim …
Die deutschen Zeitungen schreiben nicht die Wahrheit. Ich will nicht behaupten, in Russland sei alles in Ordnung. Aber in Deutschland wird Putin verteufelt, man schiebt ihm für alles die Schuld in die Schuhe. Ehrlich gesagt, es grenzt an Hetze.
Mich erschreckt das auch zunehmend.
Der Westen handelt nicht klug, wenn er Russland isoliert. Vom Undank einmal abgesehen. Wir sind da, macht zehn Euro zwanzig. Passen Sie auf sich auf.
Sie auch.
*
Bitte nach Tegel, zum Flughafen.
Urlaub?
Zwei Wochen Antalya.
Da ist es hoffentlich noch sicher. Vorsicht, halten Sie sich kurz fest! Verflucht noch mal, diese Radfahrer. Da fährt wieder einer ohne Licht.
Ob mit oder ohne Licht, ich finde Radfahren in der Stadt generell gefährlich. Die sind doch völlig ungeschützt.
Sie werden lachen, wenn ich nicht Taxi fahre, nehme ich auch gern mal das Rad. Man kommt schnell durch, und es macht Spaß. Allerdings wurden mir schon drei Räder geklaut. Erst letzte Woche habe ich wieder ein neues gekauft.
Hat die Polizei die Diebe gefasst?
Wo denken Sie hin. Nach zwei Monaten kriegt man einen Brief vom Staatsanwalt, das Verfahren ist eingestellt. Das war in der DDR anders. Wissen Sie, ich habe ein kleines Wochenendhaus. Da wurde eingebrochen, eine Tafel Schokolade fehlte. Ich habe Anzeige gegen Unbekannt erstattet.
Wegen einer Tafel Schokolade?
Wegen der kaputten Tür. Als Täter wurde ein Soldat der Sowjetarmee ermittelt, die sind ja öfter mal hungrig gewesen. Mir war klar, dass der hart bestraft werden würde. Also bin ich zu seinem Kommandanten und habe ihn um Milde gebeten. Hätte ich mir schenken können. Wenn sowjetische Soldaten bei der DDR-Bevölkerung das Ansehen der Armee beschädigten, wurde gnadenlos durchgegriffen. Was ich sagen will: Damals wusste man, woran man war. Es gab Gesetze - wenn man sich nicht daran hielt, war einem klar, was dann geschah. Heute gibt es auch Gesetze, aber es passiert nicht viel. Schon gar nicht, wenn Sie Hoeneß heißen.
Haben Sie ein gutes Rad gefunden?
Ein billiges. Guten Flug.
*
Tag, wir fahren zu Ikea.
Hm.
Sie reden nicht gern?
Hm.
Aber Sie sind Fußballfan.
Nö.
Ich sehe doch die Überzieher in den Farben Deutschlands an Ihren Seitenspiegeln.
Nö, ich bin kein Fußballfan. Die Überzieher habe ich, damit der Kunde gleich weiß: Dieses Auto fährt ein Deutscher.
Ach so.
Hm.
Ist es wichtig, das zu wissen?
In Berlin sind mittlerweile fast nur noch türkische Fahrer unterwegs.
Ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Die fahren zu viert oder zu fünft auf einen Taxischein. Dass einer keinen Taxischein hat, erkennen Sie daran, dass er die Straße, zu der er sie bringen soll, nicht kennt. Die rasen dann auch wie die Verrückten.
Gut zu wissen. Wenn ich ein Taxi bestelle, habe ich allerdings keinen Einfluss darauf, wer kommt.
Sie können der Zentrale sagen, dass Sie einen deutschen Fahrer möchten.
Hm.
*
Hallo, ich möchte nach Marzahn.
Keine gute Adresse, steigen Sie ein.
Keine gute Adresse, wie meinen Sie das?
Nach Marzahn will selten jemand, höchstens mal am Monatsanfang. Wer dort wohnt, hat nicht viel Geld. Und wenn Monatsende ist, krieg’ ich von da keine Fahrt zurück.
Sie machen Spaß.
Nein, das ist die Realität.
Wenigstens Sie sind ja mit dem Mindestlohn jetzt ein bisschen besser gestellt.
Wie? Ich habe mich wohl verhört! Wenn die Nahles bei mir einsteigt, erschlag ich die mit dem Klappspaten. Keine Ahnung hat die Dame! Wie soll die Branche den Mindestlohn zahlen, wo wir doch meist stundenlang warten. Man wird Kollegen entlassen müssen. Pfui, so was nennt sich SPD.
Auf Politiker sind Sie nicht gut zu sprechen?
Kennen Sie eine Partei, die noch wählbar ist? Die wollen alle nur an die Töpfe, und dann wollen sie dranbleiben. Wir sind denen scheißegal.
Sie sind Nichtwähler?
Ich sag’ mal so: Wenn es wieder so weit ist, kauf ich mir ’ne braune Uniform.
Wie bitte? Das machen Sie nicht.
Es heißt ja nicht, dass ich das will. Aber wenn es so weit ist, muss ich meine Familie schützen. Wenn sie meinen Nachbarn abholen und anschließend bei mir klingeln, hängt die Uniform an der Garderobe. Dann sage ich denen: »Ich gehöre zu euch.«
*
Bitte zum Alexanderplatz.
Die Klimaanlage hat noch nicht runtergekühlt, ich habe gerade erst angefangen.
Sie fahren nachts?
Seit 20 Jahren.
Du liebe Güte!
Andere müssen auch arbeiten.
Wie lange wollen Sie das noch machen?
Mal sehen, bis ich 80 bin.
Das ist nicht Ihr Ernst.
Von meiner Rente werd’ ich kaum leben können.
Haben Sie denn nicht vorgesorgt?
Wenn meine Lebensversicherung mal fällig wird, ist die mit Sicherheit nichts mehr wert. Es gibt jetzt schon kaum noch Zinsen.
Sie sagen das, als ob das nicht schlimm wäre.
Mein Vater ist mit 63 gestorben.
Sie meinen …?
Nein, ich arbeite nicht mit voller Kraft darauf hin. Schauen wir mal, was das Leben noch bringt. Und wir haben noch Glück in Deutschland. Woanders geht es den Menschen schlechter.
*
Nach Moabit, wenn es Ihnen nichts ausmacht.
Wo soll es denn genau hingehen?
Den Namen der Straße kenne ich nicht. Doch ich kann Ihnen zeigen, wie wir fahren.
Na dann los, versuchen wir es.
Im Radio haben sie gerade erzählt, dass es nun wahrscheinlich doch ein drittes Hilfspaket für Griechenland gibt. Haben Sie das auch schon gehört?
Es hängt eine Menge davon ab, ob Griechenland im Euro bleibt. Doch irgendwo hatten die Griechen auch recht: Sie müssen auf die Beine kommen. Keine Ahnung, ob ihnen das gelingt.
Was sie wollten, haben sie nicht gekriegt.
Deutschland gewinnt immer.
Sie und ich gewinnen nicht.
Nein, die Konzerne, die Banken gewinnen. Es gibt keine Solidarität mehr mit kleinen Leuten. Auch unter den kleinen Leuten ist die Solidarität verloren gegangen.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Die Menschen werden auch manipuliert. Jeder denkt nur noch an sich. Meine Eltern kamen aus der Türkei. Dort hatten die Leute damals wenig, sie hielten zusammen, auch in den Familien.
Nach dem Krieg, als ich ein Kind war, hatten auch hier die meisten wenig. Sie hielten ebenfalls zusammen. Dann begannen einige, mehr zu haben, und die anderen wurden neidisch, was denen, die mehr hatten, gefiel. So ist das scheinbar mit uns Menschen.
So sieht’s aus. Immerhin hat es mit dem Ostblock schon mal Konkurrenz gegeben.
Verzeihung, hier hätten wir abbiegen müssen. Ich habe zu viel gequasselt.
Es wäre schlimm, wenn wir nicht mehr miteinander reden würden. Warten Sie, ich wende kurz.
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