Wo sind Merkels Manuskripte?

Abgeordnetenwatch forderte vergeblich Einsicht beim Bundeskanzleramt

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Redaktionsleiter des Onlineportals Abgeordnetenwatch erbat Einsicht in die nicht-öffentlichen Redemanuskripte Angela Merkels. Der Antrag wurde vom Kanzleramt abgelehnt. Abgeordnetenwatch erwägt rechtliche Schritte.

Dass Angela Merkel eine gute Rednerin ist, behaupten nicht einmal jene, die der CDU-Chefin die Treue halten. Selbst die »Welt« aus dem Verlagshaus von Kanzlerfreundin Friede Springer musste im vergangenen Jahr konstatieren, dass Merkel »kein Redetalent« habe. »Merkel kann ein Publikum nicht mitreißen. Öffentlich formuliert sie selten scharf und pointiert.« Viele Menschen wüssten deshalb nicht, »was Merkels Botschaft ist«, so die »Welt«. Doch was, wenn das alles zum Kalkül der studierten Physikerin gehört? Sind ihre verbalen Defizite nur vorgetäuscht und so Teil ihrer Strategie der »asymmetrischen Demobilisierung«? So nennen Politikwissenschaftler ihre Weigerung, zu kontroversen Themen Stellung zu beziehen, um so die Wähler der politischen Gegner bzw. das ganze Wahlvolk zu sedieren. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht interessant, einmal zu schauen, ob Merkel in nicht-öffentlichen Ansprachen auch mal Tacheles redet?

Eine Antwort auf diese Fragen könnte vielleicht bald Martin Reyher geben. Dabei hatte der Redaktionsleiter des Onlineportals Abgeordnetenwatch ursprünglich etwas ganz anderes im Sinn. Der Politikwissenschaftler wollte wissen, ob der Ackermann-Geburtstag im Kanzleramt ein Einzelfall war. Im Jahr 2008 hatte es dort eine Party auf Staatskosten für den damaligen Deutsche-Bank-Chef gegeben. Und so bat Reyher am 27. Mai 2015 um Auskunft in dieser Frage. Er forderte »eine Aufstellung von Abendessen im Bundeskanzleramt aus privaten, nicht exekutiven Anlässen seit November 2005«. Obwohl diese Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) statthaft ist, wollte das Kanzleramt nicht antworten: Die Frage sei zu unkonkret, hieß es.

Also wählte Reyher einen Umweg und erbat Einsicht in »sämtliche Begrüßungsansprachen der Bundeskanzlerin im Rahmen von nicht-öffentlichen Empfängen und Feierlichkeiten im Bundeskanzleramt seit November 2005«. Dahinter steckte die Überlegung, dass die Kanzlerin solche Empfänge sicher zum Anlass genommen hätte, ein paar warme Worte an die Gäste zu richten. Auch für Josef Ackermann hatte die Regierungschefin damals eine kleine Rede gehalten. Schon zur Herausgabe dieses Manuskriptes musste die Bundesregierung 2009 gerichtlich gezwungen werden.

Nun steht fest: Die Bundesregierung bleibt ihrer Linie treu. In dem Antwortschreiben an Reyher vom 13. Juli, das »nd« vorliegt, heißt es kurz uns bündig: »Der Antrag wird abgelehnt.« Begründung: Der Antragsteller könne sich die »begehrten Informationen in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen«. Dazu der Hinweis auf die Webseite der Kanzlerin, wo Reden und Begrüßungsansprachen Merkels veröffentlicht seien.

Reyher fühlt sich vom Kanzleramt »in die Irre geführt«. Denn unter der angegebenen Internetadresse fänden sich nur öffentliche Redebeiträge der Kanzlerin. Dabei habe er, so der Aktivist gegenüber »nd«, »explizit nach den nicht-öffentlichen Reden der Kanzlerin gefragt«. Reyher hat nun Widerspruch gegen die Ablehnung eingelegt. Er fragt sich, warum die Bundesregierung »die Reden nicht einfach offenlegt - oder aber mitteilt, dass es neben der Ansprache für Ackermann keine weiteren Feierlichkeiten mit einem Merkel-Grußwort gab«. Sollte sich das Kanzleramt nicht bewegen, »dann könnten wir auch juristische Schritte einleiten«, unterstreicht Reyher. Vielleicht wissen wir wirklich bald, was die Kanzlerin so sagt, wenn nur wenige zuhören ...

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.