Schäuble kokettiert mit Rücktritt
Griechische Banken öffnen am Montag wieder - Begrenzungen im Zahlungsverkehr bleiben aber bestehen / Schäuble-Berater nennt ESM-Kredit Regelbruch / Talkshow-Ökonom Sinn: Lebensstandard der Griechen »total überzogen«
Update 19.20 Uhr: Berliner Polizei geht gegen Oxi-Protest vor
Die Polizei ist in Berlin-Kreuzberg gegen eine Spontandemonstration vorgegangen, bei der Solidarität mit Griechenland gezeigt wurde. Die Deutsche Presse-Agentur berichtet: »Beamten war am Freitagabend eine 50-köpfige Gruppe aufgefallen, die Musik aus einer Anlage abspielte und Transparente mit sich führte. Darauf stand etwa «Oxi» und «Gentrifikation - Stadt für alle». Bis zu 200 Menschen versammelten sich in der Schlesischen Straße. Polizisten drängten sie zum Teil gewaltsam von der Fahrbahn. Eine Lautsprecherbox wurde sichergestellt.« Dem Bericht zufolge wurden zwei Personern vorübergehend in eine Sammelstelle für Gefangene gebracht.
Update 15.30 Uhr: Varoufakis: Reformprogramm zum Scheitern verurteilt
Der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis zweifelte in einem Interview der britischen BBC den Erfolg der Reformen an, die Griechenland von den Gläubigern aufgenötigt wurden. »Dieses Programm ist zum Scheitern verurteilt, wer auch immer es umsetzt«, sagte Varoufakis. Zu der Einigung zwischen Griechenland und den Gläubern sagte Varoufakis: »Wir hatten die Wahl zwischen der Hinrichtung und der Kapitulation.« Tsipras habe sich für die Kapitulation entschieden. »Ich mag darin nicht mit ihm übereinstimmen und das habe ich mit meinem Rücktritt klargemacht. Aber ich verstehe sehr genau, in was für einer schwierigen Lage er sich befindet.«
Update 13.55 Uhr: CDU-Generalsekretär verärgert Nein-Lager in der Union
CDU-Generalsekretär Peter Tauber sorgt mit Kritik an Abweichlern bei der Bundestagsabstimmung zu Griechenland für Unmut in den eigenen Reihen. Tauber hatte am Donnerstag mit Blick auf die absehbaren Abweichler in der Unions-Fraktion in seinem Blog geschrieben: »Man kann auf verschiedene Arten 'Nein' sagen. Manche Abgeordnete machen daraus ein 'Geschäftsmodell' und profilieren sich auf Kosten anderer. Darüber kann man sich ärgern, aber dazu will ich nichts sagen.« In dem Blog begründete Tauber ausführlich, warum er ein Ja zu den Verhandlungen für richtig halte. Mehrere Unions-Abgeordnete, die gegen neue Verhandlungen mit der griechischen Regierung votiert hatten, reagierten verärgert. Die CDU-Rechtsaußen-Abgeordnete Erika Steinbach, die gegen neue Verhandlungen mit Griechenland gestimmt hatte, bezeichnete Taubers Äußerungen bei Twitter als »ziemliche Unverschämtheit«. Der Deutschen Presse-Agentur sagte sie am Samstag: »Ich lasse mir nicht Profilierungssucht und Geschäftemacherei unterstellen.« Jenen, die mit Nein votiert hätten, solche Vorhaltungen zu machen, sei »unglaublich und undemokratisch«. Alle Abgeordneten hätten sich lange den Kopf zerbrochen und sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. »Ein Generalsekretär soll die Partei zusammenführen und nicht spalten«, mahnte sie. Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach reagierte verstimmt: »Den sogenannten Abweichlern wegen ihres Stimmverhaltens unlautere Motive zu unterstellen, ist angesichts der zwar kontroversen, aber sehr ernsten und auch sehr sachlichen Debatte in der Fraktion wirklich abwegig«, sagte Bosbach der dpa. »Ich bin mir nicht sicher, ob der Generalsekretär der CDU gut beraten ist, wenn er in dieser Form öffentlich viele Kolleginnen und Kollegen der Fraktion attackiert.« Der CSU-Parlamentarier Michael Frieser, der ebenfalls mit Nein gestimmt hatte, äußerte dagegen teilweises Verständnis für Taubers Äußerung. »Man darf anderer Auffassung sein. Aber man muss sein Nein nicht in der Öffentlichkeit zelebrieren«, sagte er der dpa. Den Vorwurf, mancher Abgeordneter mache aus seinem Nein ein »Geschäftsmodell«, bezeichnete allerdings auch Frieser als deplatziert.
Update 13.50 Uhr: Tsipras Mutter: Alexis hat keine andere Wahl
Die Mutter von Alexis Tsipras macht sich große Sorgen um die Gesundheit des griechischen Ministerpräsidenten. »Alexis isst kaum noch, schläft nicht, aber er hat keine andere Wahl - er schuldet das den Leuten, die ihr ganzes Vertrauen in ihn setzen«, sagte Aristi Tsipras der Wochenzeitung »Parapolitika«. Sie selbst bekomme ihren Jungen nur noch selten zu sehen, erzählte die 73-Jährige. »Er fährt vom Flughafen direkt ins Parlament. Er hat keine Zeit mehr, seine Kinder zu sehen, wie soll er da erst mich besuchen können?« Dennoch scheint der 40-jährige Chef von SYRIZA zuversichtlich zu sein. »Wenn wir miteinander sprechen, sage ich ihm, er soll das Beste für das Land tun und auf sich aufpassen«, berichtete Aristi Tsipras nicht ohne Stolz. »Er sagt mir dann, ich solle mir keine Sorgen machen und dass alles gut wird.«
Update 12.30 Uhr: Schäuble kokettiert mit Rücktritt
Im Streit um die Griechenland-Politik der Bundesregierung ist Wolfgang Schäuble (CDU) auch zu einem Rücktritt bereit. »Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand«, sagte der Bundesfinanzminister dem am Samstag veröffentlichten »Spiegel«. »Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.« Der Finanzminister stellte aber auch klar, dass er derzeit nicht über einen Rücktritt nachdenkt. Auf eine entsprechende Frage des Nachrichtenmagazins sagte er: »Nein, wie kommen Sie darauf?« Schäuble war zuletzt heftig in die Kritik geraten für seine harte Haltung in den Verhandlungen über eine Lösung für Griechenland. Kritische Stimmen kamen nicht nur aus der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner SPD. Schäuble räumte ein, dass er und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den vergangenen Wochen in der Griechenland-Frage nicht immer einer Meinung waren. »Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat«, sagte der 72-Jährige. Es gebe jedoch eine Konstante zwischen ihm und Merkel: »Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können.«
Hohe Wellen schlug zuletzt ein Papier aus dem Bundesfinanzministerium, in dem ein zeitweises Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone als mögliche Lösung ins Spiel gebracht wurde. Schäuble äußerte sich dahingehend auch noch einmal am Donnerstag, einen Tag vor der Griechenland-Abstimmung im Bundestag. In dem »Spiegel«-Interview verteidigte Schäuble den Vorschlag. »Wir haben nie gesagt, dass Griechenland aus der Eurozone austreten soll«, sagte er. »Wir haben nur auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Athen selbst über eine Auszeit entscheiden kann.« Ein Schuldenschnitt innerhalb der Eurozone sei unmöglich, hob Schäuble hervor. »Das lassen die europäischen Verträge nicht zu.« Ein Schuldenschnitt wird von vielen Experten als einzige Lösung gesehen, um Griechenland von seiner erdrückenden Last von Verbindlichkeiten zu befreien.
Update 10.55 Uhr: SYRIZA in Umfrage weiter klar vorn
Die Linkspartei von Premier Alexis Tsipras steht auch knapp eine Woche nach dem Eurogipfel bei den griechischen Wählern klar auf Platz 1. In einer neuen, am Samstag von der linken »Zeitung der Redakteure« veröffentlichten Umfrage liegt SYRIZA mit 42,5 Prozent klar in Führung vor der konservativen Nea Dimokratie (21,5 Prozent) und der liberalen Partei To Potami (8 Prozent). Auf Platz vier rangieren die Neonazis von Chrysi Avgi (6,5 Prozent) noch vor der sozialdemokratischen Pasok (6 Prozent) und der kommunistischen KKE 5,5 Prozent. Die mit SYIRZA derzeit koalierende nationalistische ANEL kommt in der Umfrage des Instituts Palmos Analysis auf 3 Prozent.
Update 8.20 Uhr: Schäuble-Berater nennt ESM-Kredit Regelbruch
Das geplante dritte Kreditprogramm für Griechenland ist nach Ansicht des Wirtschaftsexperten Clemens Fuest kaum mit den Regeln der Eurozone vereinbar. »Einem überschuldeten Land neue Kredite zu geben, heißt, diesem Land Geld zu schenken, also Transfers zu leisten«, sagte der Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung der Deutschen Presse-Agentur. Doch sei die Währungsunion keine Transferunion. Hinzu komme dass der Europäische Stabilitätsmechanismus nur dann aktiviert werden dürfe, wenn die Stabilität der Währungsunion in Gefahr sei. »Auch das ist meines Erachtens nicht der Fall«, sagte Fuest, der dem Beratergremium des Bundesfinanzministeriums angehört. Der ZEW-Präsident verteidigte zugleich seinen Vorschlag, die Kosten des ESM-Kredits über einen Solidaritätszuschlag transparent zu machen. »Mir ist völlig klar, dass die Politik das nicht will, weil sie dann den Bürgern ins Auge schauen müsste«, sagte Fuest. Aber ihm gehe es um Ehrlichkeit und Transparenz. »Dass man Regeln beugt und die Kosten versteckt, das kann nicht die höchste Form von Demokratie sein.«
Auch der umstrittene Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hält ein drittes Kreditprogramm für grundfalsch. »Das ist völlig wirkungslos«, sagte er der »Passauer Neuen Presse«. Sinn wörtlich: »Die 2000 Euro, die Deutschland jedem griechischen Bürger zahlt, sind zum Fenster hinausgeschmissen«, behauptete Sinn, der damit unterstellte, die Gelder würden direkt der Bevölkerung zugute kommen, was nicht der Fall ist. »Der Lebensstandard der Griechen ist im Vergleich zur Produktivität ihres Landes total überzogen. Deswegen ist das Land zu teuer. Die neuen Hilfen perpetuieren diesen Zustand und verlangen anschließend ein viertes Hilfspaket«, sagte der Ökonom. Sinn verwies zugleich auf die Folgen für den Bundeshaushalt. »Jeder weiß: Die Milliardenhilfen an Griechenland kommen nicht mehr zurück.« Sinn befürchtete, dass es noch andere Kandidaten für Kreditprogramme oder Schuldenerleichterungen geben könnte. »Es wird jetzt nicht bei Griechenland bleiben. Auch andere Länder werden an die Tür klopfen und einen Schuldenerlass fordern.«
Griechische Banken öffnen am Montag wieder
Berlin. Eine Woche nach dem Euro-Gipfel in Brüssel werden in Griechenland die Banken am Montag wieder öffnen - allerdings bleibt der Zahlungsverkehr eingeschränkt. Dies gab der griechische Vizefinanzminister Dimitris Mardas bekannt. Nach drei Wochen mit Kapitalverkehrskontrollen, die von der SYRIZA-geführten Regierung auf Druck der Gläubiger verhängt wurden, bleibt es aber dabei, dass Kunden nur 60 Euro pro Tag abheben können.
Zuvor hatte der Bundestag am Freitagnachmittag dem Beginn von Verhandlungen über ein drittes Kreditprogramm für Griechenland zugestimmt. Kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben für ihren Kurs in der Griechenland-Politik allerdings immer weniger Rückhalt in den eigenen Reihen: Am Freitag votierten 65 Abgeordnete von CDU und CSU nicht für das Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes Kreditprogramm. Das Nein-Lager (griechisch: »oxi«) in der Union ist damit gegenüber früheren Abstimmungen über Kredite für Griechenland deutlich gewachsen. Im Februar hatten noch 29 Parlamentarier von CDU und CSU Merkel und Schäuble die Gefolgschaft versagt.
Um eine Mehrheit für das ESM-Mandat musste die Regierungschefin aber zu keinem Zeitpunkt fürchten, die SPD erwies sich als staatstragende Säule der Koalition, woran auch vier Nein-Stimmen, darunter die von Peer Steinbrück, nichts änderten. Insgesamt sagten 439 Abgeordnete »Nai« zum ESM-Mandat (griechisch für »ja«), bei dem namentlichen Votum enthielten sich 40 Parlamentarier, 119 stimmten mit Nein - darunter fast die komplette Linksfraktion.
Vorausgegangen war in der Sondersitzung eine lebhafte Debatte, in der das Regierungslager die Politik gegenüber der SYRIZA-geführten Regierung verteidigte und die Opposition heftige Kritik daran übte. »Wir tragen zur Schwäche Europas bei in einer Zeit, in der wir stark sein müssen«, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zur umstrittenen Rolle Deutschlands in der europäischen Krisenpolitik. »Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören«, kritisierte Linksfraktionschef Gregor Gysi.
Seine Parteifreundin Sahra Wagenknecht sprach von Erpressung gegenüber Athen und zitierte den Ökonomen Adam Smith: »Es gibt zwei Wege, eine Nation zu erobern und zu versklaven. Der eine ist durch das Schwert, der andere durch Verschuldung.« Diesen hätten die Gläubiger gegenüber Griechenland gewählt. Merkel machte hingegen SYRIZA für die Probleme verantwortlich und sagte, während der Gespräche mit der Regierung in Athen habe ein unkontrolliertes Ausscheiden des Landes aus der Eurozone gedroht. »Chaos und Gewalt könnten die Folgen sein«, warnte Merkel - ohne dabei zu sagen, dass ein Grexit von ihrem Bundesfinanzminister betrieben worden war.
Etwa 100 Menschen protestierten am Vormittag vor dem Reichstag für ein Nein gegen die Gläubiger-Politik und die Rolle der Bundesregierung. Drei Aktivisten wurden kurzzeitig festgenommen, weil sie mit einem Transparent in der Bannmeile vor dem Bundestag demonstrierten.
Die Zustimmung des Parlaments erstreckt sich zunächst einmal nur auf die Aufnahme von Gesprächen über ein drittes Kreditprogramm sowie auf eine Brückenfinanzierung. Der Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM beschloss dies am Freitag in Luxemburg, nachdem auch in anderen Parlamenten der Weg dafür freigemacht worden war. EU-Vizekommissionschef Valdis Dombrovskis sprach am Freitag von einer möglichen Dauer von »mehreren Wochen«. nd/Agenturen
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