Viele Tote bei Anschlag auf Kobane-Solidarität in Suruc

Mindestens 30 Opfer, viele davon frewillige Helfer aus linken Jugendverbänden / Polizei geht gegen Trauer-Demo in Istanbul vor / Attentäter zielen auf Amara-Kulturzentrum: ein Ort, der für Solidarität steht

  • Lesedauer: 9 Min.

Update 20.40 Uhr: Polizei geht gegen Trauer-Demo in Istanbul vor
Nach dem verheerenden Anschlag auf ein linkes Kulturzentrum in Suruc sind am Montagabend in Istanbul mehrere Tausend Menschen in Wut und Trauer auf die Straße gegangen. Die Polizei setzte Tränengas ein und löste die Demonstration auf. Auch in vielen anderen Städten fanden Kundgebungen statt. In Berlin kritisierte die Linkenpolitikerin Sevim Dagdelen die Regierung in der Türkei.»In Suruc ging die Saat des AKP Regimes auf, das in IS investiert.« Die Terrormmiliz wolle »unsere Hilfsbrigaden für Kobane einschüchtern. Aber wir verstärken sie«, heiß es bei der Kundgebung.

Update 19.20 Uhr: Noch 20 Menschen in Lebensgefahr
Nach dem verheerenden Anschlag auf ein linkes Kulturzentrum in Suruc nahe der türkischen Grenze zu Syrien schweben noch 20 Schwerverletzte in Lebensgefahr. Das teilte Gouverneur Suruc Abdullah Ciftci mit. Das Attentat forderte 30 Opfer, etwa hundert weitere Menschen wurden verletzt. Nach den ersten Erkenntnissen gehe der Anschlag auf das Konto der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. In Suruc hatten sich rund 300 Linke und Kurden versammelt, überwiegend Studenten. Sie hatten vor, den Wiederaufbau der syrischen Grenzstadt Kobane voranzutreiben, die durch wiederholte IS-Attacken weitgehend zerstört wurde. »Sie wollten in Kobane Parks einrichten, Kindern Spielzeug schenken und Wände bemalen«, sagte Alp Altinors von der linken Partei HDP.

Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte den Anschlag als »barbarischen Akt«. Der Kampf gegen den Terrorismus verlange eine »aktive Zusammenarbeit« der gesamten Weltgemeinschaft, fügte Putin hinzu. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich »besonders entsetzt« darüber, dass die Täter eine Veranstaltung mit vielen Jugendlichen ins Visier genommen hätten.

Update 17.55 Uhr: SPE-Chef Stanischew verurteilt abscheuliches Massaker
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas, der bulgarische Politiker Sergej Stanischew, hat den tödlichen Anschlag auf das linke Kulturzentrum in Suruc als abscheulich bezeichnet. Es sei unfassbar, dass junge Menschen, die zu einer freiwilligen Hilfsaktion zusammengekommen sind, »massakriert« wurden, so Stanischew in einer Erklärung. »Diese türkischen und kurdischen Jugendlichen waren Sozialisten - sie glaubten an die Solidarität zwischen den Völkern«. Er sandte sein herzliches Beileid an die Familien der Opfer des Anschlags. »Wir müssen diese widerlichen Angriffe, die Kinder von ihren Familien wegreißt, stoppen«, so Stanischew.

Update 17.10 Uhr: Anschlag auf einen Ort, »der vor allem für Solidarität steht«
Die Deutsche Presse-Agentur berichtet: »Sie kamen aus dem türkischen Istanbul, Izmir und Adana und sie wollten nach Syrien, um zu helfen. Doch was als Solidaritätsaktion begann, endete in einer Katastrophe.« Mindestens 30 Tote, die meisten Jugendliche, werden inzwischen nach dem Anschlag in der türkischen Stadt Suruc an der Grenze zu Syrien gezählt. Die Hintergründe der Tat waren am Montagabend weiter unklar. Der Gouverneur sprach von einem Selbstmordangriff, die Regierung von einem »Terroranschlag«. Für die linke Oppositionspartei HDP steht die Terrormiliz Islamischer Staat hinter dem Attentat.

Die dpa: »Mit dem Amara-Kulturzentrum haben sich der oder die Täter einen Ort ausgesucht, der vor allem für Solidarität steht. Das Zentrum wird von der kurdischen Stadtverwaltung betrieben. Im Garten trinken die Anwohner Tee. Im vergangenen September war das Zentrum ein Anker für tausende Flüchtlinge, die in nur wenigen Tagen vor Kämpfen im nahe gelegenen syrischen Kobane nach Suruc flohen. Sie erhielten im Garten erste Versorgung, Essen und Unterkunft. Im Bezirk Suruc wurde außerdem ein Lager für tausende Flüchtlinge aufgebaut. Auch die rund 300 Jugendlichen und Opfer des Attentats kamen im Kulturzentrum unter. Sie waren Anhänger einer sozialistischen Organisation (SGDF) und wollten nach Kobane reisen, um die Stadt wieder aufzubauen. Nach der Belagerung durch die Terrormiliz IS war diese fast vollständig zerstört worden. Die SGDF hegt Sympathien für die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), die in Syrien gegen den IS kämpfen. Auch das nähert Spekulationen vor allem in der kurdischen Bevölkerung, dass der Anschlag ein Racheakt der Terrormiliz sein könnte.«

Update 16.15 Uhr: Kurzer Hintergrund von Martin Glasenapp (Medico)
Martin Glasenapp von Medico International hat sich geschockt über den schweren Anschlag auf freiwillige Kobane-helfer in Suruc geäußert. Im Sozialen Netzwerk Facebook schilderte er seine Erinnerungen an das kurdische Amara-Kulturzentrum in der türkischen Stadt, das am Montag von einem furchtbaren Anschlag mit Dutzenden von Toten Jugendlichen aus linken Organiationen getroffen wurde. Das Zentrum sei für alle, die aus der Türkei ins von der IS-befreite Kobane kommen,

»ein Ort des Verweilens und der Information. Ob nun Fotografen oder MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen, ob Freiwillige aus der Türkei oder InternationalistInnen aus der halben Welt, alle steuern das gastfreundliche Haus an. Dort bekommt man kostenlos Tee, es gibt W-Lan, im Garten kann man schlafen – und warten, bis kurdische AktivistInnen einen mit den notwendigen Informationen versorgen, damit man gefahrlos die Weiterreise antreten kann. Auch die Stadtverwaltung von Kobanê auf der anderen Seite der Grenze hat dort eine ständige Vertretung.
Im Frühjahr war ich zweimal in Suruç und später in Kobanê. Beim ersten Mal Ende Januar war es bitterkalt im Kulturzentrum, alle tranken heißen Fruchtsaft und es lag eine tiefe Freude in der Luft: Nur zwei Tage vorher war der IS aus Kobanê vertrieben worden. Ich hielt mich nur wenige Stunden im Arama-Zentrum auf und reiste sogleich weiter ins regnerische, kalte, aber befreite Kobanê.
Im April war ich ein zweites Mal im Kulturzentrum. Es war warm geworden. und warteten wieder auf unsere Weiterfahrt nach Kobanê. Diesmal dauerte es etwas länger, wir warteten sogar einige Tage. Dann klappte es wieder. Bis dahin saßen wir in dem schönen Garten in der Frühlingsonne und unterhielten uns mit den Leuten, die täglich ins Zentrum kommen.
Hier trafen sich kurdische Freiwillige, die in den Flüchtlingslagern von Suruç arbeiteten, aber auch Musikgruppen, Sprach- und Schreibkurse. Es war ein ständiges Kommen und Gehen.
Heute Morgen kamen ca. 300 AktivistInnen verschiedener linker Jugendorganisationen aus Istanbul im Arama-Zentrum an. Sie hatten in ihren Vierteln Geld gesammelt, um in den nächsten Wochen in Kobanê einen Freizeitpark für Kinder zu bauen.
Nachdem sie sich an großen Tischen mit Angehörigen von getöteten YPG-/YPJ-KämpferInnen aus Kobanê getroffen hatten, stellten sie sich zu einem Erinnerungsbild auf. Der Garten war voll mit Menschen. In diesem Moment zündete ein Selbstmordattentäter die fürchterliche Bombe und riss mindestens 40 Menschen mit in den Tod und verletzte Unzählige.
Ich bin geschockt und trauere um die Opfer, auch ich hätte dort sitzen können.«

Update 16 Uhr: Erdogan verurteilt Anschlag von Suruc
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte den »Akt des Terrors«. Bei einem Besuch in Zypern sagte er: »Im Namen meines Volks verfluche und verurteile ich die Täter dieser Unmenschlichkeit.« Sollte sich die Vermutung bestätigen, dass der IS den Angriff verübte, wäre dies der erste IS-Anschlag auf türkischem Boden seit Auftauchen der radikalislamischen Gruppe. Das Büro von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kündigte an, dass der Regierungschef drei Minister zum Anschlagsort schicken werde: Vizeregierungschef Numan Kurtulmus, Innenminister Sebahattin Öztürk und Arbeitsminister Faruk Celik.

Update 15.20 Uhr: Innenministerium: Mindesten 28 Tote in Suruc
Bei dem schwersten Anschlag seit mehr als zwei Jahren in der Türkei sind in Suruc mindestens 28 Menschen getötet worden. Rund hundert Menschen seien zudem bei dem Attentat auf ein linkes Kulturzentrum, in dem sich Freiwillige aus sozialistischen Jugendverbänden und linken Gruppen getroffen hatten, um der von der Miliz IS befreiten Stadt Kobane beim Wiederaufbau zu helfen, verletzt worden, teilte das türkische Innenministerium mit. Der Gouverneur der Provinz Sanliurfa sagte nach Angaben der Zeitung »Hürriyet«, es habe sich um einen Selbstmordanschlag gehandelt. Die Detonation ereignete sich, als sich die freiwilligen Helfer gerade für ein Gruppenfoto aufgestellt hatten.

Update 15.05 Uhr: Aufruf zu Solidaritäts - und Gedenkkundgebungen
Nach dem Anschlag ist in mehreren Städten der Türkei aber auch in der Bundesrepublik zu Trauerkundgebungen aufgerufen worden. In Berlin soll am Abend um 19 am Kottbusser-Tor Solidarität mit den Opfern gezeigt werden. In Köln wird es um 19 Uhr eine Solidaritäts - und Gedenkkundgebung geben. In Frankfurt am Main wird für 17.30 Uhr zum Hauptbahnhof aufgerufen. Eine Übersicht mit Terminen aus deutschen Städten findet sich hier.

Viele Tote bei Anschlag auf linkes Zentrum in Suruc

Berlin. Bei einem schweren Anschlag auf ein linkes Kulturzentrum in der Türkei sind Medienberichten zufolge mindestens 27 Menschen getötet worden. Das Attentat ereignete sich in der nahe der nordsyrischen Stadt Kobane gelegenen türkischen Stadt Suruc. Berichten zufolge wurden Dutzende Menschen verletzt. Ein türkischer Regierungsvertreter bestätigte Angaben, wonach sich die Explosion im Garten eines Kulturzentrums in der Innenstadt von Suruc ereignete. Der Gouverneur der Provinz Sanliurfa sprach von 28 Toten.

In dem linken Kulturzentrum waren zum Zeitpunkt des Anschlages mindestens 300 Mitglieder von sozialistischen Jugendverbänden und linken Gruppen versammelt, die dort eine Hilfsaktion für das befreite Kobane starten wollten. Zur Stunde der Detonation sollte dort eine Pressekonferenz stattfinden. Das Kulturzentrum wurde von der linken Partei HDP betrieben. Es gibt Berichte, denen zufolge die Tat von einer jungen Selbstmordattentäterin der islamistischen Organisation IS ausgeführt worden ist.

Augenzeugen berichteten, nach der Explosion sei ein Feuer ausgebrochen. Fernsehbilder zeigten, wie Krankenwagen zum Explosionsort rasten. In Suruc befindet sich eines der größten Flüchtlingslager für Syrer, die vor den Kämpfen in ihrem Land geflohen sind. In dem im Januar eröffneten Camp leben rund 35.000 Flüchtlinge.

Die überwiegend von Kurden bewohnte Stadt Kobane war im vergangenen Jahr monatelang Schauplatz heftiger Kämpfe, nachdem die Dschihadistenmiliz IS dort eingerückt war. Im Januar zwangen kurdische Kämpfer mit Unterstützung von US-geführten Luftangriffen die IS-Kämpfer zum Rückzug. Ende Juni startete der IS eine neue Offensive, wurde aber nach nur zwei Tagen wieder aus der Grenzstadt vertrieben.

Bei einem weiteren Anschlag mit einer Autobombe in Kobane selbst sind derweil mindestens zwei Kämpfer der kurdischen Volksschutzeinheiten YPG ums Leben gekommen. Die Bombe sei an einem Kontrollpunkt in der Nähe einer Schule explodiert, sagte Kurden-Sprecher Idriss Nassan am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Zunächst war unbekannt, wer für die Explosion verantwortlich ist. Die Explosion ereignete sich kurz nach dem Anschlag in Suruc. nd/Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.