Den Widerstand von unten organisieren
SYRIZAs Politik zeigt: Man sollte keine Hoffnung in die Eroberung des Staates setzen, sondern selbst die gesellschaftlichen Strukturen umbauen. Ein Kommentar
Mit der Unterwerfung unter die maßgeblich durch die Bundesregierung diktierte Ausplünderungspolitik der Troika, hat die griechische SYRIZA-Regierung den Hoffnungen der parlamentarischen Linken in Europa ein abruptes Ende bereitet.
Hatte einst der Putsch gegen Salvador Allende 1973 die Diskussionen über einen friedlichen Übergang zum Sozialismus durch die faktische Macht der Panzer verstummen lassen, so beweist der gegen die griechische Bevölkerung geführte Wirtschaftskrieg nun, dass im von Deutschland dominierten Europa nicht einmal der friedliche Übergang zur Sozialdemokratie möglich ist. In Südamerika, ihrem damals von den USA selbst deklarierten Hinterhof, waren 35 Jahre blutiger Bürgerkrieg, und hunderttausende Tote, der im Namen des Kapitalismus folternden und mordenden Militärdiktaturen die Folge. Es bedarf keines Propheten um nach der Unterwerfung der SYRIZA-Regierung unter die neoliberale Doktrin der Alternativlosigkeit, einen erneuten Zulauf von Teilen der griechischen Jugend zu bewaffnet kämpfenden Stadtguerillaorganisationen vorherzusagen.
Die so genannte Einigung mit der Troika stellt alle von griechischen Vorgängerregierungen gegen weite Teile der Bevölkerung durchgesetzte Spardiktate in den Schatten. Soweit bisher bekannt geht es um weitere Rentenkürzungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge, um die Privatisierung der gesamten staatlichen Infrastruktur, die weitere »Flexibilisierung« des Arbeitsmarktes, sprich die Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten, (Ermöglichung von Massenentlassungen), die Erhöhung der Mehrwertsteuer, sowie um die automatische Kürzung des Staatsbudgets bei Nichteinhaltung der Auflagen. Staatsvermögen im Wert von 50 Milliarden Euro wird in einen durch die Gläubiger verwalteten Treuhandfonds überführt, die Sondersteuer auf Haus- und Grundbesitz ENFIA wird weiter erhöht, die von der Vorgängerregierung eingeführte Sonntagsarbeit ausgeweitet und jedes »haushaltsrelevante« Gesetzesvorhaben muss erst durch die Troika genehmigt werden. Früher wurde so etwas als Kolonie bezeichnet.
Ein besonders widerwärtiges Kapitel der letzten Monate betrifft die Berichterstattung der deutschen Leitmedien. Nach wochen- und monatelanger rassistischer Hetze gegen »die Griechen«, nach Verleumdungen und offenen Lügen, nach dem in Herrenmenschenart wiederholten Mantra »die Griechen müssen liefern« und »die Griechen sind reformunwillig«, wird nun umgesteuert. Plötzlich, nachdem die aufmüpfigen Linksradikalen erfolgreich diszipliniert sind, wird die humanitäre Katastrophe entdeckt, arme RentnerInnen, die im Müll wühlen, Selbstmorde, Eltern, die ihre hungernden Kinder im SOS-Kinderdorf abgeben, und sterbende Kranke. Jetzt ist all das Thema, das Ergebnis von fünf Jahren kapitalistischem Spardiktat, durchgesetzt auch und gerade von deutschen Regierungen und begleitender Medienpropaganda. Ist die drohende linke Alternative erst zerschlagen, gibt es Almosen für die Opfer, so die perverse Logik.
AnarchistInnen und Basisgewerkschaften hatten vor der Wahl am 25. Januar immer behauptet, SYRIZA werde ein neues Spardiktat unterschreiben. Trotzdem gelang es ihnen nicht, offensiv ihre Differenz zur Regierung sichtbar zu machen. Sie haben abgewartet, statt die gesellschaftliche Spielräume zu erweitern. Nun ist es an ihnen sein die Mobilisierungen gegen Sonntagsarbeit oder Massenentlassungen auf der Straße zu intensivieren; und sie werden wieder mit den nun von SYRIZA befehligten Sondereinsatzkommandos der Polizei konfrontiert sein. Für die schwachen Bewegungen in Deutschland kann nur gelten, diese Kämpfe zu unterstützen.
Statt Hoffnung in die Eroberung des Staates zu setzen, sollten wir beginnen gesellschaftliche Strukturen so umzubauen, das grundsätzliche Veränderung überhaupt denkbar wird. Der Aufbau solidarischer Basisstrukturen, ihre Vernetzung und die Entwicklung gemeinsamer Visionen sind gefragt. Selbstorganisation, solidarische Alltagsstrukturen, gegenseitige Hilfe, praktische Alternativen gegen das alltägliche Elend - sie sind die Basis für erfolgreiche politische Mobilisierung. Eine Mobilisierung die dringend anliegt sollte die Durchsetzung der Reparationszahlungen an Griechenland für die hunderttausenden verhungerten und ermordeten GriechInnen und die tausenden zerstörten Dörfer während der Nazibesatzung des Landes 1941-44, sowie die Rückzahlung des dem Land damals abgepressten Zwangskredits für »Besatzungskosten« sein. Das ist unsere Pflicht.
Ralf Dreis ist in der anarchosyndikalistischen FAU in Frankfurt organisiert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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