Im Labyrinth der 145 Waben
Der öffentliche Personennahverkehr an der Saar verlor binnen Jahresfrist vier Millionen Fahrgäste - warum?
An einer zentralen Bushaltestelle in Saarbrücken winkt eine Studentin ab. »Semesterticket«, antwortet sie auf die Frage nach den Fahrpreisen. Für sie kein Problem. Eine ältere Dame, die Einkaufstasche fest im Griff, findet dagegen: »Wenn es auf kurzen Strecken billiger wäre, würde ich öfter fahren.« Das klingt zunächst nicht nach massivem Protest und großer Unzufriedenheit mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Saarland.
Aber die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2014 haben aufgeschreckt: vier Millionen Fahrgäste weniger gegenüber dem Vorjahr. Der Verkehrsverbund SaarVV bestätigt den Trend nach unten, wenn er auch nach eigenen vorläufigen Zahlen nicht ganz so stark ausfällt.
Der ÖPNV hat im Saarland traditionell keinen einfachen Stand. Das Saarland ist ein Autofahrerland mit der höchsten Pkw-Dichte in Deutschland (über 570 pro 1000 Einwohner) und einem dichten Autobahnnetz. In jüngster Zeit kommt erschwerend der rapide Bevölkerungsschwund hinzu. Dieter Haag vom SaarVV zeigt dies anhand der Prognosen für die Schülerzahlen. Über seinen Grafiken steht dick rot gedruckt ein Minus von 19 Prozent bis 2025. Schüler sind die Hauptklientel im Busverkehr. Eine Reihe anderer Probleme sind hausgemacht: Der vor zehn Jahren ins Leben gerufene SaarVV ist lediglich ein Tarifverbund, heißt: Kunden können mit einem einzigen Ticket fahren. Unter dem Dach der Managementgesellschaft Saarländische Nahverkehrs-Service GmbH (SNS) sind jedoch zwölf weitgehend selbstständige Verkehrsunternehmen versammelt. Der Verbund hat eine Wabenstruktur übers Land gelegt, aus der sich die Fahrpreise herleiten.
Was bei einer Fahrt über mehr als eine der 145 Waben passiert, haben die Grünen vorgerechnet: Ein Schülerticket vom Saarbrücker Stadtteil Eschringen bis zum Gymnasium am Schloss kostet monatlich 37,25 Euro. Für die Strecke von Eschringen bis zur Gemeinschaftsschule Gersheim werden hingegen 95,90 Euro verlangt. Und das, obwohl beide Schulstandorte etwa in gleicher Entfernung zu Eschringen liegen. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bezeichnet das Wabensystem schlicht als »krassen Missstand« und die Preise als »nicht transparent«.
Bereits zweimal sind die Grünen mit einem Gesetzesvorstoß für einen »Verkehrsverbund aus einem Guss« gescheitert. Zuletzt hatten sie dafür sogar Unterstützung des St. Wendeler CDU-Landrats Udo Recktenwald erhalten. Eine Kritik der Grünen, wonach echte Verkehrsverbünde in vergleichbaren Regionen wie Hannover oder Karlsruhe zwischen 1,8 bis 2,4-mal so viele Fahrten anbieten, lässt Dieter Haag vom SaarVV nicht gelten. Er verweist auf die vergleichsweise dichte Anbindung ländlicher Regionen außerhalb der Ballungsräume.
Die CDU/SPD-Landesregierung hat ein neues ÖPNV-Gesetz »fast fertig in der Schublade«, betont ein Sprecher der Wirtschafts- und Verkehrsministeriums. Der Referentenentwurf sieht unter anderem vor, dass »der ÖPNV im Verbund mit einem gemeinsamen Höchsttarif versehen« und Strukturen gestrafft würden.
Knackpunkt ist das Geld. Rund 130 Millionen Euro fließen in den saarländischen ÖPNV, davon 96 Millionen aus Regionalisierungsmitteln des Bundes. Das Land will seinen Zuschussanteil auch wegen der Schuldenbremse reduzieren, dafür Bundesmittel einsetzen. Deren künftige Höhe ist aber noch offen.
In der ungeklärten Situation und unter dem Vorbehalt eigener Sparzwänge hat das Land seine Zusagen an den SaarVV nur bis Mitte 2016 verlängert. Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD) weist den Vorwurf angeblicher Zögerlichkeit der Landesregierung zurück: Man könne mit einem Gesetz »nur solche Strukturen schaffen und Ausgaben festschreiben, die man auch bezahlen kann«.
Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht lapidar: »Wir streben an, den Saarländischen Verkehrsverbund zu einem Verbund der Aufgabenträger weiterzuentwickeln.« Dass es einen solchen einheitlichen Trägerverbund geben muss und wird, davon zeigt sich auch Haag überzeugt: »Aber fragen Sie mich nicht, wann.« dpa/nd
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