Adern in der Wand
Besseres Klima für schnellere Heilung: Berlin testet Wirkung gekühlter Krankenzimmer
Was aussieht wie ein gewöhnliches Krankenzimmer ist eine Versuchsanordnung im Kampf gegen Folgen des Klimawandels. Zwei ältere lungenkranke Herren liegen darin, bei relativ konstanten 23 Grad im Hochsommer. Die Kühle strahlt mittels spezieller Technik kaum spürbar aus Wänden und Decken ab, während sich auf Fluren und in anderen Patientenzimmern die Wärme staut. Fühler registrieren Temperaturveränderungen, den Sonneneinfall, die Luftfeuchtigkeit. Wie häufig sich die Männer bewegen, erfassen Bändchen am Arm.
Seit rund einem Jahr beobachten Spezialisten in der Lungenheilkunde der Berliner Charité, wie es chronisch kranken Patienten ergeht, die in zwei sogenannten »Klimazimmern« untergebracht sind. Es geht nicht ums Wohlfühlen, sondern um Heilung und die oftmals tödlichen Folgen von Hitzestress. »Seit Hitzesommern mit 60 000 zusätzlichen Todesfällen in Europa ist das Thema ins Bewusstsein gerückt«, sagt der Mediziner André Schubert, der die Studie mit betreut. Gekühlte Zimmer in Kliniken sind zwar nicht gänzlich neu, ihr gesundheitlicher Nutzen aber weitgehend unerforscht.
Durch längere Wärmeperioden verursachter Stress ist in Großstädten zunehmend ein Problem, weil Beton und Asphalt die Wärme auch noch nach dem Abklingen der Hitze lange speichern. In Berlin haben sich Klimatologen, Architekten und Mediziner in einem Projekt zusammengeschlossen, um das Phänomen zu untersuchen. »Mit Hitzestress ist mehr gemeint als reines Unwohlsein und gestörte Konzentration. Es ist eher der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, sagt Projektsprecher Dieter Scherer (TU Berlin). Vor allem für Kranke bleibt es nicht bei harmlosen Einschränkungen im Alltag: »Wir beobachten einen deutlichen Anstieg der Sterblichkeit, sobald an drei Tagen in Folge draußen der Mittelwert von 21 Grad überschritten ist«, sagt Klimatologe Scherer. In Innenräumen stiegen die Temperaturen dann auf 25 Grad und mehr. Scherer rechnet vor: Bis zu 1600 Menschen sterben allein in Berlin in Hitzeperioden zusätzlich jedes Jahr. Die ersten, die in jenen Phasen Notaufnahmen aufsuchen, seien Menschen mit Herzproblemen - und Lungenkranke, denen das Atmen immer schwerer fällt.
Andere Räume der Station sind im Schnitt im Sommer zwei Grad wärmer, teils heizt es sich auf mehr als 30 Grad auf. Konventionelle Klimaanlagen sind für Kliniken keine Lösung: nicht nur wegen des Luftzugs, auch Staub und Keime werden aufgewirbelt und im schlimmsten Fall verbreitet. In den Klimazimmern gibt eine Art Mini-Schaufenster an Wand und Decke den Blick auf die Technik frei. »Hier sehen wir das Kapillarsystem, das die Wände durchzieht« sagt Lungenspezialist und Studienleiter Christian Witt. Durch diese Äderchen fließt eine kühle Flüssigkeit. So etwas gibt es sonst im OP, auf Intensivstationen und mit etwas Glück in modernisierten Kliniken.
Auch bei Klinikneubauten geht es heute kaum mehr ohne Kühltechnik - des Wohlbefindens wegen. Durch Deckenstrahlheizungen etwa läuft im Winter warmes Wasser, im Sommer kühlt kaltes die Raumtemperatur um etwa drei Grad herunter, sagt der Architekt Wolfgang Bergstermann, Vorstandsmitglied des Vereins Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen (AKG). »Vor zehn Jahren wäre der Energieaufwand dafür noch untragbar hoch gewesen, heute steht die Energie etwa durch Photovoltaik quasi kostenfrei zur Verfügung.«
Gut für die Gesundheit, wie es in Berlin den Anschein hat: »Die Patienten im Klimazimmer fühlten sich besser, bewegten sich schneller wieder und konnten im Schnitt etwa anderthalb Tage eher entlassen werden als Patienten im Normalzimmer«, sagte Witt über Beobachtungen bei mehr als 40 Lungenpatienten im Sommer 2014. Mindestens dreimal so viele sollen die Klimazimmer bis zum Ende der Studie noch durchlaufen - hinzu kommen rund 150 Patienten in Kontrollzimmern.
Während Witt und sein Team auswerten und beobachten, sitzen die Klimatologen aus dem Projekt daran, die Vielfalt des Berliner Klimas möglichst genau und belastbar zu beschreiben - als Ansatz für Maßnahmen gegen Hitzestress. Sie greifen auf ein ausgereiftes Messnetz und auf Modellrechnungen zurück. Wie sich Großstädte an den Klimawandel anpassen können, soll das Projekt bis Mitte 2016 zeigen. dpa/nd
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