Flüchtlingspolitik braucht große Taten
Wiebke Judith über das beschämende und enttäuschende Vorgehen der EU im Umgang mit Asylsuchenden
Die Innenminister und Innenministerinnen der EU versuchten, das beschämende Ergebnis ihrer Beratungen am Montag schön zu rechnen. Für das Neuansiedlungsprogramm der Vereinten Nationen übertrafen sie ihr bescheidenes Ziel von 20 000 mit 22 504 Plätzen – in Anbetracht von einer Million Flüchtlingen, die einen solchen Platz bitter nötig hätten, eine lächerlich geringe Zahl, die auch nur zustande kam, weil die Zusagen der Schweiz und Norwegens dazugezählt wurden. Durch das Neuansiedlungsprogramm können Flüchtlinge direkt in das Aufnahmeland einreisen, etwa aus den Flüchtlingslagern in Syriens Nachbarländern. Noch beschämender ist das Ergebnis für die Solidarität innerhalb der EU: Zur Entlastung von Italien und Griechenland versprachen die EU-Partner nur 32 256 Umverteilungsplätze für sich dort aufhaltende Asylsuchende. Das sind noch nicht einmal die 40 000, die angestrebt waren.
Dabei ist es dringend nötig, Italien und Griechenland in der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen. Insbesondere auf den griechischen Inseln spitzt sich die Lage dramatisch zu. Seit Beginn dieses Jahres hat die Zahl der Menschen, die von der Türkei, meist in seeuntüchtigen Booten, nach Griechenland kommen, stark zugenommen. Nach unseren Recherchen haben von Januar bis Juli etwa 77 000 Menschen die Überfahrt über die Ägäis gewagt. Aktuell melden Hilfsorganisationen in Griechenland etwa 1000 Ankommende pro Tag.
Die Hilfsbereitschaft in der griechischen Bevölkerung ist nach wie vor groß, aber Griechenland ist in der allgemeinen Finanz- und Wirtschaftskrise schlicht nicht in der Lage, die Ankommenden menschenwürdig zu versorgen: Vielen Flüchtlingen fehlt es an Nahrung oder sogar an Trinkwasser, die sanitären Umstände sind oft desolat. Und die Lage droht noch schwieriger zu werden. Schon jetzt hat das »International Rescue Committee« Notfallteams in Griechenland, um den Flüchtlingen zu helfen – normalerweise operieren diese Teams in Staaten wie Niger oder Afghanistan. Für eine so wohlhabende Region wie die EU ist dies ein Zeichen äußersten Versagens.
Aufgrund der derzeitigen Situation, insbesondere in Syrien, werden weiter viele Menschen versuchen, in der EU Schutz zu finden. Europa muss sich dieser Realität stellen. Die jetzt zugesagten Hilfen sind viel zu wenig mit Blick auf die sich abzeichnende humanitäre Katastrophe. Die europäische Solidarität und die Schutzpflicht, die Europa gegenüber den Flüchtlingen hat, erfordert schnelle humanitäre Hilfe: Griechenland braucht sofortige finanzielle und personelle Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Nicht nur das Ergebnis des Innen- und Justizministertreffens ist enttäuschend. Enttäuschend und häufig erschreckend sind auch die Reaktionen der Einzelstaaten. Besonders prominent ist die Kampagne der ungarischen Regierung gegen Flüchtlinge. So lässt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán derzeit einen 175 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien bauen, er lässt auch Schilder im Land aufhängen, die suggerieren, dass Flüchtlinge den Ungarinnen und Ungarn die Arbeit wegnehmen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer scheint sich davon rhetorisch inspirieren zu lassen und plädiert für eine Politik der Abschreckung in Deutschland.
Angesichts dieser politischen Kaltherzigkeit ist das wachsende Engagement in der europäischen Bevölkerung für Flüchtlinge dagegen ein Hoffnungsschimmer: In Ungarn verteilen Nachbarn warmen Tee und belegte Brote; in Griechenland riskieren Menschen Strafverfahren, indem sie Flüchtlinge in ihren Autos von den Inseln auf das Festland bringen. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Initiativen, die Flüchtlinge und Asylsuchende auf unterschiedliche Weise unterstützen. Damit leben sie eine Aufnahmebereitschaft und Solidarität, an die Politiker wie Horst Seehofer anscheinend nicht glauben. Stattdessen liefert eine solche Polemik sogar denjenigen Argumente, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen auch gewalttätig vorgehen.
In der europäischen Flüchtlingspolitik ist die Zeit reif für große Taten: eine wirksame Unterstützung von Griechenland und Italien, ein Umdenken in der Verteilungspolitik insgesamt, ein groß angelegtes Neuansiedlungsprogramm und eine Abkehr vom Populismus auf Kosten von Flüchtlingen. Der Montag hat aber gezeigt, dass sich die EU weiter nur in Trippelschritten fortbewegt.
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