»Merci, le Tour«
Die Tour de France 2015 ist die spannendste und ereignisreichste seit vielen Jahren
Bei allen Diskussionen um Wattwerte und nicht unbegründeter Skepsis an der Leistung manches Teilnehmers muss man doch auch konstatieren, dass diese Tour de France ein sportliches und soziales Ereignis ersten Ranges ist.
Berichtet wird gern über Transparente, die »Froome - Dopé« verkünden. Zahlreicher als diese kritischen Wortmeldungen sind allerdings Botschaften, die einzelne Fahrer und Teams feiern und auch solche, die generell der Tour danken. »Merci, le Tour« - so steht es in immer neuen Farb- und Fabrikationsvarianten in vielen Orten, durch die die Rundfahrt führt. Manchmal handelt es sich um ein schlichtes, selbst gemaltes Transparent. Manchmal sind die Buchstaben professionell gesetzt. Zuweilen sind gar Blumenrabatten in diesen Schriftzügen geformt. Ganz Frankreich dankt der Tour. Warum nur? »Weil sie das Ereignis des Sommer ist«, sagte ein Zuschauer in der Bretagne. »Weil sie uns jedes Jahr die Welt nach Hause bringt«, meinte ein Einwohner in den Pyrenäen. »Weil sie zu Frankreich gehört«, behauptete ein Schulbub in Valence ganz simpel.
In diesem Jahr säumen wieder mehr Zuschauer den Straßenrand. Das mag darin begründet sein, dass im vergangenen Jahr zwei Franzosen aufs Podium kamen und damit das die ganze Nation selbst beschädigende Gerede vom »Peloton der zwei Geschwindigkeiten« beendeten. Diese Theorie bezichtigte einst die anderen des Dopings und kaschierte eigene Versäumnisse in Training und Taktik.
Gut, in diesem Jahr läuft es nicht so für die Sportler aus dem Gastgeberland. Der Gesamtzweite und der Tourdritte von 2014, Jean-Christophe Peraud und Thibaut Pinot, kommen mit den Favoriten nicht mehr mit. Auch die Sprintasse stechen nicht. Nacer Bouhanni stieg nach Sturz aus, Arnaud Demare fiel nur durch Klagen über zu wenige Massensprints auf.
Das allerdings ist einer der Schlüssel des Erfolgs dieser Tour. Die Ausrichterorganisation ASO orientierte sich beim Streckenprofil stärker am Konkurrenten Giro d’Italia. Die führte zu Etappen mit Klassikercharakter in der ersten Woche statt einer Serie vorhersehbarer und damit langweiliger Sprintetappen. »Wir wollen das Rennen vielseitiger machen und die Anforderungen an die Fahrer erhöhen«, erklärte Tourdirektor Christian Prudhomme.
Das gelang. Die Mauer von Huy und die Mauer der Bretagne mussten in der ersten Woche am jeweiligen Etappenende erklommen, das Kopfsteinpflaster von Paris - Roubaix bezwungen werden. »Klar gibt es in diesem Jahr weniger Massensprints als zuletzt. Aber das wussten wir vorher. Wieso soll man sich beklagen?«, meinte John Degenkolb, dem die Mauern eigentlich auch gut in den Kram passten, zu »nd«. Der Sprinter glaubt freilich nicht, dass die Tage des Massensprints bei der Tour komplett vorbei sind. »Das ändert sich von Jahr zu Jahr. Mal gibt es mehr davon, mal weniger. Ganz auf diese Charakteristik wird die Tour aber nicht verzichten wollen«, meinte er.
Ein anderes dramaturgisches Schräubchen, an dem die ASO drehte, sind die Zwischensprints. Degenkolb und seine Rivalen André Greipel, Peter Sagan und Mark Cavendish lieferten sich bei Halbzeit der Etappe feurige Duelle um die zu vergebenen 20 Punkte für das grüne Trikot. »Du ziehst nicht voll durch, aber du musst dabei sein«, erzählte Degenkolb.
Sean Yates, sportlicher Leiter von Peter Sagan, griff zu einer anderen Strategie: »Im reinen Sprint kann Peter die anderen nicht bezwingen. Wir müssen gucken, dass wir das Rennen vor dem Zwischensprint so schwer wie möglich machen.« Als das nicht klappte, und Sagans Konkurrenten weiter beim Zwischensprint auftrumpften, ging der Slowake in Fluchtgruppen. Jahrzehnte sah man es nicht mehr, dass ein grünes Trikot regelmäßig weit vor dem Peloton fuhr. Sagan entschied auf diese Art und Weise den Kampf ums Grüne Trikot. Er nahm Spannung heraus - aber es hatte Stil, wie er das vollbrachte.
Die frühen Attacken des Grünen inspirierten schließlich auch den Mann in Weiß. Um noch Chancen auf Platz eins im Gesamtklassement zu haben, lancierte sogar Nairo Quintana frühe Attacken auf Chris Froome. Selbst wenn der Brite dies bislang abwehren konnte, so war diese Tour doch bislang an Spannung reicher als die letzten Frankreichrundfahrten. Das Spektakel ist gut ausbalanciert.
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