Gegen vielfachen Protest ist das Hamburger Flüchtlingsschiff Bibby Altona - bislang genutzt als Erstaufnahmeeinrichtung - geschlossen worden. Flüchtlinge werden nun nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht. Um sie dann besser loszuwerden, wie Kritiker befürchten.
Jedes Bundesland ist verpflichtet, nach einem bestimmten Schlüssel Asylsuchende aufzunehmen. Eine gewisse Zeit, die drei Monate nicht überschreiten sollte, bleiben die Betroffenen in so genannten Erstaufnahmeeinrichtungen - in Hamburg war das bis jetzt das Containerschiff Bibby Altona - dann sollen sie in Unterkünfte in der Region verteilt werden.
Seit Donnerstag letzter Woche ist die Bibby Altona geschlossen. Hamburg und Schwerin hatten eine Vereinbarung getroffen, nach der ab 1. Oktober die Flüchtlinge nicht mehr dort, sondern in einem Lager in Nostorf/Horst untergebracht werden, in der Nähe von Boizenburg, weitab der nächsten größeren Stadt und damit entsprechender Infrastruktur wie Beratungsstellen oder Rechtsanwaltsbüros. Vage Angaben des Hamburger Senats über eine spätere Unterkunftsperspektive in der Hansestadt rufen bei Flüchtlingsorganisationen Zweifel hervor, da das Lager Nostorf/Horst seit Sommer 2005 nicht nur als ZAST genutzt wird, sondern auch als Sammelstelle für »Menschen, die nach Ansicht der Behörden keine Bleibeperspektive in Deutschland haben«, wie der Flüchtlingsrat Hamburg in einer Mitteilung schreibt. »Angaben über die Verweildauer der Flüchtlinge in Horst sind im Senatskonzept nur sehr schwammig und vage formuliert, Aussagen über den Verbleib nach Ablauf der "regelhaften" oder "verkürzten" Unterbringung sind gar nicht formuliert.« Es sei zu befürchten, dass die meisten Flüchtlinge trotz der fortdauernden Zuständigkeit Hamburgs bis zu ihrer Abschiebung im Lager Nostorf/Horst bleiben müssen. Für in Hamburg neu ankommenden Flüchtlinge wurde eine Pro-Forma-Erstaufnahmestelle geschaffen, laut Flüchtlingsrat eine »Anlaufstelle, in der sie für einige Tage untergebracht und erkennungsdienstlich behandelt werden.«
Anfang der 90er Jahre wurden in Hamburg Containerschiffe als Flüchtlingsunterkünfte in Dienst genommen. Anfänglich waren es vier Schiffe, jedes konzipiert für 500 Personen. Nach und nach liefen die Verträge für die Schiffe aus, so dass Ende der 90er Jahre noch zwei übrig geblieben waren. »Damals waren sie mehr als 150 Prozent belegt«, erläutert der Sozialarbeiter Abdullah Salah. »Statt sechs Personen wurde 14 in einer zwölf Quadratmeter großen Wohneinheit untergebracht.« Nach und nach blieben allerdings auch die Flüchtlinge aus. »Die Abschottungspolitik wirkt«, so Salah.
Zum Jahresende läuft der Vertrag für die Bibby Altona aus, und der Senat war gezwungen, eine Alternative zu finden. Flüchtlingsorganisationen kritisierten von Beginn an diese Art der Unterbringung. »Den Flüchtlingen wird im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weg gezogen«, sagt Salah. »Viele von ihnen werden seekrank. Aber wir forderten, dass menschenwürdige Wohnbedingungen geschaffen werden und wollten keine Unterbringung in "Dschungelcamps" in Mecklenburg-Vorpommern.«
Salah arbeitet mit Flüchtlingskindern und weiß aus Erfahrung, dass aus den vorgesehenen drei Monaten Erstaufnahme nicht selten neun Monate oder auch ein Jahr werden. »Für die Kinder in Horst bedeutet das, dass sie unter Umständen ein ganzes Jahr nicht zur Schule gehen können. In Hamburg gilt zwar die Schulpflicht auch für Flüchtlingskinder, aber Mecklenburg-Vorpommern hat für Kinder mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus Sonderregelungen erlassen, die sie von der Schulpflicht entbinden.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.